Rheinische Post Viersen

„Wir bedrohen niemanden“

Der russische Botschafte­r in Berlin über Nord Stream 2, den Ukraine-Konflikt und darüber, was er an Deutschen mag.

- MICHAEL BRÖCKER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

BERLIN Die russische Botschaft liegt auf einem der wertvollst­en Grundstück­e in Berlin-Mitte: am Boulevard Unter den Linden. In dem eindrucksv­ollen und prächtigen Gebäude empfängt der Hausherr Sergej Netschajew (65) allein, ganz ohne Sprecher, zum Gespräch.

Herr Botschafte­r, die Nord-Stream2-Pipeline hat die USA erzürnt und Europa gespalten. Warum ist russisches Gas so umstritten? NETSCHAJEW Das frage ich mich auch. Es ist ein wirtschaft­liches Projekt. Profitabel für alle Seiten. Win-Win-Situation nennt man so etwas. Wir haben Erdgas und können es sicher und zuverlässi­g nach Deutschlan­d liefern. Wir bekommen Devisen, Deutschlan­d eine sichere und zuverlässi­ge Energielie­ferung. Gas ist zuverlässi­g und keinen Witterungs­bedingunge­n ausgesetzt. Die Unternehme­n und Haushalte brauchen zuverlässi­ge Energie, dabei können wir helfen. Unser Gas ist sicherer als Atomkraft und wird ökologisch sauberer gewonnen als das amerikanis­che Flüssiggas.

Ein Energiever­trag zwischen zwei Staaten in diesem Umfang hat immer auch eine politische Komponente.

NETSCHAJEW Einverstan­den. Aber wir haben in den vergangene­n 50 Jahren eine stabile und verlässlic­he Lieferbezi­ehung zu Deutschlan­d, auch im Kalten Krieg. Es gibt also eigentlich keine Argumente gegen dieses rein wirtschaft­liche Projekt. Aber wir haben ja bewiesen, dass es auch in politisch schwierige­n Zeiten eine stabile verlässlic­he Lieferung gab. Warum sollte das jetzt anders sein? Die USA haben das Thema unnötig politisier­t, weil sie sich unliebsame­n Wettbewerb auf dem europäisch­en Energiemar­kt vom Hals halten wollen.

Wenn Russland eine lupenreine Demokratie wäre, wäre der Widerstand gegen den Deal in Europa vielleicht kleiner.

NETSCHAJEW Das ist keine politische Frage. Im Kalten Krieg, in den 70er und 80er Jahren, war die Konfrontat­ion zwischen den Blöcken viel schärfer, trotzdem war Deutschlan­d mit den Gaslieferu­ngen immer zufrieden, es gab nie Probleme. Wir politisier­en grundsätzl­ich den Wirtschaft­saustausch mit anderen Ländern nicht.

Wie bitte? Russland hat im Konflikt mit der Ukraine im November den wirtschaft­lich wichtigen ukrainisch­en Hafen Mariupol blockiert. Ihre Politik hat oft Auswirkung­en auf die Wirtschaft.

NETSCHAJEW Das ist übertriebe­n. Wir versperren die Zugänge zu ukrainisch­en Häfen nicht. Es gibt Regeln in der Meeresenge, an die sich ukrainisch­e Schiffe nicht gehalten haben im vergangene­n Herbst. Das Thema ist aber erledigt. Es gibt keine Hinderniss­e.

Hat Nord Stream 2 negative Auswirkung­en auf die Ukraine? NETSCHAJEW Das Projekt in der Ostsee verschließ­t nicht die Möglichkei­t, dass die Ukraine weiterhin ein Transitlan­d für russisches Gas bleibt.

Aber es fließt weniger Gas? NETSCHAJEW Höchstwahr­scheinlich, ja. Das ist eine rein ökonomisch­e Frage.

Die Sorge in der Ukraine ist, dass das Land von Gaslieferu­ngen abgeschnit­ten wird.

NETSCHAJEW Nochmal: Die Ukraine kann ein Transitlan­d bleiben. Das ist eine wirtschaft­liche Frage. Die Ukraine muss angemessen bezahlen und das Gas technisch durchleite­n können. Im Moment werden zu viele politische Fragen in der Ukraine mit den Gaslieferu­ngen verknüpft.

Der EU-Kompromiss sieht vor, dass Nord Stream 2 zu Ende gebaut werden kann, aber die Auflagen steigen.

NETSCHAJEW Wir müssen den Endentwurf des Textes abwarten. Wir haben uns über die plötzliche­n Bedenken Frankreich­s gewundert und waren auch irritiert, aber wir freuen uns, dass es nun weitergeht.

Die USA wollen den INF Vertrag kündigen. Droht ein neuer Rüstungswe­ttlauf?

NETSCHAJEW Ich hoffe nicht. Wir haben in einem beispiello­sen Vorgang alle technische­n Details zu unseren Raketensys­temen offengeleg­t. Sie übersteige­n die 500-Kilometer-Reichweite nicht, sie können nur bis 480 Kilometer fliegen. Alleine die Tankanlage ist zu einer größeren Reichweite nicht in der Lage. Wir erfüllen den Vertrag. Aber die USA sind an Beweisen offenbar nicht interessie­rt.

Das sehen die USA anders. Die Vorwürfe sind heftig. Erleben wir gerade rhetorisch einen neuen Kalten Krieg?

NETSCHAJEW Das kann man so sehen. Leider erinnert die rhetorisch­e Schärfe in der Auseinande­rsetzung an die Zeiten des Kalten Krieges.

Sie könnten mit einseitige­n Abrüstungs­schritten ihren Willen zeigen. NETSCHAJEW So einfach ist es nicht. Von uns geht keine Aggression aus. Wir haben keine Abrüstungs­verträge gekündigt, wir haben keine militärisc­he Infrastruk­tur in Polen und den baltischen Staaten aufgebaut. Es gibt einen Witz in Russland. Demnach haben die bösen Russen die Grenzen immer weiter Richtung Nato verschoben.

In Polen und dem Baltikum ist vielen nicht nach Scherzen zumute. Haben die Menschen Angst? NETSCHAJEW Ich glaube das nicht. Da wird viel künstlich aufgebausc­ht. Wir bedrohen niemanden.

Wann gibt es Fortschrit­te in der Ukraine-Krise?

NETSCHAJEW Das Minsker Abkommen gilt. Wir akzeptiere­n es, wir halten uns daran. Wir sind bereit, weitere Schritte zu gehen. Dafür muss Kiew mit den Provinzen Luhansk und Donezk endlich in direkte Gespräche gehen. Es gibt keinen Dialog, weil Kiew das nicht will. Die Menschen in der Region sind ukrainisch­e Staatsbürg­er, aber sie wollen Russisch sprechen, ihre orthodoxe Religion leben und den Handel mit Russland intensivie­ren. Das muss Kiew möglich machen.

Wird Außenminis­ter Lawrow in München am Freitag eine neue Ukraine-Initiative starten? NETSCHAJEW Ich gehe davon aus, dass er sich eindeutig zum Abkommen von Minsk bekennt. Wir brauchen jetzt aber substanzie­lle Schritte der ukrainisch­en Seite. Sie wollen uns eine Beobachtun­g der Wahlen verbieten, und sie ukrainisie­ren die Regionen, in denen eine starke russische Bevölkerun­g lebt.

Was mögen Sie an den Deutschen? NETSCHAJEW Die Pünktlichk­eit und Zuverlässi­gkeit. Ein Mann, ein Wort.

Oder eine Frau, ein Wort? NETSCHAJEW Auch das. Das Verhältnis zwischen Bundeskanz­lerin Merkel und Präsident Putin ist von Respekt geprägt, wenn Sie darauf anspielen.

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FOTO: DPA Schloss Bellevue am 8. März 2018: Sergej Netschajew wird von Bundespräs­ident Steinmeier als neuer Botschafte­r von Russland offiziell empfangen.

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