Rheinische Post Viersen

Mörder ahoi! Mit der „Götterdämm­erung“in Düsseldorf schließt sich die Neuinszeni­erung von Wagners „Ring des Nibelungen“an der Rheinoper.

- VON WOLFRAM GOERTZ

DÜSSELDORF Während sich bei der Angela-Merkel-Dämmerung, der Horst-Seehofer-Dämmerung oder der Jogi-Löw-Dämmerung die von einem möglichen Abgang umwölkten Personen noch vital mitten auf der Bühne befinden, war Richard Wagner wieder mal weiter. In seiner „Götterdämm­erung“kommen die Götter gar nicht mehr vor, man erzählt von ihnen wie von abwesenden, siechen, erstarrten, angstvoll rumorenden Kreaturen, die im Seniorenhe­im der Mythologie hocken und nichts anderes ersehnen als das Ende.

Der Abend spielt auf einem kuriosen Schiffszwi­tter – halb Fähre, halb Hausboot

Die „Götterdämm­erung“ist nicht das liebenswür­digste Stück in Wagners „Ring“-Tetralogie, ihre Länge tut ihr Übriges; allein im ersten Akt (zwei Stunden) sollte niemand von Harndrang geplagt sein. Sie ist ein Trumm, eine geballte Faust, mit der Wagner die Dinge im „Ring“ordnet und brachial zu Ende bringt. Die härteste Faust gehört Hagen, dem zweiten Verbrecher im „Ring“, der Wesenszüge des wahrhaft Bösen zeigt. Während Mime, der linkische Kräutergär­tner, eher auf subtilen, schwer nachweisba­ren Mord sinnt, hat Hagen erstens einen Speer und zweitens einen fürchterli­chen Auftrag: die Rache seines Vaters Alberich zu Ende und den Ring per Intrige an sich zu bringen.

Die „Götterdämm­erung“ist zugleich der schwerste, unbeweglic­hste Pott auf Wagners Weltmeer, seine Ladung ist toxisch, lauter versehrte Götterkind­er, süchtige Gibichunge­n-Geschwiste­r und der hochkrimin­elle Alberich-Clan. Der Regisseur Dietrich Hilsdorf und sein Ausstatter Dieter Richter haben einen maroden, von Rost übersäten Schiffszwi­tter (aus Personenfä­hre und Haus- und Schubboot) auf die Bühne gehievt und ihn „MS Wodan“getauft. Unterm Kiel hat dieses gedrungene Monstrum nichts anderes als den Rhein bei Niedrigpeg­el. Im Hintergrun­d flimmern sehr langsam Video-Sequenzen einer Rheinfahrt (der Begriff ist urwagneris­ch und entstammt der „Götterdämm­erung“); im zweiten Akt sieht man die Düsseldorf­er, im dritten die Duisburger Skyline. Die Passagiere an Bord haben dafür keinen Blick, sie stieren ins Leere und vertreiben sich die Zeit mit letzten amourösen Manövern oder Morden.

Die Bühne ist für solche Bitternis wieder angemessen düster, wie schon an allen drei früheren „Ring“-Abenden. Mangels moderner Heizkörper an Deck und mangels liebevolle­r Gedanken tragen die Leute bodenlange, indes wenig kuschelige Mäntel und Garderoben (Kostüme: Renate Schmitzer). Brünnhilde hantiert immerhin mit einem roten Wollknäuel, dessen Faden zwar nicht für das dicke Schicksals­seil der Nornen, doch immerhin für Siegfrieds unzureiche­nd besockte Füße taugen könnte.

Das Fasziniere­nde ist, dass trotz der gefrorenen Zeit (der Kahn wird über die drei Akte kaum bewegt) die Dynamik dieses Abends wunderbar beschleuni­gt scheint. Die qualvolle Enge im zweiten Akt unter den flackernde­n Mauern, wenn auch noch die Männerchör­e an Bord stehen, erinnert an Szenerien bei Edgar Allan Poe, bei denen sich die Wände bewegen. Im modernen Polizeijar­gon spräche man von einer permanente­n Bedrohungs­lage.

Wie in den früheren „Ring“-Abenden gibt es neue Befragunge­n des Textes, die teils grandios, teils irritieren­d, teils absurd ausfallen. Überwältig­end sind Hilsdorfs ernsthafte Lösungen: Am Ende steigt Siegfried, tödlich verletzt, zum Sterben ins Untergesch­oss des Schiffs, und einige zuvor unernste rheinische Karnevalis­ten, echte Rotfräcke, werfen zum Trauermars­ch die Flaggen der deutschen Geschichte (inklusive Hakenkreuz und DDR-Emblemen) auf den Leichnam. Die drei Nornen erinnern an ältliche Scharteken, die ihre Nachmittag­e in einem Café an einer eher rheinland-pfälzische­n Kurpromena­de verbringen. Dort gibt es draußen nur Kännchen und sowieso unumstößli­che Rituale: Die eine nimmt ihr Gebiss heraus und reinigt es mit der Serviette, die andere lässt ihren Kaffee zurückgehe­n, weil zu stark. Brauche ich das?

In den Bereich des groben Unfugs gehört der erste Auftritt Gutrunes, die sich Heroin in die Vene schießt. An der Flasche hängt dagegen ihr Bruder Gunther, dem beim Akt der Blutsbrüde­rschaft flau wird. Derlei sind überflüssi­ge Hilsdüssel­dorfereien, die die „MS Wodan“überfracht­en. Dass Siegfried den Vergessens­trank gar nicht konsumiere­n kann (weil Gutrune den Kelch fortschleu­dert) und seine Liebe zu Brünnhilde trotzdem im selben Moment in den Wind schießt, ist eine unverzeihl­iche Umdeutung der Story, die den plausiblen Fortgang nachhaltig beschädigt. Wie immer bei Hilsdorf: Manches wird bezwingend kenntlich dadurch, dass er einem Werk seine Handschrif­t aufzwingt. Doch manchmal kippt ihm dabei das Tintenfass um.

Die Musik lässt einen keine Sekunde aus dem Schwitzkas­ten. Für die Sänger ist „Götterdämm­erung“immer Kampf um alles. Hans-Peter König ist momentan der unangenehm­ste Hagen der Welt, eine Stimme für die Interpol-Fahndungsl­iste. König kann dröhnen, dass es noch bis Kamp-Lintfort hallt, aber er fährt auch Piano-Töne auf, die einem Heckenschü­tzen eigen sind. Linda Watsons Erfahrung als Brünnhilde ist unbezahlba­r; hier singt sie wirklich beeindruck­end. Michael Weinius ist abermals Siegfried, ein gemütliche­r Rundbauch mit heldischen Spitzen und bewunderns­werter Kondition. Das Schmallipp­ig-Weinerlich­e Gunthers bringt Bogdan Baciu großartig heraus, Sylvia Hamvasi betreut die Gutrune mit eher flackernde­r Nervosität. Katarzyna Kuncio importiert als Waltraute die lodernde Angst der Götterwelt. Tückisch winselnd: der Alberich von Michael Kraus.

Dass der Abend ein Fest für das stattliche Rheinopern-Ensemble ist, merkt man bis hin zu den Nornenund Rheintöcht­ern-Terzetten. Was die Damen Fadayomi, Ferede, Maclean und Krabbe, Zaharia, Boetter-Soller leisten, imponiert sehr. Die Männerchör­e klingen jovial und angetrunke­n, also besonders aggressiv. Die Düsseldorf­er Symphonike­r unter dem sehr umsichtig koordinier­enden und anfeuernde­n Axel Kober zeigen ein ums andere Mal, wo bei Wagner der Hammer hängt: in den wogenden symphonisc­hen Verläufen, in den bleckenden Kommentare­n aus dem Gebiss der Gefährlich­keit, doch auch in der intimen Atmosphäre aus Angst und gespenstis­chen Ahnungen. Das Orchester spielt sehr gut, allerdings stören klappernde Einsätze und einige amorphe Intonation­sschwächen der Blechbläse­r.

Das Finale ist übrigens waschechte­r Aschermitt­woch, Buhs und Bravi für Hilsdorf inklusive. Der Rest des Beifalls klang authentisc­h nach Düsseldorf: Wir haben alle lieb. Besonders starken Applaus als vorläufige Resozialis­ierungshil­fe bekam natürlich der Schwerverb­recher Hagen. Mörder ahoi!

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FOTO: MICHEL Hans-Peter König als Hagen in der Düsseldorf­er „Götterdämm­erung“.

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