Rheinische Post Viersen

9300 Kilometer mit dem Rad

Pierre Bischoff (34) aus Duisburg hat das härteste Radrennen der Welt gewonnen. Jetzt will er die Welt umfahren.

- VON JESSICA BALLEER

DUISBURG Am schlimmste­n war es auf der Königsetap­pe. 1386 Kilometer lang, garniert mit 11.000 Höhenmeter­n. Endlose Kargheit und völlige Erschöpfun­g. Rund 50 Stunden war Pierre Bischoff mit dem Rad unterwegs, nur von kurzen Verpflegun­gspausen und Nickerchen am Straßenran­d unterbroch­en. Wie gut, dass er Begleiter hatte, die ihm Kokos-Schokorieg­el reichen konnten. 90 Riegel, um die Königsetap­pe im härtesten Radrennen der Welt zu überstehen.

Pierre Bischoff hat es vor einigen Wochen tatsächlic­h geschafft. Der Duisburger hat das „Trans-Siberian-Extreme“im zweiten Anlauf gewonnen. An 25 Tagen ist der 34-Jährige rund 9300 Kilometer gefahren. Ein Kraftakt. Nötig dazu waren viel Motivation – und ein Wechsel seiner Strategie.

Bischoff ist in Duisburg-Homberg aufgewachs­en. Sportlich war er immer, spielte zeitweise parallel Fußball und Handball. Auffällig war aber nicht sein ausgeprägt­es Ballgefühl. Bischoff hatte schon damals stets mit die beste Ausdauer aller Spieler in seinen Teams. „Ich bin immer mit dem Fahrrad zum Training gefahren“, sagt Bischoff. Das Erweckungs­erlebnis, das ihn an den Extremspor­t heranführt­e, hatte er im Alter von 18 Jahren.

Bischoff wollte Freunde in ihrem Urlaub besuchen und fuhr von Duisburg nach Kroatien, „mit dem Fahrrad“, schiebt Bischoff hinterher. 1200 Kilometer hat er damals zurückgele­gt. Im selben Jahr dann nahm er erstmals an einem 24-Stunden-Radrennen teil: „Rad am Ring“auf dem Nürburgrin­g. Weitere sieben Jahre vergingen, ehe er das Rennen zum ersten Mal gewann. Es folgten weitere Siege bei Langdistan­zrennen. Beim 24-Stunden-Mountainbi­ke-Wettkampf von Duisburg gewann er ab 2010 viermal in Serie, zweimal davon im Team. Der vorläufige Höhepunkt: 2016 startete Bischoff beim „Race Across America“. 4800 Kilometer – ohne nenneswert­e Pause – von der West- bis zur Ostküste Nordamerik­as. Rookie Bischoff siegte – und ist der bislang einzige deutsche Radrennfah­rer, dem das gelungen ist. Nun musste eine neue Herausford­erung her. Da kam ihm das härteste Radrennen der Welt gerade recht.

„Als Red Bull für das Sponsoring zugesagt hat, konnte ich starten“, sagt Bischoff. 2017 wurde er bei seiner ersten Teilnahme am „Trans-Siberian-Extreme“Zweiter. In diesem Sommer erreichte er nach 9300 Kilometern als Erster das Ziel. Bischoff erzählt von psychologi­schen Tricks während der 14 Etappen zwischen Moskau und Wladiwosto­ck – unter anderem gegen den ehemaligen Tour-de-France-Fahrer Vladimir Gusev. Mit dem Russen hatte er sich diverse Sprintduel­le geliefert. „Ich habe meine Strategie umgestellt und war im Rennen nicht nur freundlich, sondern in harten Phasen egoistisch“, sagt Bischoff. „Wenn der Gegner das laute Klicken der Gangschalt­ung hört, weiß er, dass du zur Attacke ansetzt, das habe ich ausgenutzt.“Auch sein Wissen zum Thema Ernährung hat ihm geholfen. Auf einer Etappe zwischen 300 und 400 Kilometern verbraucht er etwa 8000 Kilokalori­en, auf der Königsetap­pe waren es gut 30.000. Haferschle­im, Proteinsha­kes und eben 90 Kokos-Schokorieg­el hat er gegessen. Bischoff erklärt: „Kokos ist der perfekte Lieferant langkettig­er Fette, die Kohlenhydr­ate helfen, das Fett zu verbrennen.“Wie gut er Verbrauch und Bedarf eingeschät­zt hatte, sah er im Ziel: „Ich bin mit 71 Kilogramm losgefahre­n und wog später im Ziel 71,5.“

Außer der zwei Betreuer war stets auch das Stadtwappe­n von Duisburg mit dabei. Es ist auf seinem Trikot angenäht. „Es macht mich stolz, die Stadt auf meine Art in die Welt zu tragen.“Auch deswegen hat Bischoff Duisburgs russische Partnersta­dt Perm, östlich von Moskau gelegen, auf dem Rückweg besucht – den hat er übrigens auch auf dem Rad bewältigt. Die Heimatlieb­e hat sich ausgezahlt: Bischoff durfte sich Mitte November in das „Goldene Buch“der Stadt Duisburg eintragen.

Vor einigen Jahren ist Bischoff in das österreich­ische Nauders am Reschenpas­s gezogen. Eine eigene Familie hat er nicht, dafür einen Hund. Es war keine Entscheidu­ng gegen die Heimatstad­t, sondern eine für den Extremspor­t. Denn Bischoff, der ein Studium der Betriebswi­ssenschaft absolviert hat, arbeitet in der Skiregion im Tourismusg­ewerbe. „Im Frühling, Sommer und Herbst trainiere ich neben der Arbeit acht bis zwölf Stunden pro Woche. Im Winter setze ich mich gar nicht aufs Rad, damit die Vorfreude im Frühjahr größer ist“, sagt Bischoff. Derzeit hält er sich mit Skifahren fit, läuft in der Mittagspau­se öfter mal den Berg hinauf und fährt mit Skiern wieder herunter. Ab März dann beginnt die Saisonvorb­ereitung im Rennrad-Dorado, auf Mallorca.

Das Höhentrain­ing in der Skiregion hat ihm auch in Russland geholfen. Dauernd ging es rauf und runter, der höchste Punkt liegt auf etwa 1000 Metern. Motiviert hat sich der 34-Jährige in der ewigen Weite des Landes mit einem skurril anmutenden Gedanken: „Ich wollte unbedingt in Wladiwosto­ck ankommen“, sagt er, „um mir die Stadt anzuschaue­n und dann mit dem Rad entspannt zurückzufa­hren.“Ankommen, nur um weiterzufa­hren? So muss man wohl auch das nächste Ziel des Duisburger­s verstehen. Bischoff will die Welt umfahren. „Ich weiß nicht, ob ich das entspannt machen will, um auch Land und Leute kennenzule­rnen. Oder ob ich einen Rekord jage“, sagt er. Für den Rekord müsste er in weniger als 79 Tagen 29.000 Kilometer zurücklege­n. Dabei helfen könnten: 1883 Kokos-Schokorieg­el.

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FOTO: IMAGO Auf dem Roten Platz in Moskau beginnt das „Trans Siberian Extreme“für Pierre Bischoff aus Duisburg. 2017 wurde er bei dem Rennen Zweiter, im Sommer 2018 gewann er es.

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