Es ist das Jahr, in dem sich der Echo, der marginalste aller Musikpreise, abschafft
1. Khruangbin – Con Todo El Mundo Von so einem anderen Planeten, dass Weltmusik als Genrebezeichnung nicht annähernd ausreicht.
2. Deafheaven - Ordinary Corrupt Human Love
Metal für Leute, die sonst keinen Metal hören.
3. L.A. Salami - The City Of Bootmakers
Der Bob Dylan der 10er Jahre.
4. Kurt Vile - Bottle It In
Eine Gitarrenplatte.
5. Juse Ju - Shibuya Crossing
Der Rapper, der so schlau ist, dass Capital Bra nie von ihm gehört hat. 6. Kammerflimmer Kollektief There Are Actions Which We Have Neglected
Ersetzt einen Horrorfilm.
7. Car Seat Headrest - Twin Fantasy Teenage Angst.
8. Simon Love - Sincerely, S. Love X Melodien wie aus den 60ern.
9. Rhye - Blood
R&B für die Sonntage.
10. Shame - Songs Of Praise Postpunk mit der Wut von Punk.
Sebastian Dalkowski 1. La Luz – Floating Features
Meine Entdeckung des Jahres. Im Internet steht als Genre Surfrock. Einfach total schön.
2. Tocotronic – Die Unendlichkeit Platte über das Erwachsenwerden – große Erinnerungsleistung.
3. Call Me By Your Name - Soundtrack
Filmtipp! Und die Musik ist auch sehr gut.
4. Boygenius
Folk. Macht aber nichts.
5. Snail Mail – Lush
American Indie Idol.
6. U.S. Girls – In A Poem Unlimited Pop mit Saxofon von ganz weit weg. 7. Mourn – Sorpresa Familia
Album mit einem Superhit: „Barcelona City Tour“.
8. Fucked Up – Dose Your Dreams Punk fürs Opernhaus.
9. Ólafur Arnalds – Remember
Er klingt jetzt wieder so wie früher. 10. Nils Frahm – All Melody Klavierkonzerttechno.
Klas Libuda 1. Parkway Drive – Reverence
Eine Symphonie aus abgrundtiefen Gitarren, melancholischen Texten und ehrlichen Melodien.
2. Judas Priest – Firepower
Die alten Helden überraschen mit neuer Frische.
3. Coheed and Cambria – Vaxis – Act I The Unheavenly Creatures Science-Fiction-Musical.
4. Immortal – Northern Chaos Gods Reise durch eine verstörende Welt aus Kälte und Wut.
5. Myles Kennedy – Year Of The Tiger
Bluesig-ungewaschenes Country-Album.
6. Dimmu Borgir – Eonian Kathedralen aus Chören und rasenden Gitarren.
7. Hibria – Moving Ground
Neuer, rauer Sound.
8. Black Veil Brides – Vale Stadiontaugliche Hymnen.
9. Saxon – Thunderbolt
Klassisch und gut.
10. Disturbed – Evolution Mitreißende Gitarrenarbei.
Oliver Burwig Du weißt, dass du es mit einem besonderen Musikjahr zu tun hast, wenn einer der relevantesten Sätze darüber von Mark Forster kommt. In einem Interview sagt er: „Man kann nicht mehr gänzlich unpolitisch als Künstler sein.“Mit dieser Meinung steht er nicht allein. Helene Fischer, die bisher nicht unbedingt mit Standpunkten auffiel, spricht sich in einem bemerkenswerten Facebook-Statement für Zusammenhalt und #wirsindmehr aus. In Österreich stellt sich das Austropop-Nationalheiligtum Wolfgang Ambros gegen die rechtsnationale FPÖ. Im amerikanischen Wahlkampf ergreift die bis dato strikt unpolitische Taylor Swift offensiv Partei gegen Trump. Und dem Multitalent Donald Glover alias Childish Gambino gelingt im außergewöhnlichen Video zu „This Is America“ein ebenso wütender wie kunstfertiger Kommentar zum Rassismus.
2018 ist das Jahr, in dem sich der marginalste aller Musikpreise abschafft. Und das kommt so: Obwohl Farid Bang und Kollegah das Elend von KZ-Häftlingen für Punchlines benutzen, erhalten sie dafür den Echo. Der einzige, der während der Verleihung Eier aus Stahl beweist und seine Stimme dagegen erhebt, ist Campino. Es folgen Diskussionen über Meinungsfreiheit, Westernhagen gibt empört seine sieben Preise zurück, die Rapper verlieren den Plattenvertrag, fahren nach 1. Snail Mail – Lush
Magisch.
2. Die Nerven – Fake
Sträuben als Kraftakt.
3. Tocotronic – Die Unendlichkeit Aufwachsen in der Provinz als Rockoper.
4. Childish Gambino – This Is America (Track)
Wird man in hundert Jahren noch interpretieren.
5. The Screenshots – Ein starkes Team / Übergriff
Indierock wie ein guter alter 140-Zeichen-Tweet.
6. Emilie Zoé – The Very Start
Doom als Drama ist Noise in Eis.
7. Soap & Skin – From Gas to Solid... Nie klang „What a Wonderful World“schmerzhafter.
8. Let’s Eat Grandma – I‘m All Ears Donnie Darko dauert hier fantastische elf Minuten.
9. Lafote – Fin
Ritt auf einem Schimmel durch eine abgebrannte Stadt.
10. Soccer Mommy – Clean Coming-of-Age im Holzfällerhemd. Stefan Petermann Auschwitz, kehren geläutert zurück und machen bald darauf wieder antisemitische Äußerungen. Da ist der Echo längst schon Geschichte.
Auch beim nächsten Großereignis steht Campino im Mittelpunkt: Nach den Ausschreitungen in Chemnitz zeigen Die Toten Hosen zusammen mit Casper, Marteria Kraftklub und Feine Sahne Fischfilet (FSF) der Neuen Rechten den Mittelfinger. Überhaupt werden FSF zum Symbol eines veränderten politischen Klimas. So wird ihr geplanter Auftritt im Dessauer Bauhaus aus Angst vor rechten Übergriffen abgesagt, Konzerte und Vorführungen ihres Dokumentarfilms werden mit Bomben bedroht.
Ansonsten konservieren die Konsensgenres Gansterrap, Schlager und Menschen-Leben-TanzenWelt-Pop ihren Status. Beinahe im Wochentakt erobert der dünnhäutige Capital Bra mit Stücken wie „Neymar“oder „Roli Glitzer Glitzer“den Spitzenplatz der Charts. Als die Rapper Bonez MC und RAF Camora den Nachfolger ihres Kollaboalbums „Palmen aus Plastik“veröffentlichen, belegen die Songs daraus acht Plätze der deutschen Top Ten. Klassischer Satz dazu: Das schafften nicht mal die Beatles. In die unrühmliche 1. Sting & Shaggy – 44/876 Unerwartet cool.
2. Parcels – Parcels
Hipster mit Retro-Disco-Sound.
3. Parquet Courts – Wide Awake! Spannend: Clash, Strokes und Danger Mouse in einem Atemzug. 4. King Jammy presents Dennis Brown – Tracks of Life Reggae-Klassiker im Jungbrunnen. 5. Sly, Robbie & Dubmatix – Overdubbed
Basstastische Melange.
6. Family*5 – Ein richtiges Leben in Flaschen
Zitierfähige Slogans im Überfluss 7. David Byrne – American Utopia Rückkehr einer verehrten Stimme. 8. Courtney Barnett – Tell Me How You Really Feel
Melancholische Slacker-Queen.
9. The Chills – Snow Bound
Neue von The Chills ist immer in meiner Jahresbestenliste.
10. The Good, The Bad & The Queen – Merrie Land
Das pessimistische Comeback-Album zum Brexit-Showdown.
Andreas Huber Diskussion um Mesut Özil mischt sich Eko Fresh mit dem schlauen „Aber“ein, in dem er Wutdeutsche und Wuttürken aufeinanderprallen lässt.
Und weltweit? Paul McCartney fährt zur Promo seines neuen Albums Carpool Karaoke, besucht dafür die Penny Lane und sein Elternhaus, wo ihm sein Vater einst riet, anstatt „yeah, yeah, yeah“„yes, yes, yes“zu singen. Kein Jahr ohne Kanye West. Sein reguläres Album hinterlässt keine Spuren, wohingegen sein Mixtape mit Kid Cudi zeigt, dass in dem Mann mit der roten MAGA-Mütze immer noch ein richtig guter Musiker steckt. Das hält Leonard Cohen nicht von einem posthumen Diss ab. Sein aus dem Nachlass veröffentlichtes Gedicht „Kanye West Is Not Picasso“ist postmodern, fies – und sehr witzig. Ansonsten hat erfolgreicher Rap 2018 schlechte Zähne, buntes Haar und viele Tattoos im Gesicht. Deren Leitfiguren sind der 18-jährige Lil Pump, der über die „Gucci Gang“philosophiert und der irre 6ix9ine mit seinen Betrachtungen über „Fefe“, „Keke“und „Bebe“. Kendrick Lamar erhält als erster Rapper überhaupt den renommierten Pulitzer-Preis.
Spektakuläre Liaisons gehen ein: Grimes & Elon Musk, Justin Bieber & Hailey Baldwin. Die Exzentriker von KLF bauen eine Pyramide, die aus Steinen mit der Asche von Toten besteht. Amy Whinehouse soll als Hologramm touren, was ABBA ebenfalls für 2019 planen, zuzüglich 1. We Were Promised Jetpacks The More I Sleep The Less I Dream Eine Hymne auf die Freundschaft. 2. Neneh Cherry - Broken Politics Massive Attacke auf meinen Gehörgang. Unendlich oft gehört.
3. Tocotronic - Die Unendlichkeit Filigranes Songwriting, berührende Texte
4. Eels - The Deconstruction Balladen wie Gänseblümchen.
5. Bill Ryder-Jones - Yawn Schluffi-Melancholie.
6. Sophie Hunger - Molecules
Das Elektrokleid steht ihr gut.
7. The Innocence Mission - Sun On The Square
Waidwunde Folkperlen.
8. Tamino - Amir
Arabische trifft auf westliche Popkultur – kleines Meisterwerk.
9. Torpus & The Art Directors - We Booth Need to Accept That... Famose Liveband.
10. Villagers - The Art Of Pretending To Swim
In einem schwächeren Musikjahr 2018 reicht es für die Top Ten.
Sebastian Peters zwei neuer Songs. Cher covert ABBA, ein ABBA-Film kommt erfolgreich in die Kinos. Die Spice Girls kehren zurück, Nirvana treten in Originalbesetzung auf, Kurt Cobains Stelle nehmen verschiedene MusikerInnen ein. Endgültig zum weltweiten Phänomen wird koreanische Popmusik. In Amerika schafft es die K-Pop-Boyband BTS auf Platz 1. „Havana“von Camila Cabello sahnt eine Menge Preise ab, und mit „Bella Ciao“wird ein Partisanen-Lied aus dem Zweiten Weltkrieg zum Sommerhit.
Musik bestimmt auch das Filmjahr. Das Remake von „A Star ist Born“mit Lady Gaga begeistert ebenso wie Natalie Portman als Gothicversion von Britney Spears in „Vox Lux“. Die Queen-Biografie „Bohemian Rhapsody“fasziniert alle Generationen. Und mit Elton Johns „Rocket Man“steht die nächste Verfilmung eines Superstarlebens schon in den Startlöchern.
Die EBM-Szene verliert einen ihrer Protagonisten: Avicii. Die kurz vor seinem Tod veröffentlichte Dokumentation zeigt den schwedischen DJ als einen Getriebenen, der an der Rastlosigkeit des Geschäfts zugrunde geht. Mit Charles Aznavour verstummt einer der ganz Großen des Chansons, mit Aretha Franklin eine der allergrößten Soulstimmen. Und zum Schluss noch mal Mark Forster. Nach zwölf Jahren wechselt der DFB endlich die offizielle Torhymne. Forsters „Chöre“ersetzt nun Oliver Pochers „Schwarz auf Weiß“. 1. Roosevelt – Young Romance Synthiepop aus Viersen für jede Lebenslage.
2. Víkingur Ólafsson – Johann Sebastian Bach
Besser war Bach noch nie.
3. RAF Camora/Bonez MC – Palmen aus Plastik 2
Deutschrap, der gar nicht so böse ist.
4. Marco Polo feat. Masta Ace – A Breukelen Story
Die 90er im Brooklyn-Sound.
5. Khruangbin – Con todo el mundo Wer einen Roman schreiben will, hört das.
6. Chefket – Alles Liebe
Ausgefeilte Zeilen, sehr gute Beats. 7. Marteria/Casper – 1982
Ein harmonisches Duo.
8. Umse – Durch die Wolkendecke Selten war Rap so klug.
9. Greta van Fleet – Anthem Of The Peaceful Army
Soundtrack für einen privaten Roadmovie.
10. Samy Deluxe – MTV Unplugged Altmeister sind auch Meister.
Henning Rasche 1. Bennett Wilson Poole
Feine Songs, wunderbare Harmonien und dazu die Rickenbacker – übers Ohr direkt ins Herz.
2. The Jayhawks – Back Roads And Abandoned Motels
Kein ganz großes Jayhawks-Album, aber doch nah dran.
3. Sons Of Bill – Oh God Ma’am Friends forever!
4. Treetop Flyers
Entspannter Stilmix mit Folk- und Country-Erdung.
5. Jim Cuddy – Constellation
Kein Blue-Rodeo-Album dieses Jahr? Irgendwie doch schon...
6. Elvis Costello – Look Now Altmeister 1 – ganz bei sich selbst. 7. Graham Parker – Cloud Symbols Altmeister 2 – von wegen Rente!
8. Dawes – Passwords
Verlässlich. Die können nur gut.
9. The Good, The Bad & The Queen – Merrie Land
Zum Brexit. Nur nicht so traurig. 10. Walter Salas Humara – Walterio Sympathischer Typ und dito Platte.
Joachim Mies 1. Mr. Fingers – Cerebral Hemispheres
Soul aus der Maschine: Larry Heard ist der große Menschenfreund des House.
2. Autechre – NTS Sessions
Die Überwindung der Mathematik durch die Musik.
3. DJ Koze – Knock Knock
Der Soundtrack des Sommers.
4. Brian Eno – Music For Installations
Musik zum Darin-Leben.
5. Eli Keszler – Stadium
Jazz? Elektronik? Verwunschene Avantgarde!
6. Nas – Nasir
Bestes Kanye-West-Album 2018.
7. Yo-Yo Ma – Six Evolutions. Bach: Cello Suites
Neu für mich und aufregend.
8. Neneh Cherry – Broken Politics So schön kann Sorge grooven.
9. Boygenius – EP
Pain + Guitar = Beauty.
10. Pusha T – Daytona
Kanye West secondbest.
Philipp Holstein 1. Parcels – Parcels Gute-Laune/Tanz-Garantie.
2. The Wide – Paramount Gladbachs Gitarren-Gäule frisch und zeitlos wie die Fohlenelf.
3. Teyana Taylor – K.T.S.E.
Brillantes zweites Album der neuen R&B-Vielseitigkeits-Königin.
4. Nicki Minaj – Queen
Her Ganja burns!
5. Protoje – A Matter Of Time Roots-Reggae-Galionsfigur mit engagierten Experimenten.
6. Drake – Scorpion
Sympathische Gigantomanie.
7. L’ Impératrice - Matahari Frankreichs Antwort auf Parcels Disco-Retro-Sound.
8. Estelle – Lovers Rock Kanye-West-Muse sucht ihre afrokaribischen Wurzeln.
9. The Good, The Bad & The Queen – Merrie Land
Traurige Anti-Brexit-Shantys.
10. Dur Dur-Band – Dur Dur Sound Of Somalia
Mogadischus Disco-Soul-Schätze aus den frühen 80ern
Konrad Schnabel