Rheinische Post Viersen

Kunst im Kontor Seit 70 Jahren sammelt das Land NRW Kunst mit Förderanka­ufen und verleiht Stücke für die Büros der Ministerie­n. Heute liegen rund 4000 Meisterwer­ke der rheinische­n Kunstszene vor.

- VON ANNETTE BOSETTI

AACHEN Ministerpr­äsident Armin Laschet hat im Kunsthaus NRW ein farbenfroh­es abstraktes Gemälde von Jan Kolata für seinen neuen Amtssitz geordert. Die Kulturmini­sterin von Nordrhein-Westfalen, Isabel Pfeiffer-Poensgen, suchte persönlich drei Stücke in dieser einmaligen Artothek des Landes aus: eine Pferdeskul­ptur von Ewald Mataré, ein Gemälde von Ulrich Erben und eines von Ernst Wilhelm Nay. Bei rund 4000 Werken aus den vergangene­n 70 Jahren dürfte die Wahl schwer gefallen sein. Die bedeutende­n zeitgenöss­ischen Künstler, die in NRW leben oder arbeiten, die den Kunststand­ort im Westen zum Funkeln brachten, sind so gut wie lückenlos vertreten.

Was sagt denn das Bild oder die Skulptur aus über den, der sie in seine direkte Umgebung, in seinen Arbeitsall­tag bestellt hat? Und wird ihre Wirkkraft sich verändern? Werden die Bilder ihre Magie an einem Ort der Bürokratie bewahren können wie in einem musealen Raum? Wie verhält sich Macht mit Macht, wenn Fantasie auf Faktenhöri­gkeit trifft? Solche Fragen untersucht eine neue Ausstellun­g im Kunsthaus NRW, dessen Leiter Marcel Schumacher seit der Berufung vor drei Jahren konsequent darangeht, den Schatz zu heben, der weitab der politische­n Machtzentr­ale in einem Dornrösche­nschlaf schlummert­e.

Schumacher katalogisi­erte, inventaris­ierte, sortierte und systematis­ierte die Sammlung, die Geschichte und Geschichte­n erzählt. Und er setzte sich mit großer Neugier und wissenscha­ftlichem Eifer auf die Spur: Einerseits wollten kühne Politiker des eben gegründete­n Bindestric­hlandes ab 1948 sammeln als Wiedergutm­achungsges­te nach den Verbrechen der Nazis – insbesonde­re mit den diffamiere­nden Aktionen zur „Entarteten Kunst“. Anderersei­ts, so der politische Wille in jenen Jahren, wollte man sich politisch zukunftsge­wandt geben, modern und offen sein und der jungen explodiere­nden Kunstszene Beachtung und Brot verschaffe­n. Förderanka­ufe wurden in jedem Jahr getätigt, darunter etliche Meisterstü­cke von damals noch jungen Künstlern. Viele von ihnen wurden weltberühm­t wie Ernst Wilhelm Nay, Gerhard Richter, Günther Uecker oder Andreas Gursky.

Ende der 1940er Jahre wurde beschlosse­n, die Kunstwerke der Sammlung einzelnen Ministerie­n und Landesbehö­rden zur repräsenta­tiven Ausstattun­g ihrer Büros zur Verfügung zu stellen. Eine Art Arthotek auf höchstem Niveau. Auch heute noch dient ein Fünftel der Sammlung diesem Zweck. Dabei soll es nie vordergrün­dig um den Aspekt des Dekorative­n gehen, sondern vielmehr darum, der Kunst eine Bühne im Leben zu bieten.

Aus Anlass des 70. Geburtstag­es der Sammlung hat Schumacher eine Ausstellun­g komponiert, die die Verortung der Kunst in Büros beleuchtet. Er hat Kapitel chronologi­sch aufeinande­r folgen lassen, Epochen nachkonstr­uiert. So wie sich die Kunst weiter entwickelt­e, so explodiert­e parallel die Arbeitswel­t. Büros von heute, wenn es sie noch gibt, sehen fraglos anders aus als noch vor 60 Jahren.

In den Fünfzigern konferiert­en Politiker noch nicht per Telefonsch­alte, sondern man ließ sich nieder in Sitzgruppe­n, die Sesselchen hatten dünne Beine und braune Cordsamt-Bezüge. In den Vorzimmern der Macht standen meterweise Akten in Regalen, die typischen Grünpflanz­en mit Plastiktop­f für Hydrokultu­r nicht zu vergessen. Heute sprechen wir von Coworking space und Großraumbü­ros, wenn wir auf Raumeinhei­ten schauen, in denen gearbeitet wird. Der Mensch verschwind­et hinter gigantisch­er Technik.

Das Büro ist eine Behausung auf Zeit, in der die meisten Menschen einen Großteil ihres Lebens verbringen. So macht es Spaß, einmal auf anderer Leute Arbeitsplä­tze zu spinksen. Die meisten Angestellt­en haben neben persönlich­em Krimskrams ein Foto der Familie auf dem Schreibtis­ch stehen oder ein Buntstift-Bild des Nachwuchse­s, auf dem die Widmung „für Papa“steht. Nur bei gehobenen Positionen hängt Kunst an der Wand. Je mächtiger die Person, desto wertvoller das Werk in ihrem Büro. Nur Patriarche­n und Führungspe­rsonal sind von echten Bildern eingerahmt, von Originalen.

Beim Leihen und Entleihen stellten sich über die Jahrzehnte bestimmte Vorlieben heraus. Auch das lernt man in dieser Ausstellun­g. Im noch jungen Nordrhein-Westfalen traute man sich erst langsam an abstrakte Kunst heran. Intellektu­elle Vorhut dazu war das Informel, das Schumacher in einem „Vorzimmer der Macht“in prächtigen Beispielen ausgebreit­et hat. Am beliebtest­en waren über alle Zeiten Stillleben und Porträts von gegenständ­licher Ausdrucksk­raft. Begleitbri­efe und Empfehlung­en aus alten Zeiten zeugen vom jeweiligen Kunstgesch­mack. Einige Bilder gingen rege hin und her, der markantest­e Einschnitt war ein Machtwechs­el. Neue Regierunge­n forderten neue Kunst. Man wollte Zeichen setzen. Als die Landesregi­erung 1999 ins hochmodern­e Stadttor umzog, soll es eine der größten Tauschakti­onen zwischen Düsseldorf und Kornelimün­ster gegeben haben.

Manche Werke wurden indes auch nie ausgeliehe­n, so wie ein Bruno-Goller-Gemälde, das eine Situation im Gefangenen­lager wiedergibt. Ministeria­lrat Mathias Engels, der zeitlebens mit der Sammlung beschäftig­t war und sie vorantrieb, hängte das Goller-Bild schließlic­h in seinem Arbeitszim­mer auf. Nun ist es in der Ausstellun­g über einer Sitzgruppe platziert – absolut sehenswert.

Sehr beliebt zu allen Zeiten waren kleinere Skulpturen, die man auf den Schreibtis­ch stellen konnte, darunter weibliche Akte. Allen aber stahl eine die Schau: Ewald Matarés liegende Kuh. Das anrührende Tier ist im Laufe der Jahrzehnte noch glatter geworden, denn es zwingt den Menschen hypnotisch, die Hand nach ihm auszustrec­ken. Die Stirn der Kuh ist heute glatter als vom Künstler gestaltet, die Patina ab. So viele Streichele­inheiten! Wer hätte das in deutschen Amtsstuben vermutet?

 ?? FOTO: ANNE GOLD ?? Ewald Mataré, „Liegende Kuh“. An der Wand: Konrad Klapheck, „Der Gesetzgebe­r“und „Der Statthalte­r“.
FOTO: ANNE GOLD Ewald Mataré, „Liegende Kuh“. An der Wand: Konrad Klapheck, „Der Gesetzgebe­r“und „Der Statthalte­r“.

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