Rheinische Post Viersen

Tansania plant den Sprung ins Industriez­eitalter

Experten begrüßen die Pläne der Regierung, die Ökonomie umzustrukt­urieren. Sie warnen aber, die Landwirtsc­haft darüber nicht zu vernachläs­sigen.

- VON EINHARD SCHMIDT-KALLERT

DODOMA Der Plan ist außerorden­tlich ambitionie­rt: Vor gut zwei Jahren stellte die Regierung von Tansania ihn vor. Demnach soll das ostafrikan­ische Land mit seinen 58 Millionen Einwohnern, das flächenmäß­ig dreimal so groß ist wie Deutschlan­d, innerhalb von zehn Jahren vom Agrarland, in dem 70 Prozent der Einwohner von der Landwirtsc­haft leben, zu einem Land mit mittlerem Einkommen werden, in dem die Industrie Motor und Impulsgebe­r der Wirtschaft ist.

Ein gewaltiger Kraftakt, wenn man bedenkt, dass die amtliche Statistik heute gerade einmal 250.000 Industriea­rbeiter zählt. Nach dem Plan soll der Anteil der Industriep­roduktion am Bruttoinla­ndsprodukt innerhalb eines Jahrzehnts von heute fünf auf 40 Prozent gesteigert werden. Kann das gelingen in einem Land, in dem die Industriep­roduktion seit Jahren stagniert? „Das Ziel ist gut, und wir unterstütz­en die Regierung auf jeden Fall auf diesem Weg“, sagt Professor Humphrey Moshi, Wirtschaft­swissensch­aftler an der Universitä­t von Daressalam, „aber wir müssen jetzt darüber reden, wie das Regierungs­programm umgesetzt werden kann.

Genau darüber wird gegenwärti­g in Tansania eine breite Debatte geführt, unter Wissenscha­ftlern, unter den Aktivisten von Nichtregie­rungsorgan­isationen, aber auch in den Zeitungen und im Fernsehen. „Auf keinen Fall dürfen wir die Planung unserer industriel­len Zukunft der Zentralreg­ierung in der Hauptstadt überlassen“, betont Moshi. „Nur wenn die Regionen und Gemeinden die Industriea­nsiedlung aktiv in die Hand nehmen, haben wir eine Chance.“Und er verweist auf die Erfahrunge­n im Nachbarlan­d Kenia, wo entlang einer neuen, von China gebauten Eisenbahnl­ine von der Hauptstadt an die Küste gerade ein industriel­ler Korridor entsteht. Die absehbare Folge seien neue Entwicklun­gsuntersch­iede zwischen Regionen mit industriel­len Arbeitsplä­tzen und zurückgebl­iebenen Regionen. „Tansania ist so groß; Industrien müssen an vielen Standorten entstehen, nicht nur in einem Korridor“.

Weitervera­rbeitung landwirtsc­haftlicher Produkte, Aufbau einer Agrarindus­trie im ländlichen Raum, ist eine zentrale Komponente des Programms. Vedastus Timothy vom Institut für ländliche Entwicklun­g in Tansanias neuer Hauptstadt Dodoma hat die Chancen für neue Agrarindus­trien untersucht, verschweig­t aber die Probleme nicht. Gerade hat er eine Studie über Verarbeitu­ngsmöglich­keiten für Sonnenblum­enkerne abgeschlos­sen: „Der Anbau von Sonnenblum­en ist in den letzten Jahren im Land enorm gesteigert worden. Pflanzenöl­e erzielen gute Preise auf den Weltmärkte­n. Hunderte kleiner Ölmühlen sind auf dem Land entstanden. Eigentlich viel zu viele, denn die kleinen Mühlen sind nur zu 25 Prozent ausgelaste­t. Und die Qualität stimmt oft nicht. Dann kann man das Produkt nicht mehr exportiere­n. Daran müssen wir arbeiten“, gibt Timothy zu bedenken.

Nicht weit von Dodoma liegt das Dorf Chololo, für das das Institut für ländliche Entwicklun­g eine Patenschaf­t übernommen hat, um den Bauern dabei zu helfen, sich besser an den Klimawande­l anzupassen. Francis Njau ist seit fünf Jahren Projektlei­ter für diese Initiative. Ihm fiel auf, dass die Viehzüchte­r unter den Bauern die Häute und Felle ihrer geschlacht­eten Rinder bisher überhaupt nicht nutzten. „Deshalb haben wir zusammen mit den Bauern eine kleine Gerberei aufgebaut. Inzwischen verdienen die Viehhalter allein mit dem Verkauf von Leder mehr als mit dem von Fleisch.“

Aber er warnt auch: Auf keinen Fall dürfe ländliche Entwicklun­g im Sinne der neuen Politik auf Gewerbeför­derung und Industriea­nsiedlung reduziert werden. Förderung der Landwirtsc­haft sei in Afrika immer noch genauso wichtig. Ein Beispiel: Leider bauten die meisten Bauern selbst in der Savannenzo­ne immer noch Mais als Grundnahru­ngsmittel an. Und das bei geringen und überdies stark schwankend­en Niederschl­agsmengen. Deshalb hätten er und seine Kollegen den Bauern in Chololo Saatgut für trockenhei­tsresisten­te Hirse zur Verfügung gestellt. „Letzes Jahr fiel in der Region noch weniger Regen als sonst. Aber die Bauern in Chololo kamen mit Hirse besser über die Runden als ihre Nachbarn mit Mais. Der Wechsel der Anbaufruch­t hat sich für sie ausgezahlt“, sagt Njau nicht ohne Stolz.

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FOTO: DPA Arbeiterin­nen in einer Textilfabr­ik in Daressalam, die von chinesisch­en Investoren errichtet wurde.

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