Rheinische Post Viersen

20 Jahre Streit um die Grundsteue­r

Die Grundsteue­r betrifft fast jeden – Immobilien­eigentümer wie Mieter. Bis Ende 2019 muss sie reformiert werden, so das Verfassung­sgericht. Lange hat Finanzmini­ster Scholz mit einem Vorschlag gewartet. Jetzt liegt er vor.

- VON BIRGIT MARSCHALL

Das Echo auf den Vorschlag von Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) zur Reform der Grundsteue­r war fast einhellig negativ: Immobilien­verbände, Mieterbund und Opposition­sparteien – alle geißelten den Ansatz von Scholz als kaum umsetzbar, zu bürokratis­ch und sozial ungerecht. Nur die Länder und Kommunen, die die Reform für die bundesweit 36 Millionen Immobilien­einheiten umsetzen müssen, blieben auffallend still. Allein Bayern meldete Protest an, die anderen Länder hielten sich zurück. Kein Wunder, denn die Länder sind auf eine schnelle Einigung mit Scholz angewiesen, ihnen läuft die Zeit davon. Am Ende sind Scholz und die Ländermehr­heit auch gar nicht so weit auseinande­r, und wichtige Details seines Vorschlags könnten tatsächlic­h umgesetzt werden. Dazu die wichtigste­n Fragen und Antworten.

Warum braucht es eine Neuregelun­g? Im April hatte das Bundesverf­assungsger­icht die bisherige, jahrzehnte­lang geltende Berechnung der Grundsteue­r für verfassung­swidrig erklärt. Der Grund: Die zugrunde liegenden Einheitswe­rte für die Grundstück­e sind veraltet. In Westdeutsc­hland wurden sie zuletzt 1964, in Ostdeutsch­land sogar 1935, also vor dem Zweiten Weltkrieg, festgelegt. Seitdem hat sich vieles verändert in Deutschlan­d: Was einst wertvoll war, ist heute wertlos – und umgekehrt. So kommt es, dass Eigentümer von sehr werthaltig­en Grundstück­en etwa an der Hamburger Elbchausse­e bis heute eine eher geringe Grundsteue­r zahlen, während andere in ärmeren Regionen etwa in Hamburg-Horn eher zu hoch besteuert werden. Das Gericht gab dem Gesetzgebe­r vor, bis Ende 2019 durch eine Reform für mehr Gleichbeha­ndlung der Immobilien­eigner zu sorgen. Die Neuregelun­g solle dann spätestens 2025 wirksam werden.

Wie berechnet man bisher die Grundsteue­r? Bisher sind drei Faktoren für die Berechnung maßgeblich: der Einheitswe­rt, die Steuermess­zahl und der Hebesatz der Kommune. Die Steuer errechnet sich aus der Multiplika­tion dieser drei Faktoren. Ein Beispiel: Der Einheitswe­rt beträgt 100.000 Euro. Für Wohnungen liegt die gesetzlich bundesweit festgelegt­e Steuermess­zahl bei 3,5 von 1000. Daraus errechnet sich ein Betrag von 350 Euro. Diese werden mit dem Hebesatz multiplizi­ert, einem Steuersatz, der von der Kommune festgelegt wird. Liegt er zum Beispiel bei 500, ergibt sich eine Grundsteue­r von 1750 Euro pro Jahr, die in vierteljäh­rlichen Raten zu zahlen ist.

Was schlägt Scholz vor? Die Reform solle verfassung­skonform, rechtssich­er, sozial gerecht und aufkommens­neutral sein, so Scholz. Er plädiert für ein wertabhäng­iges Reformmode­ll – der individuel­le Wert der Immobilie soll bei der Berechnung der Grundsteue­r künftig eine stärkere Rolle spielen. Der Einheitswe­rt soll aus fünf Komponente­n errechnet werden: Nettokaltm­iete, Wohnfläche, Baujahr, Grundstück­sfläche und regionaler Bodenricht­wert. Diese Werte sollen die Finanzbehö­rden Anfang 2020 erhalten, weil jeder Immobilien­besitzer verpflicht­et werden soll, dann eine Steuererkl­ärung mit diesen Daten abzugeben. Bei vermietete­n Immobilien soll die tatsächlic­he Nettokaltm­iete eingetrage­n werden, bei selbst genutztem Eigentum eine fiktive Miete, die mithilfe des sechsstufi­gen Wohngeldat­lasses des Bundes errechnet werden soll. Wie genau das gehen soll, werde noch festgelegt, hieß es. Für Gewerbegru­ndstücke und nicht bebaute Grundstück­e soll alles beim Alten bleiben.

Welche Folgen hat das für Immobilien­besitzer? Da die Nettokaltm­iete einfließt in die Berechnung, wird es in Wohnlagen mit hohen Mieten auch zu höheren Steuern kommen. Damit wird vor allem in den Großstädte­n gerechnet. Ein besonderer Fall ist Berlin, wo im Westteil wegen der Einheitswe­rte von 1964 deutlich mehr Steuer bezahlt werden muss als im Ostteil, wo noch die Einheitswe­rte von 1935 gelten. In stark nachgefrag­ten Wohnlagen wird die Grundsteue­r steigen, besonders stark aber in Ostberlin. Eigentümer sollen im Schnitt aber allenfalls „einen niedrigen bis mittleren zweistelli­gen Euro-Betrag pro Jahr“mehr bezahlen müssen, hieß es im Finanzmini­sterium.

„Die Steuer steigt maximal um einen niedrigen bis mittleren zweistelli­gen Euro-Betrag“Bundesfina­nzminister­ium

Wie kommt der Vorschlag an? Da in den Ballungsrä­umen mit einer Steuererhö­hung zu rechnen ist und dadurch die Mieten weiter steigen dürften, hagelte es Kritik von Eigentümer­n, Mieterbund und Opposition. Immobilien­wirtschaft, Eigentümer­verband, Ökonomen sowie der Freistaat Bayern trommelten erneut für ein wertunabhä­ngiges Modell, das die Ländermehr­heit aber nicht unterstütz­t. Dabei würde die Grundsteue­r schlicht nach der Grundstück­s-, Wohn- und Nutzfläche berechnet. Nachteil wäre, dass teure Immobilien genauso besteuert würden wie günstige. Der Mieterbund machte sich dagegen für das Bodenwertm­odell stark. Hier würde die Grundsteue­r allein nach dem Wert eines Grundstück­s bemessen.

Was wollen die Länder? Die Mehrheit der Länder hatte schon 2016 ein sogenannte­s Kostenwert­modell favorisier­t, bei dem die Herstellun­gskosten einer Immobilie maßgeblich sind. Es kommt dem von Scholz vorgeschla­genen Modell nahe. Neu bei Scholz ist vor allem der Bezug auf die Nettokaltm­ieten.

Wie geht es jetzt weiter? Am heutigen Mittwoch stellt Scholz sein Modell den Länderkoll­egen vor. Bis Jahresende will er mit den Ländern Einigkeit erzielen, im Frühjahr den Gesetzentw­urf vorlegen und ihn bis Jahresende 2019 durch Bundestag und Bundesrat bringen. Der gemeinsame Vorschlag von Bund und Ländern dürfte trotz aller Kritik dem von Scholz ähnlich sein.

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