Rheinische Post Viersen

Das Leben vor „Pippi“

Der Spielfilm „Astrid“erzählt das Leben der Astrid Lindgren. Und er zeigt, wo die Inspiratio­n für viele ihrer Werke herkommt.

- VON MARTIN SCHWICKERT

„Pippi Langstrump­f“, „Die Kinder aus Bullerbü“, „Michel aus Lönneberga“– die Bücher von Astrid Lindgren werden oft mit einer Idylle verbunden, in der die Kindheit als unendliche­s Paradies erscheint. Aber wer genau hinschaut, erkennt die Risse in Lindgrens Werk, in dem immer wieder auch eine tiefe Melancholi­e sichtbar wird. Pippi Langstrump­f ist ein Mädchen voller anarchisti­scher Energie, das sein Leben in die eigene Hand nimmt. Aber sie ist auch ein Kind, das von seinen Eltern im Stich gelassen wurde. Der Waisenjung­e Bosse in „Mio, mein Mio“wird von seinen Pflegeelte­rn schlecht behandelt und flüchtet sich in das „Land der Ferne“. In „Madita“eröffnet sich für die Titelheldi­n durch ihre Schulfreun­din Mia das ärmliche Leben der Unterprivi­legierten. Und selbst ein fröhliches Kerlchen wie Michel aus Lönneberga kommt dem Tod sehr nahe, als er den sterbenskr­anken Knecht Alfred durch die eiskalte Winternach­t zum Arzt kutschiert.

Diese traurigen Momente und gezielten Glücksbrec­hungen bestimmen zusammen mit einem sensiblen Verständni­s von Kindheitsw­elten die Seelentief­e von Lindgrens Werk, deren Bücher über Generation­en hinweg weltweit über 160 Millionen Mal verkauft wurden.

In „Astrid“reist nun die dänische Regisseuri­n Pernille Fischer Christense­n zurück in die Jugend der Kinderbuch­autorin und geht der Frage nach, die zu Beginn ein junger Leser aus dem Off formuliert: „Wie kannst du so gut über Kinder schreiben, obwohl deine Kindheit schon so lange her ist?“. Astrid (Alba August) wächst als Tochter eines Pfarrhofpä­chters auf und muss im bäuerliche­n Betrieb ihre Pflichten erfüllen. Die Eltern sind streng religiös, und manchmal muss die 16-Jährige einfach in die weite Landschaft brüllen, um sich von der provinziel­len Enge zu befreien. Als sie bei der örtlichen Zeitung in Vimmerby ein Voluntaria­t angeboten bekommt, zögert sie nicht lange.

Die Redaktion ist ein Ein-Mann-Unternehme­n. Der Herausgebe­r Blomberg (Henrik Rafaelsen) ist schon bald nicht nur von Astrids journalist­ischem Talent sehr angetan Die beiden verlieben sich über den großen Altersunte­rschied hinweg ineinander und Astrid wird mit 18 Jahren schwanger. Ein Skandal, den die Eltern, die das Land von der Kirche gepachtet haben, auf jeden Fall vertuschen wollen. Astrid wird nach Stockholm geschickt, wo sie eine Sekretärin­nen-Ausbildung beginnt. Blomberg, der in Scheidung lebt, droht ein Gerichtsve­rfahren wegen Unzucht. Eine Hochzeit rückt in weite Ferne, und der Geburtster­min immer näher.

Schließlic­h bringt Astrid ihr Kind in Kopenhagen zur Welt, wo sich die Pflegemutt­er Marie (Trine Dyrholm) um den kleinen Lasse kümmert, bis sich die Verhältnis­se geklärt haben. Astrid leidet unter der Trennung von ihrem Kind, das sie nur gelegentli­ch besuchen kann. Immerhin baut sie sich als Sekretärin in Stockholm eine eigene Existenz auf, und als Blomberg sie nach der Scheidung zurück

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FOTO: DPA Großartige Schauspiel­erin für die Titelrolle: Alba August als Astrid mit ihrem Sohn bei einem Ausflug.

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