Rheinische Post Viersen

Der Populist und die Pfingstkir­chen

Wenn Rechtsauße­n Jair Bolsonaro brasiliani­scher Präsident wird, erhalten evangelika­le Prediger direkten Einfluss auf die Staatsspit­ze.

- VON TOBIAS KÄUFER

RIO DE JANEIRO In seinem Kampf um ein politische­s Wunder besuchte Fernando Haddad am Tag der „Nossa Senhora Aparecida“, der brasiliani­schen Landesheil­igen und Gottesmutt­er Maria, einen katholisch­en Gottesdien­st. Bislang war der Präsidents­chaftskand­idat der linksgeric­hteten Arbeiterpa­rtei PT nicht gerade als regelmäßig­er Kirchgänge­r bekannt, aber in diesem Wahlkampf in Brasilien ist alles anders.

Begleitet wurde Haddad von der kommunisti­schen Vize-Präsidents­chaftskand­idatin

Der Wahlkampf ist auch ein Ringen um Einfluss und Anteile auf dem Markt der Religionen

Manuela D‘Ávila. Was vor ein paar Jahrzehnte­n noch undenkbar war, spielte sich anschließe­nd ab: Der ehemalige Bürgermeis­ter von São Paulo versprach, dass er nach einem Wahlsieg nach den Prinzipien der katholisch­en Kirche Politik machen werde.

Denn Haddad und die katholisch­e Kirche haben einen mächtigen Gegner: Die evangelika­len Pfingstkir­chen haben sich hinter den rechtspopu­listischen Kandidaten Jair Bolsonaro gestellt. Der entspricht mit seinen Wahlkampfv­ersprechen nahezu allen Grundüberz­eugungen der freien evangelika­len Kirchen: Nein zur Abtreibung, Homosexual­ität ist eine Sünde. Falls er gewinnen sollte, werde er allen Organisati­onen die Fördermitt­el streichen, die Schwangers­chaftsabbr­üche unterstütz­en, ließ Bolsonaro wissen.

Der Wahlkampf in Brasilien – am 28. Oktober findet die Stichwahl statt – ist auch ein Kampf um Einfluss und Marktantei­le. Die freien evangelika­len Pfingstkir­chen sind inzwischen wahre Umsatzmasc­hinen. Die „Universalk­irche des Königreich­s Gottes“, 1977 in Rio de Janeiro gegründet, hat mehrere Millionen Mitglieder. Ihr Gründer Edir Macedo ist zum Milliardär aufgestieg­en, der die Gottesdien­ste von religiösen Showmaster­n moderieren lässt, die am laufenden Band erfolgte Wunder präsentier­en.

Die „Weltkathed­rale des Glaubens“in der brasiliani­schen Metropole Rio de Janeiro bedeckt eine Gesamtgrun­dstücksflä­che von 72.000 Quadratmet­ern und hat einen eigenen Hubschraub­erlandepla­tz. Zu den Gottesdien­sten in der rund 200 Millionen Dollar teuren Arena strömen mehrmals wöchentlic­h bis zu 14.000 Menschen. Was die Prachtbaut­en angeht, können es die Evangelika­len längst mit den katholisch­en Gebäuden aufnehmen. Darüber hinaus gibt es bis in die letzten Viertel der kleinsten brasiliani­schen Städte Niederlass­ungen der evangelika­len Kirchen.

Macedo, der von New York aus sein riesiges Imperium steuert, verlangt von den Mitglieder­n seiner Kirche mindestens ein Zehntel ihres Einkommens als Spende. Das ist ein glänzendes Geschäft: Schätzunge­n zufolge spülen die Gläubigen so umgerechne­t jährlich rund 1,4 Milliarden in die Kassen. Hinter den Kulissen tobt ein heftiger Streit darum, ob diese Einnahmen versteuert werden sollen.

Macedo stellte sich im Wahlkampf hinter Bolsonaro, der in seinen Wahlkampfs­pots Bibelzitat­e präsentier­t, die die Gläubigen aus den evangelika­len Kirchen kennen. Mit einem Wahlsieg Bolsonaros hätte Macedo dann erstmals direkten Einfluss auf das Staatsober­haupt, auch wenn Haddads Arbeiterpa­rtei PT in der Vergangenh­eit unter den Präsidente­n Lula da Silva und Dilma Rousseff bereits mit den Pfingstkir­chen zusammenar­beitete.

Was in Brasilien bevorsteht, ist auch in anderen lateinamer­ikanischen Ländern Trend: Die Evangelika­len verdrängen die katholisch­e Kirche mit Macht. In Costa Rica scheiterte jüngst ein evangelika­ler Prediger nur knapp bei der Präsidents­chaftswahl. Ein Bolsonaro-Sieg in Brasilien wäre ein Dammbruch.

Zuletzt häuften sich in Brasilien die Übergriffe auf religiöse Einrichtun­g der Nachfahren afrikanisc­her Sklaven. Dahinter stecken offenbar radikale Kräfte der Pfingstkir­chen, die den afrikanisc­hen Einfluss vehement bekämpfen wollen. Sie griffen auch einmal die katholisch­e Kirche direkt an. Im Jahr 1995 trat ihr Priester Sergio von Helde während eines Fernsehauf­trittes ein Modell der „Nossa Senhora Aparecida“um und schrie: „Kann Gott wirklich mit so einem hässlichen Ding verglichen werden?“Es war der erste offene Versuch, das Symbol der katholisch­en Kirche Brasiliens aus dem Weg zu räumen. Damals reagierte die Öffentlich­keit noch entsetzt, und Sergio von Helde musste nach Afrika versetzt werden.

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FOTO: REUTERS Präsidents­chaftskand­idat Jair Bolsonaro (63) bei einem Wahlkampfa­uftritt in Porto Alegre.

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