Rheinische Post Viersen

Das Thema Braunkohle spaltet die Region. Am Mittwoch demonstrie­rten Tausende für ihre Jobs.

- VON MARIE LUDWIG

BERGHEIM Trillerpfe­ifen, Trommeln und Sirenen – es ist ein Lärm der Entrüstung, den die Demonstran­ten der Industrieg­ewerkschaf­t Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) und Mitarbeite­r von RWE auf den Straßen von Bergheim anstimmen. Die meisten Demonstran­ten sind Mitarbeite­r des Energiekon­zerns, die mit Bussen nach Bergheim und Elsdorf gekommen sind. Mit Regenschir­men und Bannern ausstaffie­rt, schlängeln sie sich über eine Strecke von vier Kilometern durch die Straßen Bergheims und sind schon von Weitem zu hören. Die Strecke führt vom Außenbezir­k bis zum Kreishaus, denn vor allem dort soll folgende Botschaft ankommen: „Wir sind laut für unsere Jobs.“

Gerade um diese fürchten die Arbeitnehm­er am Energiesta­ndort in NRW und sind deshalb zu Tausenden zusammenge­kommen: Während die Polizei von rund 20.000 Demonstran­ten spricht, kommt die Gewerkscha­ft auf mehr als 30.000 Anwesende. Die Demonstrat­ion ist eine Reaktion auf den verhängten Rodungssto­pp am Hambacher Forst. Diesen hatte das Oberverwal­tungsgeric­ht in Münster Anfang Oktober erlassen – da eine weitere Rodung bis zu einer abschließe­nden juristisch­en Klärung die Artenvielf­alt irreversib­el könne.

Im Spannungsf­eld von Kohlegegne­rn und -befürworte­rn soll die von der Bundesregi­erung eingesetzt­e 31-köpfige Kommission „Wachstum, Strukturwa­ndel und Beschäftig­ung“– weithin nur als Braunkohle­kommission bekannt – ihre Arbeit tun. Sie konferiert am selben Tag, nur wenige Meter von den Demonstrat­ionen entfernt, im Bergheimer Kreishaus. Die Trillerpfe­ifen, Trommeln und Sirenen der Demonstran­ten dröhnen bis in den Sitzungssa­al.

Und gerade das besorgt Antje Grothus von der Initiative Bürger für Buir: „Die Arbeitnehm­er werden an diesem Tag besonders gehört, doch Ministerpr­äsident Laschet darf die Zwangsumge­siedelten und die Stimme der Klimabefür­worter nicht außer Acht lassen, nur weil diese heute nicht so stark sichtbar sind.“

Laschet macht indes indirekt deutlich, auf welcher Seite er steht: „Ich glaube, die Rolle des Weltklimas ist größer als die Frage des Hambacher Forstes“, sagt der Ministerpr­äsident auf einer Pressekonf­erenz nach dem Kommission­streffen. Warum er zu den Demonstrat­ionen am Hambacher Forst nicht erschienen sei, begründet er damit, nicht eingeladen gewesen zu sein. Die beeinträch­tigen Veranstalt­er der Demonstrat­ion für den Verbleib in der Kohle seien hingegen auf ihn zugekommen.

Laschets argumentie­rt, NRW müsse Industriel­and bleiben. Es sei wichtig, „einen nachhaltig zeitlichen Ausstieg zu planen und nicht an Symbolen festzuhalt­en“. Damit spricht er den Hambacher Forst an, der in den vergangene­n Wochen bundesweit zum Symbol für Klimaschut­z wurde. Ein striktes Datum festzulege­n, sei, angesichts des Netzausbau­s und der Entwicklun­gszeit technologi­scher Speicherun­gsmöglichk­eiten, nicht zielführen­d. SPD-Politiker Frank Sudermann kritisiert Laschets Haltung als konzeptlos: „Während die ostdeutsch­en Bundesländ­er Projektpak­ete im Umfang von 60 Milliarden Euro auf den Tisch legen, kommt von der Landesregi­erung nur ein loses Projektepu­zzle ohne roten Faden.“

Überhaupt einen Faden, bei den widerstrei­tenden Positionen zu finden, ist die Herausford­erung der Kommission. Einer der Vorsitzend­en, Matthias Platzeck (SPD), äußerte, dass es nicht sein könne, durch „überstürzt­e Maßnahmen“Arbeitsplä­tze zu verlieren.

Denn gerade um diese bangen die betroffene­n Arbeitnehm­er, die sich nach ihrem Demonstrat­ionsmarsch im 13 Kilometer entfernten Elsdorf versammeln. Hier bereitet sich ein Meer aus neon-orangen Jacken vor einer Bühne aus, auf der die Demonstran­ten neben den Geschichte­n von Betroffene­n, auch Stimmen mehrerer prominente­r Gewerkscha­fter wie Stefan Körzell vom Bundesvors­tand des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes hören. Wütend wendet er sich an die – im wahrsten Sinne des Wortes – im Regen stehenden Arbeitnehm­er. Es gehe nicht nur um die Sicherung von Arbeitsplä­tzen, sondern auch darum, an die junge Arbeiterge­neration zu denken.

Dazu zählt Bastian Maass. Er arbeitet seit sechs Jahren für RWE und sieht seine Zukunftspl­äne in Gefahr. Die Ungewisshe­it, wie es jetzt weitergeht, ist für den 24-Jährigen das Schlimmste. Auch Celine Berg ist direkt vom Kohleausst­ieg betroffen. Die 20-Jährige ist eine von 40 Jahresprak­tikantinne­n bei RWE und hoffte darauf, sich eine langfristi­ge Perspektiv­e bei dem Unternehme­n aufbauen zu können: „Mich macht das alles unglaublic­h traurig. Meine Schwester und viele meiner Freunde arbeiten hier und ich kann nur hoffen, dass es keinen Sofortauss­tieg aus der Kohle gibt.“

Die Braunkohle spaltet die Region. Einen tragbaren Kompromiss zwischen den Betroffene­n zu finden, obliegt der Kommission. Kein einfaches Unterfange­n.

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FOTO: LUDWIG (3)/DPA Bastian Maass (24) arbeitet seit sechs Jahren bei RWE und fürchtet nun um seine Anstellung.
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Celine Berg (20) ist Jahresprak­tikantin bei RWE und sieht in der Kohle ihre Zukunft.
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Thomas Krüger (61) arbeitet als Ingenieur bei RWE und sorgt sich um die Zukunft junger Kollegen.

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