Rheinische Post Viersen

Es ist das Jahr, in dem sich der Echo, der marginalst­e aller Musikpreis­e, abschafft

- VON STEFAN PETERMANN

1. Khruangbin – Con Todo El Mundo Von so einem anderen Planeten, dass Weltmusik als Genrebezei­chnung nicht annähernd ausreicht.

2. Deafheaven - Ordinary Corrupt Human Love

Metal für Leute, die sonst keinen Metal hören.

3. L.A. Salami - The City Of Bootmakers

Der Bob Dylan der 10er Jahre.

4. Kurt Vile - Bottle It In

Eine Gitarrenpl­atte.

5. Juse Ju - Shibuya Crossing

Der Rapper, der so schlau ist, dass Capital Bra nie von ihm gehört hat. 6. Kammerflim­mer Kollektief There Are Actions Which We Have Neglected

Ersetzt einen Horrorfilm.

7. Car Seat Headrest - Twin Fantasy Teenage Angst.

8. Simon Love - Sincerely, S. Love X Melodien wie aus den 60ern.

9. Rhye - Blood

R&B für die Sonntage.

10. Shame - Songs Of Praise Postpunk mit der Wut von Punk.

Sebastian Dalkowski 1. La Luz – Floating Features

Meine Entdeckung des Jahres. Im Internet steht als Genre Surfrock. Einfach total schön.

2. Tocotronic – Die Unendlichk­eit Platte über das Erwachsenw­erden – große Erinnerung­sleistung.

3. Call Me By Your Name - Soundtrack

Filmtipp! Und die Musik ist auch sehr gut.

4. Boygenius

Folk. Macht aber nichts.

5. Snail Mail – Lush

American Indie Idol.

6. U.S. Girls – In A Poem Unlimited Pop mit Saxofon von ganz weit weg. 7. Mourn – Sorpresa Familia

Album mit einem Superhit: „Barcelona City Tour“.

8. Fucked Up – Dose Your Dreams Punk fürs Opernhaus.

9. Ólafur Arnalds – Remember

Er klingt jetzt wieder so wie früher. 10. Nils Frahm – All Melody Klavierkon­zerttechno.

Klas Libuda 1. Parkway Drive – Reverence

Eine Symphonie aus abgrundtie­fen Gitarren, melancholi­schen Texten und ehrlichen Melodien.

2. Judas Priest – Firepower

Die alten Helden überrasche­n mit neuer Frische.

3. Coheed and Cambria – Vaxis – Act I The Unheavenly Creatures Science-Fiction-Musical.

4. Immortal – Northern Chaos Gods Reise durch eine verstörend­e Welt aus Kälte und Wut.

5. Myles Kennedy – Year Of The Tiger

Bluesig-ungewasche­nes Country-Album.

6. Dimmu Borgir – Eonian Kathedrale­n aus Chören und rasenden Gitarren.

7. Hibria – Moving Ground

Neuer, rauer Sound.

8. Black Veil Brides – Vale Stadiontau­gliche Hymnen.

9. Saxon – Thunderbol­t

Klassisch und gut.

10. Disturbed – Evolution Mitreißend­e Gitarrenar­bei.

Oliver Burwig Du weißt, dass du es mit einem besonderen Musikjahr zu tun hast, wenn einer der relevantes­ten Sätze darüber von Mark Forster kommt. In einem Interview sagt er: „Man kann nicht mehr gänzlich unpolitisc­h als Künstler sein.“Mit dieser Meinung steht er nicht allein. Helene Fischer, die bisher nicht unbedingt mit Standpunkt­en auffiel, spricht sich in einem bemerkensw­erten Facebook-Statement für Zusammenha­lt und #wirsindmeh­r aus. In Österreich stellt sich das Austropop-Nationalhe­iligtum Wolfgang Ambros gegen die rechtsnati­onale FPÖ. Im amerikanis­chen Wahlkampf ergreift die bis dato strikt unpolitisc­he Taylor Swift offensiv Partei gegen Trump. Und dem Multitalen­t Donald Glover alias Childish Gambino gelingt im außergewöh­nlichen Video zu „This Is America“ein ebenso wütender wie kunstferti­ger Kommentar zum Rassismus.

2018 ist das Jahr, in dem sich der marginalst­e aller Musikpreis­e abschafft. Und das kommt so: Obwohl Farid Bang und Kollegah das Elend von KZ-Häftlingen für Punchlines benutzen, erhalten sie dafür den Echo. Der einzige, der während der Verleihung Eier aus Stahl beweist und seine Stimme dagegen erhebt, ist Campino. Es folgen Diskussion­en über Meinungsfr­eiheit, Westernhag­en gibt empört seine sieben Preise zurück, die Rapper verlieren den Plattenver­trag, fahren nach 1. Snail Mail – Lush

Magisch.

2. Die Nerven – Fake

Sträuben als Kraftakt.

3. Tocotronic – Die Unendlichk­eit Aufwachsen in der Provinz als Rockoper.

4. Childish Gambino – This Is America (Track)

Wird man in hundert Jahren noch interpreti­eren.

5. The Screenshot­s – Ein starkes Team / Übergriff

Indierock wie ein guter alter 140-Zeichen-Tweet.

6. Emilie Zoé – The Very Start

Doom als Drama ist Noise in Eis.

7. Soap & Skin – From Gas to Solid... Nie klang „What a Wonderful World“schmerzhaf­ter.

8. Let’s Eat Grandma – I‘m All Ears Donnie Darko dauert hier fantastisc­he elf Minuten.

9. Lafote – Fin

Ritt auf einem Schimmel durch eine abgebrannt­e Stadt.

10. Soccer Mommy – Clean Coming-of-Age im Holzfäller­hemd. Stefan Petermann Auschwitz, kehren geläutert zurück und machen bald darauf wieder antisemiti­sche Äußerungen. Da ist der Echo längst schon Geschichte.

Auch beim nächsten Großereign­is steht Campino im Mittelpunk­t: Nach den Ausschreit­ungen in Chemnitz zeigen Die Toten Hosen zusammen mit Casper, Marteria Kraftklub und Feine Sahne Fischfilet (FSF) der Neuen Rechten den Mittelfing­er. Überhaupt werden FSF zum Symbol eines veränderte­n politische­n Klimas. So wird ihr geplanter Auftritt im Dessauer Bauhaus aus Angst vor rechten Übergriffe­n abgesagt, Konzerte und Vorführung­en ihres Dokumentar­films werden mit Bomben bedroht.

Ansonsten konservier­en die Konsensgen­res Gansterrap, Schlager und Menschen-Leben-TanzenWelt-Pop ihren Status. Beinahe im Wochentakt erobert der dünnhäutig­e Capital Bra mit Stücken wie „Neymar“oder „Roli Glitzer Glitzer“den Spitzenpla­tz der Charts. Als die Rapper Bonez MC und RAF Camora den Nachfolger ihres Kollaboalb­ums „Palmen aus Plastik“veröffentl­ichen, belegen die Songs daraus acht Plätze der deutschen Top Ten. Klassische­r Satz dazu: Das schafften nicht mal die Beatles. In die unrühmlich­e 1. Sting & Shaggy – 44/876 Unerwartet cool.

2. Parcels – Parcels

Hipster mit Retro-Disco-Sound.

3. Parquet Courts – Wide Awake! Spannend: Clash, Strokes und Danger Mouse in einem Atemzug. 4. King Jammy presents Dennis Brown – Tracks of Life Reggae-Klassiker im Jungbrunne­n. 5. Sly, Robbie & Dubmatix – Overdubbed

Basstastis­che Melange.

6. Family*5 – Ein richtiges Leben in Flaschen

Zitierfähi­ge Slogans im Überfluss 7. David Byrne – American Utopia Rückkehr einer verehrten Stimme. 8. Courtney Barnett – Tell Me How You Really Feel

Melancholi­sche Slacker-Queen.

9. The Chills – Snow Bound

Neue von The Chills ist immer in meiner Jahresbest­enliste.

10. The Good, The Bad & The Queen – Merrie Land

Das pessimisti­sche Comeback-Album zum Brexit-Showdown.

Andreas Huber Diskussion um Mesut Özil mischt sich Eko Fresh mit dem schlauen „Aber“ein, in dem er Wutdeutsch­e und Wuttürken aufeinande­rprallen lässt.

Und weltweit? Paul McCartney fährt zur Promo seines neuen Albums Carpool Karaoke, besucht dafür die Penny Lane und sein Elternhaus, wo ihm sein Vater einst riet, anstatt „yeah, yeah, yeah“„yes, yes, yes“zu singen. Kein Jahr ohne Kanye West. Sein reguläres Album hinterläss­t keine Spuren, wohingegen sein Mixtape mit Kid Cudi zeigt, dass in dem Mann mit der roten MAGA-Mütze immer noch ein richtig guter Musiker steckt. Das hält Leonard Cohen nicht von einem posthumen Diss ab. Sein aus dem Nachlass veröffentl­ichtes Gedicht „Kanye West Is Not Picasso“ist postmodern, fies – und sehr witzig. Ansonsten hat erfolgreic­her Rap 2018 schlechte Zähne, buntes Haar und viele Tattoos im Gesicht. Deren Leitfigure­n sind der 18-jährige Lil Pump, der über die „Gucci Gang“philosophi­ert und der irre 6ix9ine mit seinen Betrachtun­gen über „Fefe“, „Keke“und „Bebe“. Kendrick Lamar erhält als erster Rapper überhaupt den renommiert­en Pulitzer-Preis.

Spektakulä­re Liaisons gehen ein: Grimes & Elon Musk, Justin Bieber & Hailey Baldwin. Die Exzentrike­r von KLF bauen eine Pyramide, die aus Steinen mit der Asche von Toten besteht. Amy Whinehouse soll als Hologramm touren, was ABBA ebenfalls für 2019 planen, zuzüglich 1. We Were Promised Jetpacks The More I Sleep The Less I Dream Eine Hymne auf die Freundscha­ft. 2. Neneh Cherry - Broken Politics Massive Attacke auf meinen Gehörgang. Unendlich oft gehört.

3. Tocotronic - Die Unendlichk­eit Filigranes Songwritin­g, berührende Texte

4. Eels - The Deconstruc­tion Balladen wie Gänseblümc­hen.

5. Bill Ryder-Jones - Yawn Schluffi-Melancholi­e.

6. Sophie Hunger - Molecules

Das Elektrokle­id steht ihr gut.

7. The Innocence Mission - Sun On The Square

Waidwunde Folkperlen.

8. Tamino - Amir

Arabische trifft auf westliche Popkultur – kleines Meisterwer­k.

9. Torpus & The Art Directors - We Booth Need to Accept That... Famose Liveband.

10. Villagers - The Art Of Pretending To Swim

In einem schwächere­n Musikjahr 2018 reicht es für die Top Ten.

Sebastian Peters zwei neuer Songs. Cher covert ABBA, ein ABBA-Film kommt erfolgreic­h in die Kinos. Die Spice Girls kehren zurück, Nirvana treten in Originalbe­setzung auf, Kurt Cobains Stelle nehmen verschiede­ne MusikerInn­en ein. Endgültig zum weltweiten Phänomen wird koreanisch­e Popmusik. In Amerika schafft es die K-Pop-Boyband BTS auf Platz 1. „Havana“von Camila Cabello sahnt eine Menge Preise ab, und mit „Bella Ciao“wird ein Partisanen-Lied aus dem Zweiten Weltkrieg zum Sommerhit.

Musik bestimmt auch das Filmjahr. Das Remake von „A Star ist Born“mit Lady Gaga begeistert ebenso wie Natalie Portman als Gothicvers­ion von Britney Spears in „Vox Lux“. Die Queen-Biografie „Bohemian Rhapsody“fasziniert alle Generation­en. Und mit Elton Johns „Rocket Man“steht die nächste Verfilmung eines Superstarl­ebens schon in den Startlöche­rn.

Die EBM-Szene verliert einen ihrer Protagonis­ten: Avicii. Die kurz vor seinem Tod veröffentl­ichte Dokumentat­ion zeigt den schwedisch­en DJ als einen Getriebene­n, der an der Rastlosigk­eit des Geschäfts zugrunde geht. Mit Charles Aznavour verstummt einer der ganz Großen des Chansons, mit Aretha Franklin eine der allergrößt­en Soulstimme­n. Und zum Schluss noch mal Mark Forster. Nach zwölf Jahren wechselt der DFB endlich die offizielle Torhymne. Forsters „Chöre“ersetzt nun Oliver Pochers „Schwarz auf Weiß“. 1. Roosevelt – Young Romance Synthiepop aus Viersen für jede Lebenslage.

2. Víkingur Ólafsson – Johann Sebastian Bach

Besser war Bach noch nie.

3. RAF Camora/Bonez MC – Palmen aus Plastik 2

Deutschrap, der gar nicht so böse ist.

4. Marco Polo feat. Masta Ace – A Breukelen Story

Die 90er im Brooklyn-Sound.

5. Khruangbin – Con todo el mundo Wer einen Roman schreiben will, hört das.

6. Chefket – Alles Liebe

Ausgefeilt­e Zeilen, sehr gute Beats. 7. Marteria/Casper – 1982

Ein harmonisch­es Duo.

8. Umse – Durch die Wolkendeck­e Selten war Rap so klug.

9. Greta van Fleet – Anthem Of The Peaceful Army

Soundtrack für einen privaten Roadmovie.

10. Samy Deluxe – MTV Unplugged Altmeister sind auch Meister.

Henning Rasche 1. Bennett Wilson Poole

Feine Songs, wunderbare Harmonien und dazu die Rickenback­er – übers Ohr direkt ins Herz.

2. The Jayhawks – Back Roads And Abandoned Motels

Kein ganz großes Jayhawks-Album, aber doch nah dran.

3. Sons Of Bill – Oh God Ma’am Friends forever!

4. Treetop Flyers

Entspannte­r Stilmix mit Folk- und Country-Erdung.

5. Jim Cuddy – Constellat­ion

Kein Blue-Rodeo-Album dieses Jahr? Irgendwie doch schon...

6. Elvis Costello – Look Now Altmeister 1 – ganz bei sich selbst. 7. Graham Parker – Cloud Symbols Altmeister 2 – von wegen Rente!

8. Dawes – Passwords

Verlässlic­h. Die können nur gut.

9. The Good, The Bad & The Queen – Merrie Land

Zum Brexit. Nur nicht so traurig. 10. Walter Salas Humara – Walterio Sympathisc­her Typ und dito Platte.

Joachim Mies 1. Mr. Fingers – Cerebral Hemisphere­s

Soul aus der Maschine: Larry Heard ist der große Menschenfr­eund des House.

2. Autechre – NTS Sessions

Die Überwindun­g der Mathematik durch die Musik.

3. DJ Koze – Knock Knock

Der Soundtrack des Sommers.

4. Brian Eno – Music For Installati­ons

Musik zum Darin-Leben.

5. Eli Keszler – Stadium

Jazz? Elektronik? Verwunsche­ne Avantgarde!

6. Nas – Nasir

Bestes Kanye-West-Album 2018.

7. Yo-Yo Ma – Six Evolutions. Bach: Cello Suites

Neu für mich und aufregend.

8. Neneh Cherry – Broken Politics So schön kann Sorge grooven.

9. Boygenius – EP

Pain + Guitar = Beauty.

10. Pusha T – Daytona

Kanye West secondbest.

Philipp Holstein 1. Parcels – Parcels Gute-Laune/Tanz-Garantie.

2. The Wide – Paramount Gladbachs Gitarren-Gäule frisch und zeitlos wie die Fohlenelf.

3. Teyana Taylor – K.T.S.E.

Brillantes zweites Album der neuen R&B-Vielseitig­keits-Königin.

4. Nicki Minaj – Queen

Her Ganja burns!

5. Protoje – A Matter Of Time Roots-Reggae-Galionsfig­ur mit engagierte­n Experiment­en.

6. Drake – Scorpion

Sympathisc­he Gigantoman­ie.

7. L’ Impératric­e - Matahari Frankreich­s Antwort auf Parcels Disco-Retro-Sound.

8. Estelle – Lovers Rock Kanye-West-Muse sucht ihre afrokaribi­schen Wurzeln.

9. The Good, The Bad & The Queen – Merrie Land

Traurige Anti-Brexit-Shantys.

10. Dur Dur-Band – Dur Dur Sound Of Somalia

Mogadischu­s Disco-Soul-Schätze aus den frühen 80ern

Konrad Schnabel

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