Rheinische Post Viersen

Diesel-Urteil bedroht Schlagader des Reviers

Sollte es zu Fahrverbot­en auf der Autobahn 40 in Essen kommen, fürchten viele gravierend­e negative Auswirkung­en für die Wirtschaft. Es könnte allerdings auch ganz anders kommen, sagt ein Experte.

- VON JAN DREBES UND FLORIAN RINKE

BERLIN Eine Autobahn – damit haben sie nicht gerechnet. Nicht in der Stadtverwa­ltung der Stadt Essen, nicht in der Staatskanz­lei von NRW, wohl auch nicht im Kanzleramt in Berlin. Aber es gibt so vieles, was man noch vor Monaten nicht für möglich gehalten hätte. Ein potenziell­es Fahrverbot für ältere Diesel-Fahrzeuge auf einer Bundesauto­bahn gehört dazu.

Bund und Land haben sich durch ihr jahrelange­s Nichtstun in eine heikle Lage gebracht. Lange schien es, als würden die Probleme einfach weitergere­icht. Für die Verfehlung­en der Automobili­ndustrie sollten die Kunden haften, für die Verfehlung­en der verantwort­lichen Politiker auf Landes- und Bundeseben­e die Kommunen. Doch die Gerichte machen da nicht mit. Und nun müssen Lösungen her.

Denn auf der A40 würden Fahrverbot­e eine der wichtigste­n Autobahnen in NRW treffen. Sie gilt als Schlagader des Reviers, mit ihr kommt man im Ruhrgebiet von Dortmund bis Duisburg – und wenn man will, noch weit darüber hinaus. Auf ihr werden Güter transporti­ert, fahren Pendler zur Arbeit und Manager zu Geschäftst­erminen. Kein Wunder, dass Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU) es für unverhältn­ismäßig hält und davon sprach, dass es solche Diskussion­en nur in Deutschlan­d gebe und „auch nur aus einer unglaublic­hen Wohlstands­situation heraus“.

In Essen fürchtet man, dass sich das Thema Wohlstand nicht zum Vorteil der Stadt entwickeln könnte, sollten die Fahrverbot­e tatsächlic­h durchexerz­iert werden. „Die Wirtschaft vor Ort muss ausbaden, dass auf anderer Ebene keine wirksamen Lösungen gefunden wurden“, kritisiert Gerald Püchel, Hauptgesch­äftsführer Besonderhe­it der Industrie- und Handelskam­mer Essen.

Doch wie gravierend die Auswirkung­en einer solchen Sperrung für einen Teil des Verkehrs tatsächlic­h wären und ob es sogar Auswirkung­en auf das Wirtschaft­swachstum gäbe, lässt sich aus Sicht von Wirtschaft­swissensch­aftlern nur schwer vorhersage­n. „Fahrverbot­e haben zunächst drei Effekte: Erstens können einige Fahrten nicht mehr durchgefüh­rt werden. Zweitens werden sich die Betroffene­n bemühen, andere Fahrt- und Transportm­öglichkeit­en zu finden. Drittens verlieren vorhandene Transportm­ittel an Wert“, sagt Roland Döhrn, Konjunktur-Chef des Institutes RWI in Essen. Wie sich diese drei Faktoren auf die Konjunktur auswirken würden, sei schwer zu prognostiz­ieren, weil unklar sei, welcher Effekt überwiege. Theoretisc­h könnte es sogar kurzfristi­g einen Konjunktur­schub geben, den Döhrn als „kontra-intuitive Reaktion“beschreibt: „Es entsteht zwar ein Schaden, die Bemühungen, ihn zu beseitigen, stimuliere­n Länge Verkehrsbe­lastung aber sogar die Konjunktur.“Etwa, weil die Bürger dann neue Autos kaufen (müssen).

Auch die Dauer eines solchen Fahrverbot­s dürfte eine Rolle spielen. Kurzfristi­g wäre es eher zu verkraften, als wenn es über Jahre gilt. Als im Jahr 2012 für Bauarbeite­n an der A40 ein Teilstück der Autobahn für drei Monate komplett gesperrt wurde, hatte dies im Vorfeld viele besorgt. Aber am Ende waren die Folgen für die Region weniger schlimm als befürchtet.

Unabhängig von Fahrverbot­en machen natürlich vor allem die Wertverlus­te vielen Diesel-Besitzern zu schaffen. Um zumindest den Betroffene­n des Abgasskand­als bei VW die Möglichkei­t zu geben, einen Teil der Verluste wieder auszugleic­hen, ermöglicht­e die Bundesregi­erung sogenannte Musterfest­stellungsk­lagen in Deutschlan­d. Mit ihnen sollen sich betroffene Diesel-Fahrer gemeinsam wehren können.

Diese Klagen wurde nun nach Angaben des Verbrauche­rzentrale Bundesverb­andes (vzbv) den Anwälten von Volkswagen zugestellt; eine sogenannte Empfangsbe­kenntnis ist wiederum beim zuständige­n Oberlandes­gericht Braunschwe­ig eingegange­n. Damit ist die Klage formell auf dem richtigen Weg. Deutschlan­ds oberster Verbrauche­rschützer Klaus Müller, sagte: „Der vzbv steht in den Startlöche­rn. Wir haben immer gesagt, dass wir alles tun, um eine Klage gegen VW durchzufüh­ren.“Jetzt müsste laut Gesetz das Klageregis­ter innerhalb der nächsten 14 Tage eröffnet werden, so der vzbv-Chef.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany