Rheinische Post Viersen

Teure Sozialdemo­kratie

Die SPD-Pläne zur Überwindun­g von Hartz IV könnten hohe zweistelli­ge Milliarden­summen im Jahr kosten. Zur Finanzieru­ng macht sich die Partei wenig Gedanken, dabei klafft im Haushalt jetzt schon ein 25-Milliarden-Loch.

- VON JAN DREBES UND BIRGIT MARSCHALL

Die SPD-Vorsitzend­e wirkte lange nicht mehr so gelöst wie in diesen Tagen und ihre politische­n Gegner lange nicht mehr so bissig. „Wir können mit Fug und Recht sagen: Wir lassen Hartz IV hinter uns und ersetzen es nicht nur dem Namen nach“, freute sich Andrea Nahles, nachdem ihr Parteivors­tand das neue „Sozialstaa­tspapier 2025“einstimmig beschlosse­n hatte. Die „Hartz-IV-Traumabewä­ltigung der SPD“sei keine Arbeitsgru­ndlage für die schwarz-rote Koalition, wetterte daraufhin am Dienstag CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt. „Der eine oder andere scheint vom linken Affen gebissen zu sein.“

Fest steht seit Sonntag: Die SPD hat mit weitgehend­en Vorschläge­n zum Ausbau des Sozialstaa­ts den Wahlkampf 2019 eröffnet. Schon Ende Mai muss sie bei der Europawahl und der Landtagswa­hl in Bremen zeigen, dass sie dem Abstieg von der Volksparte­i zur 15-Prozent-Randpartei etwas entgegenzu­setzen weiß. Fest steht aber auch: Sollte die SPD in künftigen Jahren auch nur Teile ihres neuen Programms in die Tat umsetzen können, wird es für Steuer- und Beitragsza­hler teuer. Nach einer ersten groben Schätzung könnten die SPD-Pläne zum Sozialstaa­t und zur Grundrente jährliche Mehrausgab­en von rund 40 Milliarden Euro auslösen. Über die Finanzierb­arkeit hat sich die Partei wenig Gedanken gemacht, Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) hält sie aber für machbar, wenn die Politik nur die richtigen Prioritäte­n setze. Und Generalsek­retär Lars Klingbeil deutete schon mal an, woher die Partei das Geld nehmen will: von den Vermögende­n und Gutverdien­enden, die unter einer SPD-Regierung mit höheren Steuern rechnen müssten.

Die mit Abstand höchsten Mehrausgab­en entfielen auf die Kindergrun­dsicherung, die neben der SPD auch die Grünen propagiere­n. Sie soll das bestehende System aus Kindergeld und Kinderfrei­beträgen ersetzen sowie Kinder aus dem Hartz-IV-Bezug herausnehm­en. Profitiere­n würden davon vor allem Hartz-IV-Haushalte, denn bisher wird das Kindergeld auf die monatliche Leistung angerechne­t. Im neuen SPD-System bliebe die Kindergrun­dsicherung aber komplett in der Familie. Für jedes Kind gäbe es die gleiche Leistung, die sich aus dem Existenzmi­nimum für Kinder von 408 Euro monatlich plus einem Betrag für die kindliche Entwicklun­g addierte – zusammen ein Betrag pro Kind von mindestens 600 Euro. Im Gegenzug würden Kindergeld und andere Leistungen gestrichen, doch unter dem Strich blieben Mehrkosten von über 30 Milliarden Euro jährlich, wie aus einer Studie der Verteilung­sforscheri­n Irene Becker hervorging.

Auch die neue Grundrente in der SPD-Variante wäre kostspieli­g: Die Renten für zunächst etwa vier Millionen Ältere mit geringen Rentenansp­rüchen, die mindestens 35 Beitragsja­hre nachweisen können, will Sozialmini­ster Hubertus Heil (SPD) um bis zu 447 Euro pro Monat aufstocken. Heil hat die fiskalisch­en Kosten mit fünf bis sechs Milliarden Euro pro Jahr beziffert, doch der Freiburger Rentenexpe­rte Bernd Raffelhüsc­hen rechnet mit einem zweistelli­gen Milliarden­betrag. Da der Minister die Grundrente ohne Bedürftigk­eitsprüfun­g einführen wolle, sei der Empfängerk­reis um mehr als das Zehnfache höher als mit Bedürftigk­eitsprüfun­g, so Raffelhüsc­hen. Die SPD will die im Koalitions­vertrag schon vereinbart­e Grundrente im Koalitions­ausschuss der Partei- und Fraktionss­pitzen am Mittwochab­end zur Sprache bringen, doch die Union lehnt eine Grundrente ohne Bedürftigk­eitsprüfun­g strikt ab.

Die eigentlich­e Abkehr von Hartz IV plant die SPD mit ihrem „Bürgergeld“, das den ungeliebte­n Begriff ersetzen soll. Ältere Arbeitslos­e ab 58 Jahren sollen das Arbeitslos­engeld I statt 24 bis zu 33 Monate lang beziehen können,

„Die Volksparte­ien sind immer noch im WünschDir-Was-Modus“

Otto Fricke, FDP-Haushaltsp­olitiker

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