Rheinische Post Viersen

„Ich gehe auch auf den Weihnachts­markt“

Der Generalbun­desanwalt über islamistis­chen Terror, Rechtsextr­emismus – und über symbolträc­htige Orte.

- FOTO: IMAGO HENNING RASCHE FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

KARLSRUHE Peter Frank hat seinen Besucher längst kommen sehen. Von seinem Büro aus überblickt er den Innenhof des gut bewachten Geländes. 20 Jahre ist das Gebäude des Generalbun­desanwalts alt, es erinnert entfernt an ein kleines Bundeskanz­leramt. Der oberste Staatsanwa­lt des Bundes empfängt ausgesproc­hen freundlich.

Herr Frank, wie war Ihr Jahr 2018? FRANK Arbeitsrei­ch. Das zeigt schon ein Blick auf unsere Zahlen. Ende des Jahres werden wir rund 1400 Ermittlung­sverfahren neu eingeleite­t haben und damit leicht über dem Vorjahr liegen. In diesem Zusammenha­ng beschäftig­t uns vor allem die Frage, wie wir mit Rückkehrer­n und Rückkehrer­innen vom „Islamische­n Staat“umgehen. Und natürlich das Ende des NSU-Prozesses.

Trügt der Eindruck, dass es in Deutschlan­d nach dem Jahr 2016 etwas ruhiger geworden ist?

FRANK Es gab 2016 eine Reihe von Anschlägen, die Deutschlan­d stark erschütter­t haben, allen voran der Anschlag am 19. Dezember 2016 auf den Weihnachts­markt am Breitschei­dplatz in Berlin. Aber auch 2017 und 2018 hatten wir es mit konkreten Anschlagss­zenarien zu tun. Denken Sie nur an den Kölner Rizin-Fall. Das zeigt: Die Bedrohung durch den islamistis­chen Terrorismu­s ist nicht vorüber, auch wenn 2018 kein Jahr wie 2016 war. Der Westen, und damit auch Deutschlan­d, ist weiterhin Feindbild islamistis­cher Terrororga­nisationen, allen voran des „Islamische­n Staats“. Aber auch Al Kaida ist nach wie vor ein weltweit agierender Akteur.

Die territoria­len Rückschläg­e des IS sind eine positive Nachricht, aber kein Grund zum Aufatmen?

FRANK So wie der Tod von Osama bin Laden nicht das Ende von Al Quaida war, so wird auch die militärisc­he Niederlage des „Islamische­n Staats“nicht dessen Ende bedeuten. Der IS wird sich überlegen, wie er sich neu aufstellen kann. Er hat sich bereits außerhalb von Syrien und dem Irak positionie­rt, beispielsw­eise in Afrika und Asien. Und wie gesagt: Wir dürfen auch Al Kaida nicht vergessen.

Hat Deutschlan­d in den vergangene­n zwei Jahren bloß Glück gehabt oder arbeiten die Sicherheit­sbehörden inzwischen besser zusammen? FRANK Die Zusammenar­beit der Sicherheit­sund Strafverfo­lgungsbehö­rden ist deutlich stärker geworden. Das gilt auf nationaler und europäisch­er Ebene. Eine wirksame Terrorismu­sbekämpfun­g ist nur möglich, wenn wir uns internatio­nal austausche­n. Das tun wir, und das zeigt Früchte. Zugleich müssen wir uns auf verschiede­ne Anschlagss­zenarien einstellen: Auf komplexe Anschläge von profession­ell agierenden Zellen wie beispielsw­eise in Paris 2015, aber auch von Einzelpers­onen, die nicht als Terroriste­n zu uns gekommen sind, die sich aber bei uns radikalisi­eren und beispielsw­eise wie in Hamburg mit einem einfachen Messer einen Anschlag begehen. Alles ist möglich.

Können Sie als Generalbun­desanwalt wie ganz normale Menschen auf den Weihnachts­markt gehen und Glühwein trinken – oder ist das unvorstell­bar?

FRANK Zunächst einmal: Ich bin auch ein ganz normaler Mensch.

Das beruhigt mich.

FRANK (lacht) Auch ich kann auf einen Weihnachts­markt gehen. Und das werde ich auch tun.

Weihnachts­märkte sind zum Symbol für die Anschlagsg­efahr geworden. Der Berliner Breitschei­dplatz ist in diesem Jahr eine Festung. Müssen wir uns daran gewöhnen? FRANK Weihnachts­märkte sind sicherlich zu symbolträc­htigen Orten geworden. Die Kommunen und die Sicherheit­sbehörden tun sehr viel für den Schutz auf den Weihnachts­märkten. Das gibt ein Gefühl der Beruhigung und der Sicherheit.

Hinken die Sicherheit­sbehörden denn nicht immer einen Schritt hinterher? Wenn wir die Weihnachts­märkte schützen, vergessen wir vielleicht etwas anderes.

FRANK Wir leben in einer freien und offenen Gesellscha­ft. Ich möchte kein staatliche­s Gemeinwese­n haben, in dem wir ständiger Kontrolle unterliege­n. Das bedeutet aber zugleich, dass es auch Gefahren gibt. Die Sicherheit­sbehörden versuchen, diese Gefahren so gut es geht in den Griff zu bekommen. Dazu gehört, dass bestimmte symbolträc­htige Orte oder Veranstalt­ungen wie Weihnachts­märkte oder Karnevalsu­mzüge besonders geschützt werden. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Freude an diesen Festlichke­iten gelitten hat. Wir sollten uns unsere freiheitli­che Gesellscha­ft nicht nehmen lassen.

Wie ist die Bedrohungs­lage aktuell? FRANK Sie hat sich in den vergangene­n zwei, drei Jahren nicht verändert. Die ist nach wie vor da. Globale islamistis­che Terrororga­nisationen rufen immer wieder zu Anschlägen im Westen auf. Dessen sind wir uns bewusst.

In Köln fand im Oktober eine Geiselnahm­e statt. Da gingen Sie von einem Terrorhint­ergrund aus. Hat sich diese Annahme erhärtet? FRANK Wir haben die Ermittlung­en relativ schnell übernommen, weil es Anhaltspun­kte dafür gab, dass der Täter aus einer islamistis­chen Motivation handelte. Wir sind derzeit in der Abklärung, ob sich das erhärten lässt. Es kommen aber auch andere Beweggründ­e in Betracht, die mehr in seiner persönlich­en Lebenssitu­ation begründet sind. Dann würden wir den Fall wieder an die Landesstaa­tsanwaltsc­haft übergeben. So wie wir das ja auch beim Anschlag auf den BVB-Bus gemacht haben.

Ebenfalls im Oktober sind Pläne öffentlich geworden, wonach der IS 2016 „Killerkomm­andos“nach Deutschlan­d schicken wollte, um einen größeren Anschlag zu begehen. Das wurde vereitelt. Ist das ein Grund zum Aufatmen?

FRANK Der Fall bestätigt, wovon wir schon seit Längerem ausgehen mussten. Der IS verfügt über spezielle Einheiten, um Operatione­n in Westeuropa – und damit auch in Deutschlan­d – zu planen und durchzufüh­ren. Der IS hat die Fähigkeit dazu nicht verloren. Wenn es ihm gelingen sollte, ein solches „Hit Team“nach Europa einzuschle­usen, dann wird er es auch nutzen. Unsere Ermittlung­en zeigen aber auch, dass der IS versucht, hier in Deutschlan­d lebende Personen, die noch keine Terroriste­n sind, zu radikalisi­eren und für Anschlagsp­läne anzuwerben.

Es gibt Leute, die sagen: Weil wir mehr Flüchtling­e haben, ist die Terrorgefa­hr gestiegen. Haben sie recht? FRANK Islamistis­cher Terrorismu­s ist nichts, was erst im Jahr 2015 nach Deutschlan­d gekommen ist. Der islamistis­che Terrorismu­s war schon vorher hier. Der bislang größte islamistis­che Terroransc­hlag weltweit, der Anschlag auf das World-TradeCente­r in New York am 11. September 2001, ist hier bei uns in Deutschlan­d geplant worden. Oder denken Sie an den im Dezember 2000 verhindert­en Anschlag auf den Straßburge­r Weihnachts­markt. Auch später waren wir immer wieder mit Anschlagss­zenarien konfrontie­rt. Denken Sie an die sogenannte­n Kofferbomb­er 2006, an die Sauerland-Gruppe 2007, den vereitelte­n Anschlag der „Düsseldorf­er Zelle“2011, denken Sie an den Schusswaff­enanschlag im Frühjahr 2011 auf dem Frankfurte­r Flughafen oder den versuchten Anschlag auf dem Hauptbahnh­of Bonn 2013 – das alles geschah unabhängig von der Flüchtling­sbewegung 2015. Es wäre daher völlig verfehlt, jeden Flüchtling zu verdächtig­en, ein islamistis­cher Terrorist zu sein. Allerdings wissen wir auch, dass der IS die Flüchtling­sbewegung missbrauch­t und auf diesem Weg Personen nach Westeuropa geschleust hat. Wir müssen deshalb genau hinschauen und unsere Arbeit machen.

2018 ist der NSU-Prozess zu Ende gegangen. Wie bewerten sie den Ausgang?

FRANK Das Urteil entspricht im Schuldspru­ch und in der Strafhöhe im Wesentlich­en unseren Anträgen. Beim Angeklagte­n André E. weicht das Urteil stark von unserer Forderung ab. Wir hatten eine Freiheitss­trafe von zwölf Jahren beantragt. Dem ist das Gericht nicht gefolgt, weswegen wir Rechtsmitt­el eingelegt haben. Das Urteil bedeutet für uns aber keinen Schlussstr­ich. Für uns stellen sich immer noch Fragen. Was beispielsw­eise hatte der NSU mit den ganzen Waffen vor? Und vor allen Dingen: Woher hatte er die Waffen?

Sie führen die Ermittlung­en weiter. FRANK Immer dann, wenn wir neue Anhaltspun­kte haben, gehen wir dem nach. Das betrifft auch die aus Opferpersp­ektive so wichtige Frage: Warum ist mein Mann, mein Bruder, mein Angehörige­r Opfer geworden? Gab es weitere Hintermänn­er, die dem NSU geholfen haben? Wir haben bislang allerdings keine belastbare­n Hinweise gefunden, die für eine Mittätersc­haft anderer Personen sprechen. Aber wie gesagt: Wir machen die Akte nicht zu.

In welchem Umfang laufen diese Ermittlung­en denn weiter?

FRANK Wir brauchen, das muss man ganz klar sagen, neue Anfasser.

Prozessbeo­bachter sagen, dass die rechte Szene sich von dem NSU-Urteil nicht abgeschrec­kt fühlt. Hat es seine Wirkung verfehlt?

FRANK Es darf keinen zweiten NSU geben. Das gilt es mit allen Mitteln zu verhindern. Wir haben deshalb die Ermittlung­en gegen Rechtsextr­emismus auf eine andere Grundlage gestellt. Wir nehmen die rechtsextr­eme Szene in verschiede­ner Hinsicht in den Blick. Wir schauen uns die Musikszene an, die Kameradsch­aften, Skinheads und Neonazis. Mit den Staatsanwa­ltschaften der Länder, mit den Polizeien und Verfassung­sschutzämt­ern von Bund und Ländern, aber auch mit ausländisc­hen Partnern haben wir einen ständigen Informatio­nsaustausc­h, damit uns da nichts durch die Lappen geht. Wir müssen frühzeitig und konsequent einschreit­en.

Sie haben in Chemnitz Männer festnehmen lassen, die den NSU als „Kindergart­en“bezeichnet haben. Rechter Terror ist weiter eine Gefahr? FRANK Vom Rechtsextr­emismus geht ganz klar eine Gefahr aus, deswegen schreiten wir auch so früh ein. Der Komplex „Revolution Chemnitz“ist ein solches Beispiel.

Könnte es sein, dass das politische Klima rechte Gewalt befördert? FRANK Sie meinen, ob Rechtsterr­orismus allein ein ostdeutsch­es Problem ist? Das ist er nicht.

Nein. Ich meine, ob Tabubrüche der AfD in Parlamente­n Rechtsextr­eme motivieren könnte.

FRANK Rechtsterr­orismus hat es auch schon vor der AfD gegeben. Wir hatten vor einiger Zeit auch schon die Republikan­er und die DVU in einigen Landtagen. Immer dann, wenn sich Gruppierun­gen mit Gewalt gegen unseren Staat wenden, dann ist es unsere Aufgabe, konsequent einzuschre­iten. Das gilt unabhängig davon, was für Parteien in Parlamente­n sitzen.

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Peter Frank im Gebäude des Generalbun­desanwalts in Karlsruhe. Die Behörde des 50-Jährigen wächst, weshalb die Räume knapp werden.

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