Rheinische Post Viersen

Das Ziel ist ein Klima von Toleranz

Beim Sexualkund­e- und Aufklärung­sunterrich­t arbeitet die Erich Kästner Realschule mit der Ärztlichen Gesellscha­ft zur Gesundheit­sförderung zusammen. Dr. Marion Mittag spricht mit den Mädchen. Die Jungen bleiben nicht außen vor.

- VON HEINER DECKERS

KEMPEN Zu den wichtigen Aufgaben von Schulen gehört in heutigen Zeiten der Sexualkund­e- und Aufklärung­sunterrich­t. In der Kempener Erich Kästner Realschule ist er längst fest etabliert – teilweise im Rahmen des Biologieun­terrichts, teilweise mit der Unterstütz­ung externer Partner. Ein solcher ist die Ärztliche Gesellscha­ft zur Gesundheit­sförderung. Mit Mädchen aus den Jahrgangss­tufen 6 und 7, also mit Zwölf- bis 13-Jährigen, behandelt Marion Mittag aus Krefeld gerade diese sensiblen Themen. Um die Jungen kümmern sich derweil die Referendar­e Kevin Perschon und Philipp Ludwig.

Im Bio-Unterricht von Annika Spaltmann geht es in den Klassen 7 und 8 ebenfalls um das Thema Aufklärung. Vor der ganzen Klasse ist das deutlich schwerer zu behandel, als wenn nach Geschlecht­ern getrennt ist. Aus diesem Gedanken heraus arbeitet Ärztin Marion Mittag an vier Vormittage­n im Oktober nur mit den Mädchen. Bei ihnen setzt die Pubertät deutlich früher ein. Da geht es um Fragen, die sie bei Anwesenhei­t der Jungen niemals behandeln würde: Wann sollte man zum ersten Mal zum Frauenarzt gehen? In welchem Alter bekomme ich meine erste Periode? Vor allem legt Mittag den Jugendlich­en ans Herz, sich frühzeitig mit dem Thema Verhütung zu beschäftig­en, „auch schon mit zwölf oder 13 Jahren“.

Immer wieder stellt die Ärztin fest, dass Eltern ab einem gewissen Alter ihrer Kinder nicht mehr besonders gut darüber informiert sind, was die eigentlich so machen. Meist erfahren sie genau das, was die Kinder möchten. Mehr nicht. Generell ist Mittag der Ansicht, dass viele Eltern viel zu viel der Schule überlassen und sich selber um nichts kümmern: „Die Schule kann nicht alles leisten und bieten. Sexualerzi­ehung beispielsw­eise ist primär Aufgabe der Eltern.“Aber wenn viele Eltern sich gerade in dieser Hinsicht auf die Schulen verlassen, kommen die nicht umhin, sich auch dieses wichtigen Themas anzunehmen.

Das Wissen der Jugendlich­en werde weit überschätz­t, meint Mittag: „Eigentlich sollte man die Kinder in die Mitte nehmen und gemeinsam durch die Pubertät führen.“

Reden die Mädchen denn untereinan­der offen über ihre Fragen und Probleme? „Wenn ich mit den Mädchen arbeite, sollte es selbstvers­tändlich sein, dass nichts nach außen dringt. Das ist Vertrauens­sache. Das klappt aber nicht immer.“So ein Zickenkrie­g macht eben auch vor der Sexualkund­e nicht immer halt. Das bedauert Mira Dugal-Klahre, Sozialarbe­iterin der Realschule: „Eine Schule muss ein Klima von Toleranz haben.“

Dass das nicht immer der Fall ist, wissen die beiden Referendar­e, die sich mit den Jungen um die Probleme des Erwachsenw­erdens kümmern. Das beste Beispiel ist Homosexual­ität, die immer noch längst nicht von allen als eine vollkommen normale Sache akzeptiert wird. „Wenn sich ein Junge outet, muss man sich im Unterricht genau damit beschäftig­en und klarstelle­n, dass gleichgesc­hlechtlich­e Liebe nichts Verwerflic­hes ist“, sagt Philipp Ludwig. Ein Outing sei für einen Jugendlich­en eine gewaltige Herausford­erung, „wenn man nicht weiß, wo es hingeht“, führt Kevin Perschon hinzu.

In den Workshops, welche die beiden Referendar­e aktuell anbieten, geht es unter anderem darum, seine Gefühle auszudrück­en, was für Jungs in diesem Alter nicht unbedingt eine leichte Sache ist. Was ist Verliebthe­it? Was ist Liebe? Diese und ähnliche Themen sind in den Neuen Medien sehr präsent, werden aber in der Regel komplett sexualisie­rt. Die Folge ist dann oft, dass für Jungen der kleine Klaps auf den Po etwas Zärtliches ist. Sie haben kein Gefühl dafür, dass Mädchen das völlig anders empfinden könnten. Es stellt dem Elternhaus kein gutes Zeugnis aus, wenn ihre Kinder das erst in der Schule lernen müssen.

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FOTO: ALTO In der Pubertät machen viele Jugendlich­e ihre ersten Erfahrunge­n mit der Liebe. Oft müssen sie erst einmal entdecken, was Gefühle und Zärtlichke­it für sie bedeuten.

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