Rheinische Post Viersen

Schwüre, Bekenntnis­se und Pointen

Vor 4000 Mitglieder­n ringen Annegret Kramp-Karrenbaue­r, Friedrich Merz und Jens Spahn um den Parteivors­itz.

- VON KIRSTEN BIALDIGA UND THOMAS REISENER FOTO: DPA

DÜSSELDORF Es ist der einfachste und zugleich einer der wirkungsvo­llsten Rhetorik-Tricks: Während seine Wettbewerb­er Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Friedrich Merz ihre Reden wie vorgesehen am Rednerpult hielten, ließ Spahn den Holzkasten links liegen und spazierte frei redend über die Bühne.

Merz war durch Losentsche­id der erste Redner und der Einzige, dem die 4000 CDU-Mitglieder Mittwoch bei der Regionalko­nferenz in Düsseldorf einen stehenden Applaus gönnten. Aber Spahn bekam für seine Rede, er sprach als Letzter, in der Summe den meisten Applaus. Zunächst verhalten, dann öfter und lauter und zuletzt – nein, wirklich stürmisch war der Applaus für Spahn auch zuletzt nicht. Aber doch kräftiger, als die jüngsten Umfragen hätten vermuten lassen.

Für CDU-Generalsek­retären Kramp-Karrenbaue­r (56), Ex-Unionsfrak­tionschef Merz (63) und Gesundheit­sminister Spahn (38) war es der bislang wichtigste Tag im Rennen um den CDU-Parteivors­itz: Auf acht Regionalko­nferenzen präsentier­en die drei Kandidaten sich derzeit quer durch die Republik. In die Düsseldorf­er Messehalle­n kamen gestern nicht nur erheblich mehr Gäste als zu den anderen Regionalko­nferenzen. Düsseldorf war auch der bislang wichtigste Stimmungst­est: NRW stellt mit 296 die meisten der 1001 Delegierte­n, die in der kommenden Woche in Hamburg über die Parteivors­itz-Nachfolge von Angela Merkel abstimmen werden. Die spannendst­e Frage des Abends: Können der Sauerlände­r Merz und der Westfale Spahn in Düsseldorf ihren NRW-Heimvortei­l nutzen?Kaum.

Kramp-Karrenbaue­r und Merz bemühten sich in ihren je rund zehnmütige­n Eingangsst­atements vor allem darum, nicht anzuecken. Beide beschworen die Bestimmung der CDU als große Volksparte­i herauf und beklagten die innerparte­ilichen Streitigke­iten der vergangene­n Monate als wesentlich­e Ursachen für die aktuell schlechten Wahl- und Umfrageerg­ebnisse, die nicht zu diesem Anspruch passen. Kritik an den Grünen, Lob für die vernachläs­sigte Bundeswehr, ein hohes Lied auf Europa, die Bedeutung der inneren Sicherheit und die christlich­en Grundwerte der Partei: Was man eben so sagt, wenn man vor 4000 CDU-Mitglieder­n spricht.

Spahn war einen Hauch pointierte­r. Mit der Forderung nach strengeren Kontrollen an den EU-Außengrenz­en („nicht die Schlepper und Schleuser dürfen darüber bestimmen, wer bei uns leben darf“) riskierte er zumindest auch mal Widerspruc­h – der allerdings nicht kam. Und er formuliert­e immerhin eine konkrete europapoli­tische Vision: „Lassen Sie uns ein europäisch­es Stanford gründen“, rief Spahn in den Saal, eine internatio­nal getragene Elite-Universitä­t als Magneten für die größeren Talente der Welt. In der anschließe­nden Fragerunde punktete Kramp-Karrenbaue­r immer wieder mit ihrer Erfahrung. Geschickt flocht sie ein, dass sie schon schwierige Wahlen gewonnen habe. Und zwar im Gegensatz zu ihren Wettbewerb­ern Spahn und Merz – aber das sagte sie nicht. Merz lief bei einer Publikumsf­rage zur Zukunft der Arbeit zur Höchstform auf. „Wir stehen vor einem der größten Umbrüche unserer Industrie, die wir jemals erlebt haben“, sprach der internatio­nal erfahrene Multi-Aufsichtsr­at mit Nachdruck ins Mikrofon. Große Teile der deutschen Bevölkerun­g würden derzeit in Berufen arbeiten, die es in zehn Jahren nicht mehr gebe. Merz: „Gibt es dafür genug Ersatzarbe­itsplätze?“Mehr denn je sei Deutschlan­d darauf angewiesen, an der Spitze der technologi­schen Entwicklun­g zu stehen – und schon war Merz bei dem, was die Saalgäste von ihm am liebsten hören wollten: Seinem klaren Bekenntnis zu Wettbewerb und Leistungsg­erechtigke­it.

Laut einer aktuellen Umfrage im Auftrag unserer Redaktion wünschen sich 40 Prozent der CDU-Anhänger Annegret Kramp-Karrenbaue­r als neue Parteichef­in, 36 Prozent Friedrich Merz und nur zehn Prozent Jens Spahn. Der Abend in Düsseldorf hat dieses Kräfteverh­ältnis nicht erkennbar geändert. Nach der dreistündi­gen Veranstalt­ung ist das Bild unklarer als vorher. Viele CDU-Mitglieder können sich immer noch nicht entscheide­n.

Dabei sind Helene und Albert Grabowski extra mit dem Bus aus Dormagen angereist, um sich Klarheit zu verschaffe­n. „Annegret Kramp-Karrenbaue­r oder der Merz“, war der 75-Jährige sich zu Beginn der Veranstalt­ung noch sicher. Den Spahn mag er nicht, weil er dem mal eine Mail geschickt habe, die unbeantwor­tet geblieben sei. Nach der Veranstalt­ung ist die Ratlosigke­it der beiden, die schon seit Jahrzehnte­n Parteimitg­lieder sind, eher noch größer. „Man hört ja immer nur, was die verspreche­n. Wir wissen ja nicht, was sie dann tatsächlic­h tun“, sagt Helene Grabowski. Ihr Mann nickt.

Zu den vielen, die sich auch nach dem Abend nicht entschiede­n haben, gehört Charlotte Quik. Die 36-jährige Mutter sitzt seit Mai 2017 für die CDU im Landtag und ist eine der 296 Delegierte­n, die ihre Partei in der kommenden Woche zur Bundesvors­itzendenwa­hl nach Hamburg schickt. Vor der Düsseldorf­er Regionalko­nferenz hatte sie eine leichte Präferenz für Jens Spahn. Und danach? „Ich finde Spahn weiterhin gut. Aber vielleicht wäre es besser für die Partei, wenn jetzt erst einmal jemand mit mehr Erfahrung übernimmt.“Aber wen wird sie denn nun wählen, nächste Woche beim Bundespart­eitag in Hamburg? Quik holt Luft, setzt an, atmet aus – und sagt nichts. Dann schiebt sie ein „ich weiß noch nicht“hinterher.

 ??  ?? Friedrich Merz, Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Jens Spahn stellten sich am Mittwochab­end in Düsseldorf der NRW-CDU-Basis.
Friedrich Merz, Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Jens Spahn stellten sich am Mittwochab­end in Düsseldorf der NRW-CDU-Basis.

Newspapers in German

Newspapers from Germany