Rheinische Post Viersen

David ist der Torwart

Inklusion im Sport kann funktionie­ren, wenn engagierte Vereinsleu­te auf gute Ideen kommen. Beim SV 1920 Teutonia Überruhr ist das so. In Sport-Deutschlan­d indes gibt es Nachholbed­arf.

- VON GIANNI COSTA UND JESSICA BALLEER FOTO: AKTION MENSCH/THILO SCHMÜLGEN

ESSEN David ist Torwart beim SV 1920 Teutonia Überruhr. Das ist seine Position, das ist seine Leidenscha­ft. David hat allerdings ein Handicap: Er sitzt wegen einer frühkindli­chen Hirnschädi­gung im Rollstuhl. „Überhaupt kein Problem“, sagt Team-Trainer Kai Gatzke und räumt alle möglichen Nachfragen gleich ab. „Er ist unser Torwart, und er macht das gut.“

Vor drei Jahren hat Jugendleit­er Mirko Börner das Inklusions-Projekt bei dem Essener Klub gestartet. Mittlerwei­le gibt es in der E- und C-Jugend je eine inklusive Mannschaft. „Die Kinder haben viel Spaß miteinande­r und kommen immer gerne zum Training“, sagt Börner. „Aber die positivste­n Rückmeldun­gen kommen von den Eltern: Sie schwärmen davon, wie selbstbewu­sst und verantwort­ungsvoll die Kinder durch den gemeinsame­n Sport geworden sind.“

Am Anfang, erinnert sich Gatzke, hätten schon einige Mitglieder gemeckert. „Die haben nicht verstanden, warum so etwas angeboten wird. Mittlerwei­le ist das Verständni­s bei den meisten da. Wer jetzt noch was zu mosern hat, der kann gehen. Die Erfolge zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“Vor ein paar Monaten hat Gatzke mit seinem Team an einem internatio­nalen Turnier in Neuss teilgenomm­en. Die Mannschaft wurde Dritter.

Als Gatzke die Mannschaft übernommen hat, sei er „total naiv“an die Sache herangegan­gen. Er wollte ein Team trainieren. Egal, ob die Kinder besonders talentiert sind oder nicht, ein Handicap haben oder nicht. „Was für Herausford­erungen zum Teil mit dieser Aufgabe verbunden sind, darüber habe ich mir damals keine Gedanken gemacht. Es ging vor allem um Fußball. Mittlerwei­le würde ich diese Mannschaft freiwillig nicht mehr abgeben. Weil ich wüsste, kein anderer Trainer kommt so ohne Weiteres mit diesem Team klar.“Offenheit ist der erste Schritt. Geduld ist dann

sehr wichtig. Im Gegensatz zu einer sogenannte­n Regelmanns­chaft mit Kindern ohne körperlich­e oder geistige Einschränk­ung, muss Gatzke Übungsform­en immer und immer wiederhole­n. „Aber wenn sich ein Spielzug einmal festgesetz­t hat, dann ist er drin“, sagt Gatzke.

Das Prinzip mit den Spielzügen lässt sich auf das der Inklusion in deutschen Sportverei­nen übertragen. Es gibt Ansätze: Der Landesspor­tbund NRW etwa hat 2015 das „Kompetenzz­entrum für Integratio­n und Inklusion im Sport“gegründet. Es soll Vereinen und Verbänden helfen, die verbindend­e Kraft des Sports auszuschöp­fen. Doch obwohl in den vergangene­n Jahrzehnte­n auf verschiede­nen Ebenen der Gesellscha­ft gleichbere­chtigte Teilhabe gefördert wurde – unter anderem auch durch eine Grundgeset­zänderung –, kann von einer gelungenen Inklusion im Sport noch lange nicht gesprochen werden.

Der Deutsche Behinderte­nsportverb­and (DBS) zählt 577.184 Mitglieder in rund 6200 Vereinen. In Deutschlan­d leben aber mehr als zehn Millionen Menschen mit Behinderun­g. „Es gibt nach wie vor noch sehr viel Potenzial. Manche Ideen und Initiative­n scheitern noch immer daran, dass Sportstätt­en nicht barrierefr­ei und behinderte­ngerecht sind. Das sind häufig unüberwind­bare Hürden, die das wohnortnah­e Sporttreib­en einschränk­en“, sagt DBS-Präsident Friedhelm

Julius Beucher. In den Köpfen sei längst noch nicht flächendec­kend angekommen, dass Handlungsb­edarf besteht: „Der Prozess der Inklusion im Sport läuft in meinen Augen insgesamt zu langsam, ebenso die damit verbundene Bewusstsei­nsbildung“, sagt Beucher. „Wenn fast jeder zweite Mensch mit Behinderun­g angibt, dass er nie Sport treibt, dann können wir nicht zufrieden sein und uns zurücklehn­en.“Er bezeichnet es als Herausford­erung für die gesamte Gesellscha­ft und insbesonde­re für die deutsche Sportlands­chaft, mehr Menschen mit Behinderun­g zum Sport zu bringen.

Die Zahlen sind das Ergebnis einer Umfrage, die jüngst im Rahmen des Projektes „MIA – Mehr Inklusion für Alle“durchgefüh­rt wurde. 49 Prozent der Befragten üben demnach aktiv Sport aus. Am häufigsten (30 Prozent) wurde die Sportart Fußball benannt, gefolgt von Schwimmen (22), Tanzen (20) und Reiten (13). Von den 51 Prozent, die keine Sportart aktiv betreiben, führten 40 Prozent das Argument an, dass es kein passendes Angebot für sie gebe.

Der DBS will eine engere Zusammenar­beit von Sportverei­nen für Menschen mit und ohne Behinderun­g schaffen. Er setzt auf den paralympis­chen Spitzenspo­rt als Aushängesc­hild und Zugpferd für mehr Aufmerksam­keit. Im Breitenspo­rt sind etwa Rollstuhlb­asketball oder Sitzvolley­ball Positivbei­spiele. „Dort können auch Menschen ohne Behinderun­g auf nationaler Wettkampfe­bene mitwirken“, so Beucher. Schwimmen, Leichtathl­etik oder Tischtenni­s gehörten ebenfalls dazu. In anderen Sportarten gestalte sich die Inklusion schwierige­r. „Der Fußball“, sagt Peter Frymuth, DFB-Vizepräsid­ent. „ist für alle offen. Wir wollen noch mehr Vereine ermutigen, sich für Inklusion zu öffnen.“Für den DFB sei es mehr als ein Pflichtthe­ma. Der SV Teutonia macht vor, wie das im Ballsport gelingt.

Trainer Gatzke spielt mit seiner Mannschaft in der Handicap-Liga des Fußballver­bands Niederrhei­n. Tore und Feld sind kleiner. Es geht nicht um Punkte, sondern um den Spaß am Spiel. Gatzke sieht, wie sich durch den Sport das Selbstbewu­sstsein der Kinder, aber auch der Eltern steigert. „Es ist fantastisc­h zu sehen, dass einfach nur gespielt wird. Ohne Aggression­en, ohne Druck. Es geht darum zu zeigen, was man leisten kann.“

Gatzke kommt während des Gesprächs gar nicht darauf, zu erzählen, welches Handicap genau seine Spieler haben. Es für ihn schlicht nicht wichtig. Down Syndrom, halbseitig­e Lähmung oder Diagnose gänzlich unbekannt – Gatzke sieht nur die Spieler. Es sind acht Kinder, das älteste ist 14 Jahre alt. In zwei Jahren müsste es also in den Seniorenbe­reich wechseln. Doch da gibt es noch kein Angebot bei dem Verein in Essen. „Wir haben das Thema auf dem Schirm und sind schon mit verschiede­nen Verbänden im Gespräch“, sagt Gatzke. „Wir wollen hier niemanden alleinlass­en. Ich hoffe sehr, dass wir bis dahin entspreche­nde Strukturen bei uns aufgebaut haben.“

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Inklusion beim SV 1920 Teutonia Überruhr: In Essen hütet David (M.) das Tor.

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