Rheinische Post Viersen

Pfaffs Hof

- Von Hiltrud Leenders

Brauchst keine Angst haben. Es ist noch weit weg. Du musst zählen zwischen Blitz und Donner.“Es blitzte, und Vater zählte ganz langsam: „Eins-zwei-drei-vier-fünfsechs-sieben-acht.“Dann donnerte es. „Acht Kilometer.“

„Ist das weit weg?“

„Weit genug. Vielleicht zieht es ja an uns vorbei.“

Da fing es an zu regnen, es prasselte gegen die Läden.

„Gott sei Dank“, flüsterte Vater. „Gelobt sei Jesus Christus.“

Ich hatte auf einmal ein Bild vor Augen: ein Wolkenbruc­h, die ganze Straße unter Wasser, und mitten hindurch kommt Vater auf seinem Moped angebraust.

Da hatte es auch ein Gewitter gegeben.

Omma und ich waren ganz allein im Haus gewesen, und Omma wollte nicht im Wohnzimmer bleiben, sondern mit mir oben an der Treppe am Flurfenste­r stehen und hinausscha­uen.

„Gott segne Josef Stefan Albers“, hatte sie geseufzt, als wir Vater kommen sahen, und ich hatte gelacht, weil es komisch war, dass sie so etwas sagte.

Vater zählte bis drei.

„Es kommt näher.“

Mir taten die Zähne weh, weil ich sie so fest zusammenbi­ss.

Da blitzte und donnerte es gleichzeit­ig, und in der Küche ging das Licht aus.

„Pottverdom­me!“Vater sprang aus dem Bett.

„Bleib hier!“, schrie ich.

„Ich muss gucken, ob es irgendwo eingeschla­gen hat. Bei dem ganzen alten Stroh auf dem Dachboden . . .“

Er verheddert­e sich in den Hosenbeine­n und plumpste zurück auf die Matratze.

„Weißt du, wo die Kerzen sind?“Ich war auch aufgestand­en. „In der Schublade vom Küchentisc­h. Die Streichhöl­zer auch.“

„Stell welche auf.“

Es roch ganz fies.

„Brennt es?“

Vater schüttelte unwirsch den Kopf. „Das ist der Schwefel vom Blitz.“

Wir hatten uns bis in die Küche vorgetaste­t.

Durch das Regengepra­ssel konnte ich Dirk weinen hören.

Ich brauchte schnell eine Kerze, damit ich den Weg in Pfaffs Schlafzimm­er fand.

Als Vater in der Spülküche in seine Klompen stieg, flackerten die Lampen erst, dann gingen sie wieder an.

Wir guckten uns in die blassen Gesichter.

Dirk war wieder still. Alles war ganz still.

„Ich geh trotzdem ums Gehöft und guck, ob alles in Ordnung ist.“

Als Mutter endlich nach Hause kam, waren ihre Augen so zugeschwol­len, dass ich nicht wusste, ob sie mich überhaupt sehen konnte.

Ich hatte in meinem Sessel im Wohnzimmer gesessen und noch einmal Astrid Lindgrens Lebensgesc­hichte gelesen, obwohl es schon mitten in der Nacht war.

Vater hatte das nicht bemerkt. Er hockte am Küchentisc­h und starrte vor sich hin.

Als ich Herrn Möllenbrin­ks Mercedes hörte, sprang ich auf und rannte zur Vordertür.

„Wir hatten ein ganz schlimmes Gewitter! Vati dachte, wir würden abbrennen!“

Aber Mutter legte mir nur eben die Hand auf den Kopf – „Ich bin hundemüde“ – und schlappte in Dirks Zimmer.

Herr Möllenbrin­k war zu Vater in die Küche durch gegangen und sprach so leise, dass ich mich hinter die Tür schleichen musste, wenn ich ihn verstehen wollte.

„ . . sich verleugnen lassen. Aber ich habe mit dem Kommandant­en gesprochen. Ihr Sohn hat an dem Tag geheiratet, an dem er volljährig wurde. Ich habe es nicht übers Herz gebracht, es Ihrer Frau zu erzählen. Das obliegt Ihnen.“

Ich machte leise die Tür zu Pfaffs Schlafzimm­er auf.

Mutter lag schon im Bett.

Sie hatte sich nicht einmal gewaschen!

„Was hat Peter gesagt?“Ich flüsterte, damit Dirk nicht wach wurde. „Geh ins Bett!“

„Was hat Peter gesagt?“Ich wollte es wissen.

Mutter setzte sich auf. „Der ist gar nicht rausgekomm­en. Er wollte mich nicht sehen.“

„Weil Vati so böse ist?“

Sie nickte mit querem Gesicht. Mein Bauch wurde ganz heiß. „Der Satan!“

Da streckte sie die Arme aus. „Komm her!“

Ich ließ mich auf die Bettkante fallen, und sie drückte mir fast die Luft ab. „Wenn ich dich nicht hätte, würde ich nicht mehr leben. Gott sei Dank habe ich noch mein Mädchen!“

Heute war Gott viel unterwegs. Ob Vater in Wirklichke­it immer noch katholisch war?

Am Sonntag darauf gab es eine Überraschu­ng.

Kurz nach dem Mittagesse­n kam ein blauer Käfer mit offenem Verdeck unseren buckligen Feldweg herauf.

Ich war gerade mit ein paar Putzlappen, die Mutter aus unserer alten Unterwäsch­e machte, die sich beim besten Willen nicht mehr stopfen ließ, auf dem Weg in Gustes Laube, um die Bank abzuwische­n. Deshalb sah ich das Auto als Erste. Auf dem Beifahrers­itz saß Liesel, Onkel Karl-Dieter am Steuer, und Dago, der böse, große Hund, guckte ihm über die Schulter.

Ich rannte zurück ins Haus. „Tante Liesel kommt!“

Mutter kreischte und riss sich die Schürze ab.

„Was will die denn schnauzte Vater.

Ich lief zur Vordertür.

„Huhu!“Liesel kam um die Ecke marschiert.

Wer marschiert­e, rief doch nicht „Huhu“!

Hinter ihr kam Onkel Karl-Dieter in einem hellen Glenchecka­nzug mit gelbem Einstecktu­ch und trug einen großen Teller vor sich her.

Gott sei Dank hatten sie Dago im Auto gelassen.

„Wir wollten mal schauen, ob wir euch beim Spargelste­chen helfen können.“Karl-Dieter hörte sich so affig an, wie er aussah.

„Ach, daher weht der Wind!“Vater verschwand auf der Tenne.

Mutter hielt die Tür weit auf. „Das ist aber schön!“

Unsere Spargelbee­te trugen wie verrückt. Wir wussten gar nicht, wohin mit den ganzen Stangen. Mutter verkaufte sie an Fräulein Maslow und die anderen Eierfrauen.

Ich mochte Spargel nicht so gern, er war ziemlich bitter. hier?“,

Newspapers in German

Newspapers from Germany