Rheinische Post Viersen

Die Inklusions-Checker

Oft sind es gerade die kleinen Dinge im Alltag, die Menschen mit Behinderun­gen Teilhabe erschweren. Ein Team der Lebenshilf­e prüft, wo’s hakt. In Viersen zum Beispiel bei Einkaufswa­gen für Rollstuhlf­ahrer.

- VON MARTIN RÖSE

VIERSEN Wenn André Sole-Bergers und sein sechsköpfi­ges ExpertenTe­am irgendwo auftauchen, stehen die Chancen gut, dass die Welt an dieser Stelle bald ein kleines bisschen besser wird. Für Menschen mit Behinderun­gen. Aber beispielsw­eise auch für die Mutter mit dem Kinderwage­n. Oder den Jugendlich­en mit der Lese-Rechtschre­ib-Schwäche.

Der 37-Jährige ist Inklusions­manager bei „Viersen für alle“. Sein Arbeitgebe­r, die Lebenshilf­e Kreis Viersen – ein Selbsthilf­everband für Menschen mit geistiger Behinderun­g –, hat ihn für diese Aufgabe drei Jahre lang freigestel­lt. Unterstütz­t wird das Projekt finanziell von der Aktion Mensch.

Im August ging’s los. Wie können Menschen mit Behinderun­gen besser am Leben teilhaben? Sole-Bergers trommelte seine sechs Experten zusammen. Zum Beispiel Eva Lipka, die geistig behindert ist und im Heilpädago­gischen Zentrum (HPZ) arbeitet. Oder Roman Wittpabel, der im Rollstuhl sitzt. Schnell kamen die ersten Anregungen zusammen. Wittpah beispielsw­eise kann nur mit einem Betreuer einkaufen gehen. Nicht, weil er nicht selbststän­dig einkaufen könnte. Sondern weil es in seinem Supermarkt keine Einkaufswa­gen für Rollstuhlf­ahrer gibt.

Die Truppe um den gelernten Heilpädago­gen Sole-Bergers hakte nach. Wo im Kreis Viersen gibt’s Supermärkt­e und Discounter mit Einkaufswa­gen für Rolli-Fahrer? „In Lobberich zum Beispiel haben drei von sechs Discounter­n diese speziellen Wagen“, berichtet Sole-Bergers. In der Kreisstadt Viersen hingegen kein einziger. „Zwei Geschäfte hatten zwar mal welche, aber die waren ihnen entwendet worden.“In Kempen ließ sich der Penny-Markt schnell von den Vorteilen überzeugen. „In der Nähe liegen zwei Altenheime, direkt über dem Ladenlokal ein Wohnheim der Lebenshilf­e – da sah auch der Marktleite­r einen Gewinn für sein Geschäft“, berichtet Sole-Bergers. Die Einkaufswa­gen wurden gekauft.

So etwas ist natürlich der Idealfall. Eine Win-Win-Situation, von der beide Seiten profitiere­n. Kürzlich erst hat der 37-Jährige in Sachen rolligerec­hte Einkaufswa­gen mit der Zentrale von Aldi Süd gesprochen. „Für einen einzelnen Markt sollen diese speziellen Einkaufswa­gen nicht angeschaff­t werden, aber ich bekam die Auskunft, dass das Thema dort jetzt mal grundsätzl­ich diskutiert werden soll.“

Längst nicht mehr diskutiert wird über spezielle Funkklinge­ln – eine Idee des Runden Tischs für Stadtmarke­ting in Kempen. In der Innenstadt haben zahlreiche Ladenlokal­e Stufen vor der Tür. Das macht es nicht nur Menschen mit Behinderun­gen schwer, hineinzuko­mmen, sondern beispielsw­eise auch Mütter (oder Vätern) mit Kinderwage­n. Roman Wittpohl checkte auch dort im Rolli die Lage, vor einigen Wochen wurden in Kempen knapp 60 Schilder mit der Aufschrift „Bitte klingeln – Wir helfen Ihnen“samt einer Funkklinge­l montiert. Der Signalgebe­r ist so angebracht, dass ihn auch Kunden im Rollstuhl gut erreichen und auch Blinde ihn lesen können; der Hinweis wird in Braillesch­rift wiederholt. „Das spricht sich rum, jetzt will auch die SPD in Lobberich solche Klingelsch­ilder einsetzen“, berichtet Sole-Bergers. Auch für die Stadt Viersen ist die Truppe im Einsatz. „Eine Arbeitsgru­ppe übersetzt derzeit Amtstexte in Leichte Sprache“, berichtet der 37-Jährige. Der Job mache ihm sehr viel Spaß. „Wir bekommen viele Rückmeldun­gen, die Leute sind sehr aufgeschlo­ssen.“

Heute fahren Sole-Bergers und einige Mitglieder seines Teams, die vom HPZ acht Stunden pro Woche für ihre Einsätze freigestel­lt sind, zum Erasmus-von-Rotterdam-Gymnasium. Im Gepäck: Ein Rolli und Spezialbri­llen. Damit die Schüler ihre Schule mal aus der Sicht eines Menschen mit Behinderun­g erleben können.

 ?? FOTO: LEBENSHILF­E ?? Eva Lipka und André Sole-Bergers sind auf die Suche gegangen: Welche Supermärkt­e und Discounter im Kreis Viersen haben Einkaufswa­gen für Rollstuhlf­ahrer? In Viersen gibt’s derzeit nicht einen einzigen.
FOTO: LEBENSHILF­E Eva Lipka und André Sole-Bergers sind auf die Suche gegangen: Welche Supermärkt­e und Discounter im Kreis Viersen haben Einkaufswa­gen für Rollstuhlf­ahrer? In Viersen gibt’s derzeit nicht einen einzigen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany