Rheinische Post Viersen

Am Ende seines Weges

Horst Seehofer tritt ab. Vom Macher absoluter Mehrheiten wurde er zum Dauer-Störenfrie­d.

- VON GREGOR MAYNTZ

Die CSU-Klausur ist zu Ende. Wie zufällig schlendert ein hochgewach­sener Mann durch den Festsaal von Wildbad Kreuth, kommt mit zwei Journalist­en ins Gespräch. Schnell bildet sich eine Traube von Menschen um ihn. Auch CSU-Abgeordnet­e strömen hinzu. Es ist die Hoch-Zeit des Horst Seehofer. Was er sagt, wird Gesetz. Keiner wagt, ihm zu widersprec­hen, auch wenn er selbst gerade wieder die Meinung wechselt. Die Gegner nennen die ständigen Wendemanöv­er „seehofern“. Ihn ficht das nicht an. Er steht für absolute Mehrheit, für sicheres Gespür für das, was Wähler wollen. Ein knappes halbes Jahrzehnt ist diese Zeit nun her. Und so wiederholt­e sich das Schauspiel von Kreuth Jahr für Jahr, auch an anderen Orten. Vielleicht erinnert sich Seehofer zu dieser Zeit daran, dass es auch mal anders war, und ahnt, dass es mal anders sein wird.

2007 war es anders. Da zog sich Edmund Stoiber unter massivem Druck seiner Partei zurück. Seehofer wollte übernehmen, wurde aber von Erwin Huber und Günther Beckstein beiseite gedrückt. Ein Jahr später kam Seehofers große Chance. Der neue CSU-Chef und der neue Ministerpr­äsident hatten die absolute Mehrheit für die CSU verloren, schafften nur noch 43 Prozent. Da war der Ingolstädt­er Arbeiterso­hn mit viel Regierungs­erfahrung als Gesundheit­sminister unter Helmut Kohl und Agrarminis­ter unter Angela Merkel nicht mehr zu verhindern. Seehofer konsolidie­rte die CSU, holte die absolute Mehrheit zurück und pries den Job, von dem jeder Christsozi­ale träumt, schwärmte von Bayern als der „Vorstufe zum Paradies“.

2017 fängt er an, die „Vorstufe“wegzulasse­n. Nun beschwört er das „Paradies“, zu dem Bayern unter ihm geworden sei. Ist es das erste Anzeichen dafür, den Kontakt zu den harten Realitäten verloren zu haben? Schon Jahre zuvor hat er damit begonnen, Vorkehrung­en für seine Nachfolge zu treffen. Um den ehrgeizige­n Markus Söder zu verhindern, holt er Ilse Aigner aus dem Bundeskabi­nett nach München. Aber die hat andere Qualitäten, als Söder nach allen Regeln der Ellenbogen­kunst kaltzustel­len. So spricht Seehofer selbst von „Schmutzele­ien“Söders und davon, dass der charakterl­iche Defizite habe. Der sammelt hinter Seehofers Rücken immer mehr Unterstütz­er und engt Seehofers Spielraum ein. Er bleibt zwar der Löwe in Bayern, aber mit schwindend­em Durchsetzu­ngsvermöge­n. Er startet die Serie von Rücktritts­angeboten und Rücktritte­n von Rücktritts­ankündigun­gen. Mal will er Söder den Parteivors­itz überlassen, ihn nach Berlin schicken und selbst Regierungs­chef bleiben, mal versucht er andere gegen ihn in Stellung zu bringen. Am Ende muss er einsehen, dass es auf Söder als Regierungs­chef und Spitzenkan­didat für die alles entscheide­nde Landtagswa­hl zuläuft.

Es gehört wohl zu den bitteren Erkenntnis­sen für einen Mann nach Jahren der Traubenbil­dung um ihn herum, beim jüngsten CSU-Parteitag im September nur noch mit höflichem Beifall bedacht zu werden, während sein arger Widersache­r die Jubelstürm­e erntet. Wie es in ihm aussieht, macht eine kleine Geste deutlich. In den Schlussapp­laus hinein springt der 69-Jährige auf und steigt auf einen wackligen Stuhl. Mehr als einmal haben seine Parteifreu­nde Seehofers angegriffe­ne Gesundheit erlebt, seit ihn eine Herzmuskel­entzündung fast das Leben gekostet hatte. Als könne er mit diesem Stuhl-Akt die bösen Geister um seine berufliche Zukunft verscheuch­en, winkt er von erhöhter Warte.

Dabei sagen die Umfragen einen Monat vor der Bayernwahl bereits ein Debakel voraus, geht es eigentlich nur darum, ob der jüngere Spitzenkan­didat oder der ältere Parteichef dafür gehen muss. Nach der Inflation von Rücktritts­angeboten richten sich die CSU-Granden darauf ein, dass es Seehofer sein wird.

Der hat Erfahrung damit. Schon 2004 hat er es gemacht, hat der damaligen Fraktionsc­hefin Angela Merkel den Stellvertr­eterposten vor die Füße geworfen, weil er ihre Gesundheit­sprämie nicht mittragen wollte. 2015 entwickelt sich die vorübergeh­ende Meinungsdi­fferenz zwischen beiden Parteichef­s zu einem dauerhafte­n Zerwürfnis. Als Merkel ihn Anfang September angesichts der nahenden Flüchtling­e aus Ungarn zu erreichen versucht, geht er auf Tauchstati­on. Er hat sich über sie geärgert, weil sie den Hundertjäh­rigen von CSU-Idol Franz Josef Strauß nicht mit ihrer Anwesenhei­t zieren wollte. Nun muss sie damit leben, dass er ihr schon bald „Staatsvers­agen“und „Kontrollve­rlust“bescheinig­t und eine Verfassung­sklage gegen die eigene Bundesregi­erung vorbereite­t.

Er reicht sie nicht ein, aber er bleibt bei seiner Wortwahl, auch wenn er erreicht, dass Merkel die Willkommen­skultur Schritt für Schritt in eine gesetzlich­e Begrenzung­sund Abwehrprax­is verwandelt. Wieder und wieder nimmt er Anlauf, um ihr das Wort „Obergrenze“abzutrotze­n – ohne zu merken, wie er mit seiner Radikalkri­tik die Wahlchance­n der Union verkleiner­t, die der Rechten vermehrt. Kopfschütt­eln und Verbitteru­ng löst er aus, als er im Frühsommer wegen einer Handvoll Zurückweis­ungen an den Grenzen Koalition und Union an den Rand der Spaltung bringt.

Mit der Einverleib­ung des Bausektors in das Innenminis­terium versucht er, an die Anfänge als Sozialpoli­tiker anzuknüpfe­n. Doch im riesigen Ressort eilt er stattdesse­n von Brandherd zu Brandherd, hat auch die Maaßen-Personalie nicht wirklich im Griff, bis der Verfassung­sschutzche­f mit Fußtritt geht.

Was wird bleiben? Die Erkenntnis, dass auch im 21. Jahrhunder­t noch absolute Mehrheiten möglich sind? Oder das Drama von dem verbohrten Störenfrie­d, der eine Partei, eine Fraktion, eine Regierung runterzieh­en kann? Das Aufatmen über seinen Abgang als Parteichef wird geschmäler­t durch seinen Willen, vorerst Innenminis­ter zu bleiben. Dabei weiß er selbst, dass er am Ende seines Weges angekommen ist.

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 ??  ?? 2015 beim CSU-Parteitag in München: die Zurechtwei­sung der Bundeskanz­lerin auf offener Bühne wegen ihrer Flüchtling­spolitik.
2015 beim CSU-Parteitag in München: die Zurechtwei­sung der Bundeskanz­lerin auf offener Bühne wegen ihrer Flüchtling­spolitik.
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2009 mit seiner Frau Karin in Ingolstadt. Mit ihr hat er drei Kinder, außerdem eine Tochter aus einer anderen Beziehung.
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2003 handelte Seehofer mit Ulla Schmidt (SPD) einen Gesundheit­skompromis­s aus – „eine der schöneren Nächte in meinem Leben“, sagt er später.
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1998, kurz vor der Wahlnieder­lage der schwarz-gelben Koalition, mit Helmut Kohl im Bundestag.

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