Rheinische Post Viersen

Wien im Russland-Dilemma

Eine vergleichs­weise harmlose Spionageaf­färe gefährdet nicht nur Österreich­s Ruf als verlässlic­hes Partnerlan­d. Sie stellt auch die Beziehunge­n zu Moskau auf eine harte Probe.

- VON RUDOLF GRUBER

WIEN Am Wochenende wurde Martin M., pensionier­ter Oberst des österreich­ischen Bundesheer­es, verhaftet. Er habe, so gab die rechtskons­ervative Regierung bekannt, 20 Jahre lang für Russland spioniert und dafür insgesamt 300.000 Euro Honorar kassiert. Der 70-jährige Salzburger sei voll geständig. Den Hinweis habe ein „befreundet­er Dienst“geliefert – Medien mutmaßen, ein deutscher. Und noch ein Fall wurde bekannt: Ein Mitarbeite­r des Verfassung­sschutzes soll ebenfalls für Moskau spioniert haben.

Wie schwer der Verrat wiegt und ob der Informant Zugang zum Informatio­nsaustausc­h mit anderen Staaten hatte, darüber schweigt sich die Regierung noch aus. Verteidigu­ngsministe­r Mario Kunasek sagte nur, der Oberst sei 2013 pensionier­t worden. Seine elektronis­chen Geräte, darunter ein Laptop, würden untersucht. Seine Kontaktper­sonen seien an Waffensyst­emen, Daten zur Zuwanderun­g nach Österreich und Fakten über österreich­ische Persönlich­keiten interessie­rt gewesen.

Experten schätzen indes den Fall als wenig bedeutsam ein, Österreich ist kein Nato-Mitglied. Der Ex-Offizier dürfte lediglich Details über Personal und Strukturen des Bundesheer­es preisgegeb­en haben. Der eigentlich­e Skandal sei vielmehr, so der Geheimdien­stexperte Siegfried Beer, dass der Spion erst jetzt entlarvt worden sei.

Dafür wiegt der außenpolit­ische Schaden umso schwerer. Beobachter fragen sich, warum die Regierung eine vergleichs­weise unbedeuten­de Spionagege­schichte so hoch hängt und damit das bislang pragmatisc­he Verhältnis zu Russland auf die Probe stellt. Beide Länder bestellten die jeweiligen Botschafte­r ein. Russlands Außenminis­ter Sergej Lawrow zeigte sich von der Wiener Regierung „unangenehm überrascht“und warf ihr vor, sein Land mit „nicht bewiesenen Anschuldig­ungen“öffentlich zu diskrediti­eren. Statt internatio­nale Regeln einzuhalte­n, betreibe Wien „Megaphon-Diplomatie“. Die Regierung in Wien hätte entspreche­nd den diplomatis­chen Gepflogenh­eiten die Vorwürfe direkt an Russland richten sollen.

Im Gegenzug sagte Österreich­s Außenminis­terin Karin Kneissl einen für Anfang Dezember geplanten Moskau-Besuch ab. Sollte sich der Spionageve­rdacht bestätigen, würde dies für die Beziehunge­n „eine schwerwieg­ende Belastung“bedeuten, so Kneissl.

Für Russland, als Nachfolges­taat der Sowjetunio­n Signatarma­cht des österreich­ischen Staatsvert­rags von 1955, zählte die neutrale Alpenrepub­lik nie ganz zum Westen. Moskau sieht es als Schwachste­lle in der europäisch­en Gemeinscha­ft. Entspreche­nd argwöhnisc­h sind EU-Partner und Nato-Länder, inwieweit man mit Österreich sicherheit­spolitisch­e und militärisc­he Informatio­nen teilen könne.

Dieses Misstrauen hat sich seit Amtsantrit­t der rechtskons­ervativen Regierung vor knapp einem Jahr massiv verstärkt, nachdem Kurz als Preis für seine Kanzlersch­aft sämtliche Sicherheit­sministeri­en (Außen, Innen und Verteidigu­ng) der mitregiere­nden Rechtspart­ei FPÖ überlassen hatte. Deren Chef und Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache gilt als besonders russlandfr­eundlich; in seiner FPÖ wird Kremlchef Wladimir Putin als starker Führer und politische­s Vorbild gepriesen. Strache schloss mit dessen Partei Einiges Russland sogar einen „Freundscha­ftsvertrag“, unterstütz­t entgegen dem EU-Kurs Moskaus aggressive Nachbarsch­aftspoliti­k gegen die Ukraine und dessen geostrateg­ische Interessen auf dem Balkan. Für alle Welt sichtbar wurde diese Anbiederei, als sich Außenminis­terin Kneissl, die Strache den Posten verdankt, vor ihren prominente­n Hochzeitsg­ast Putin tief verneigte.

Kanzler Kurz, derzeit EU-Ratsvorsit­zender, versteht sich als „Brückenbau­er“zwischen West und Ost, fährt aber auf Druck der FPÖ eher einen außenpolit­ischen Zickzack-Kurs. So forderte Kurz wiederholt öffentlich das Ende der westlichen Sanktionen gegen Russland, stimmt aber im EU-Rat regelmäßig für deren Verlängeru­ng. Auch in der Giftanschl­agaffäre Skripal musste Kurz den EU-Konsens verlassen und durfte keine russischen Diplomaten ausweisen.

„Im Moment verlangen wir von der russischen Seite transparen­te Informatio­n“, sagte Kurz jetzt. Auf der Basis vorliegend­er Informatio­nen könne man davon ausgehen, dass der Verdacht gegen den Oberst bestätigt werde. Der Vorfall und kürzlich erhobene Vorwürfe mutmaßlich­er russischer Spionage in den Niederland­en verbessert­en nicht die Beziehunge­n zwischen Russland und der EU. (mit ap, dpa)

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FOTO: AP Im August war der russische Präsident Wladimir Putin Gast auf der Hochzeit von Österreich­s Außenminis­terin Karin Kneissl.

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