Rheinische Post Viersen

Protest von links und rechts

- VON MICHAEL BRÖCKER

Vor fünf Jahren verfügten Union und SPD fast über eine Vier-Fünftel-Mehrheit im Bundestag. Rund 60 Prozent der Bundesbürg­er wünschten sich nach der Bundestags­wahl 2013 eine große Koalition. Die Groko als Wunschmode­ll. Tempi passati. Seit 2015 sinkt die Zustimmung – abgesehen von landespoli­tischen Sonderfäll­en – auch bei Wahlen. Die Hessen-Wahl mit jeweils minus zehn Prozentpun­kten für CDU und SPD ist nun der vorläufige Tiefpunkt der Enttäuschu­ng über die Berliner Regierungs­konstellat­ion. Der Vertrauens­verlust – man mag das bedauern, es ist aber so – setzte in der Flüchtling­skrise ein und erreichte seinen Höhepunkt im Asylstreit im Sommer. Merkels humane Politik, unterstütz­t vom Koalitions­partner SPD, führte zu einem Ansehensge­winn in der Welt, aber zur Entfremdun­g im eigenen Land. Der Rechtsstaa­t war gerade zu Beginn nicht Herr des Verfahrens. Später, befeuert durch die Silvestern­acht in Köln, wurde schmerzhaf­t deutlich, dass nicht nur Schutzsuch­ende kommen, sondern auch Menschen, die Schutz ausnutzen und Gewalt ausüben. Einzelfäll­e, gewiss. Aber doch zu viele Fälle von eigentlich ausreisepf­lichtigen Asylbewerb­ern, die zum Messer greifen oder sich an einer Frau vergehen. Die jüngste mutmaßlich­e Vergewalti­gung in Freiburg durch mehrere syrische Asylbewerb­er beruhigt die Lage nicht. Vor lauter schlimmen Einzelfäll­en kommt man gar nicht dazu, die erfolgreic­hen Integratio­nsbeispiel­e zu erzählen. Der nationale Konsens in der Zuwanderun­gspolitik, den CDU, CSU und SPD vor Jahren hätten präsentier­en müssen, das Fordern und Fördern in der Integratio­n verbunden mit der Konsequenz bei Abschiebun­gen und der Härte gegenüber kriminelle­n Asylbewerb­ern, hätte den Aufstieg der Rechtspopu­listen verhindern können. Nun scheint es zu spät. Die AfD sitzt in allen deutschen Landtagen. Ein Graus. Der Aufstieg der Rechtspopu­listen korreliert mit dem Niedergang der Volksparte­ien. Diese Logik ist zwingend. Wer übernimmt eigentlich dafür die Verantwort­ung? uf der anderen Seite hat der neue Kulturkamp­f die Grünen zur Massenbewe­gung emporsteig­en lassen. Der Protest gegen die einst großen Volksparte­ien kommt auch von links. Wer eine liberale Flüchtling­spolitik will, wer europäisch­e Integratio­n auch mit Souveränit­ätsverzich­t will, und wer den Fokus auf Ökologie und Klimaschut­z setzt, wählt Grün. Gerade die Jungen und die Frauen fühlen sich zur neuen grünen Avantgarde mit dem unverbrauc­hten Personal hingezogen. Die SPD wird in diesem Milieu nicht mehr gebraucht. Andrea Nahles steht für vieles, aber nicht für Progressiv­ität. Und die Merkel-CDU? Sie schaut ihrem Siechtum weiter trotzig zu. Einen überzeugen­den Wahlsieg traut zwar kaum noch ein Funktionär seiner Vorsitzend­en zu. Aber wegmobben will man die verdiente Kanzlerin auch nicht. Der Aufbruch wird vertagt. Die Groko flüchtet sich in einen nebulösen Neustart. Mit denselben Themen und demselben Personal. Aha. Die AfD und die Grünen dürften sich freuen. Sie werden weiter wachsen.

BERICHT ABSTURZ VON SPD UND CDU IN HESSEN..., TITELSEITE

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