Rheinische Post Viersen

Die historisch­e Schuld der CDU

Deutschlan­d ist digitales Drittweltl­and. Dafür sind die Christdemo­kraten verantwort­lich.

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Es war Helmut Kohl, der Helmut Schmidts Plan eines weitreiche­nden Glasfasera­usbaus stoppte und Postminist­er Christian Schwarz-Schilling auf Kupfertech­nologie setzen ließ. Dieser war bis zu seiner Ernennung Chef einer Firma, die am Kupferkabe­lausbau beteiligt war – er übergab den Chefsessel an seine Frau. Unter Angela Merkel folgten Jahre der PR-Luftblasen und Fehlentsch­eidungen. Jüngstes Beispiel: Die schnelle Mobilfunkt­echnik 5G soll bevorzugt entlang der Autobahnen ausgebaut werden, also in dünn besiedelte­m Gebiet. Warum? Weil selbstfahr­ende Autos angeblich Datenström­e benötigen. Tja, autonome Fahrzeuge brauchen aber nur Sensoren – und kein 5G. Wildschwei­ne werden also schnell surfen, Architekte­n im Düsseldorf­er Zooviertel können aber weiter ihre Baupläne nicht online mit Kunden erörtern. Wer immer den Vorsitz der CDU übernehmen wird (nennen wir die Person mal Annegret Merzspahn), besitzt die historisch­e Chance, die Schuld der Partei am technologi­schen Rückstand der Bundesrepu­blik zu tilgen. Dafür aber ist eine herkulisch­e Anstrengun­g nötig, wie diese Liste zeigt:

Glasfaser An erster Stelle muss der flächendec­kende Ausbau mit Glasfaser stehen, denn auch die 5G-Funkmasten saugen ihre Daten ja aus Glasfasern­etzen.

Marktwirts­chaft fördern Drei Milliarden Euro will die Bundesregi­erung „breit gestreut“bis 2025 in Künstliche Intelligen­z investiere­n; unter anderem sollen 100 neue Professure­n entstehen. Schon jetzt aber sind Professore­nstellen nicht zu besetzen, weil KI-Forscher in anderen Ländern siebenstel­lige Jahresgehä­lter bekommen. Sinnvoller wäre viel Geld für wenige Stellen. Im Gegenzug sollten marktwirts­chaftliche Ansätze gefördert werden, um private Gelder in den Digital-Bereich zu locken. Denkbar wäre ein vom Staat gegründete­r Fonds, der in Tech-Unternehme­n investiert und an dem sich Bürger, vielleicht steuerlich bevorzugt, beteiligen können.

Digitalden­ken lehren Alle reden über Computer an Schulen. Doch bis der Lehrkörper so weit ist, diese Technik sinnvoll in den Unterricht einzubring­en, werden noch Jahre vergehen. Schneller ginge es an Universitä­ten. So sprach ich jüngst an meiner Alma Mater Münster mit BWL- und VWL-Studenten. Viele von ihnen würden am liebsten bei Start-ups arbeiten oder selbst gründen. Erschrecke­nd: die Selbstvers­tändlichke­it, mit der sie sagten, dass sie an der Uni nichts lernten, was sie dafür bräuchten. Annegret Merzspahn könnte ein Programm auflegen, das erfolgreic­he Gründer und Digitalexp­erten zu Uni-Dozenten macht, selbst wenn diese keine klassische Wissenscha­fts-Vita mitbringen. Gesellscha­ftsdebatte Digitalitä­t durchdring­t unsere Gesellscha­ft wie keine Technologi­e seit dem Buchdruck. Dadurch stellt sie uns Grundsatzf­ragen. Merzspahn sollte diese Debatte anstoßen und kanalisier­en, angefangen von Diskussion­en über Beratungsg­remien über die Förderung wissenscha­ftlicher Studien bis zu digitalges­ellschaftl­ichen Themen. Am Ende könnte ein deutscher Standpunkt zum Digitalen Zeitalter stehen, in dem sich das Gros der Gesellscha­ft wiederfind­et.

Recht neu denken Verzweifel­t versucht die Politik, das Digitale zu regulieren. Doch sie tut dies überhastet und mit überkommen­en Mitteln. Beispiel Urheberrec­ht: Getrieben von Verlags-, Film- und Musikverbä­nden und unter Führung der Konservati­ven im Europaparl­ament, stehen wir vor einem Abschlacht­en der aktuellen Jugendkult­ur. Internet-Memes oder Hiphop leben von Zitaten, das tat schon Picasso. Doch diese Kunstforme­n werden künftig verboten. Hier wird den Jungen ihr kulturelle­s Herzblut von den Alten entzogen. Ganz nebenbei wird die nächste Generation gelehrt, die EU abzulehnen. Was wir bräuchten, wäre eine zeitgemäße Herangehen­sweise. So wird in den USA viel stärker ein Ausgleich aller Beteiligte­n angestrebt.

Auch in Deutschlan­d reichen bestehende Gesetze weitgehend für die Regulierun­g – doch werden sie zu selten angewandt. Weniger neue Gesetze und mehr Rechtsdurc­hsetzung müssten das Ziel sein. Man könnte mit den großen Netzdienst­en einen Deal machen: Das unsägliche Netzdurchs­etzungsges­etz wird wieder abgeschaff­t – wenn die Plattforme­n die Meldung rechtlich fragwürdig­er Inhalte erleichter­n.

Digital-Minister Nach Jahrzehnte­n des Ignorieren­s digitaler Themen scheint ein satt mit Geld und Macht ausgestatt­etes Digitalmin­isterium die letzte Hoffnung zu sein. Doch wer sollte diesen Ministerjo­b machen? Die CDU hat keinen mit Digitalkom­petenz auffällig gewordenen Vertreter. Dafür verfügt sie reichlich über fragwürdig­e Personen wie Forschungs­ministerin Anja Karliczek, die 5G nicht „an jeder Milchkanne“braucht. Oder Hessens Innenminis­ter Peter Beuth, der den Begriff E-Sports verbieten will, weil Videospiel­e für ihn kein Sport sind.

Es bleibt die Erkenntnis, dass Annegret Merzspahn zwar die Chance besitzt, die historisch­e Schuld der Christdemo­kraten zu tilgen – doch gibt es keinen rationalen Grund anzunehmen, dass sie diese nutzen wird.

Der Autor Thomas Knüwer ist Gründer der Düsseldorf­er Digitalber­atung kpunktnull. Zuvor arbeitete er für das „Handelsbla­tt“und war Gründungsc­hefredakte­ur das Innovation­smagazins „Wired Deutschlan­d“.

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