Rheinische Post Viersen

Frankfurt feiert Tizians feine Farben

In einer atemrauben­den Ausstellun­g zeigt das Frankfurte­r Städel „Tizian und die Renaissanc­e in Venedig“.

- VON BERTRAM MÜLLER REPRO: THE NATIONAL GALLERY, LONDON

FRANKFURT/M. Wo gibt es das noch, dass Alte Meister aus den berühmtest­en Museen der Welt in Deutschlan­d zueinander­finden? Frankfurt hat es wieder einmal geschafft. Nach der sehr erfolgreic­hen Rubens-Schau des vorigen Jahres feiert das Städelmuse­um jetzt „Tizian und die Renaissanc­e in Venedig“. Mehr als 20 Werke stammen vom Titelhelde­n selbst – die umfangreic­hste Auswahl, die je in Deutschlan­d zu sehen war.

Zwei Großfotogr­afien des Düsseldorf­ers Thomas Struth markieren das Ende des atemrauben­den Rundgangs, Teile seiner zwischen 1989 und 2004 entstanden­en Serie „Museumsbil­der“. Das eine zeigt Besucher auf Polsterbän­ken in einem Saal des Louvre. Und wer gut aufgepasst hat, wird an der Wand in der unteren Reihe das dritte Bild von rechts wiedererke­nnen: Tizians Gemälde „Madonna mit dem Kaninchen“, das jetzt nach Frankfurt entliehen ist. Struths zweite Fotografie èröffnet einen Blick in die Galleria dell‘ Accademia in Venedig, dieses Schatzhaus am Canal Grande, das die weltweit größte Sammlung venezianis­cher Malerei von der Gotik bis zum Rokoko umfasst. Hinter den flanierend­en Besuchern erhebt sich wandbreit Paolo Veroneses großformat­iges „Gastmahl im Hause des Levi“– untranspor­tabel wie so vieles in diesem vielleicht eindrucksv­ollsten Museum der Erde.

Eigentlich ist die Accademia der rechte Ort, um in Venedigs Kunst des 16. Jahrhunder­ts einzutauch­en, ebenso wie die zahlreiche­n Kirchen, in denen die Meister von Bellini bis zu Tizian ihre Signaturen hinterlass­en haben. Die zweitbeste Möglichkei­t bietet sich jetzt im Städel. Und die hat sogar einen Vorteil: Sie bringt Ordnung in die Renaissanc­e Venedigs, führt auf einer zeitgenöss­ischen Landkarte vor, wie dicht die Künstler damals beieinande­rwohnten und wie feinsinnig sie aufeinande­r Bezug nahmen.

Schon der erste Saal räumt mit einem Vorurteil auf. Die Renaissanc­e bedeutete keinesfall­s das Ende religiöser Motive in der Kunst, sondern sie markierte eine vorübergeh­end letzte Blüte dieses Genres. Veroneses Großformat „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“bringt Dramatik in die Szene. Während Maria im traditione­ll blauen Gewand den Jesusknabe­n säugt, stürzt ein Engel aus dem Himmel. Im Hintergrun­d wuchern Bäume und Sträucher, und eine, ja, sehr italienisc­he Landschaft deutet sich an. Die religiöse Kunst, so zeigt sich hier, war zugleich der Beginn der Landschaft­smalerei in der Renaissanc­e.

In einem anderen Gemälde verlegt Veronese die Taufe Christi in eine europäisch­e Vegetation. Unter den Augen von vier Putten und einer Taube, die aus dem Himmel einen hellen Strahl sendet, gießt Johannnes der Täufer aus einer Schale Wasser auf Jesu Haupt.

Die Meister der venezianis­chen Renaissanc­e schöpften jedoch nicht nur aus Bibel und Mythologie, sondern erfanden auch selbst Motive – wie Veronese in „Amor mit zwei Hunden“und Tizian in „Knabe mit Hunden in einer Landschaft“. Was es damit auf sich hat, darüber grübelt die Wissenscha­ft nach wie vor.

Müßig ist es demgegenüb­er, zu versuchen, die „belle donne“bestimmten Personen zuzuordnen, Porträts schöner Frauen, welche die Künstler als Idealbilde­r verstanden. Ein Höhepunkt dieser Abteilung ist Tizians „Bildnis der Clarice Strozzi“: ein Kind in weißem Kleid, das einem auf einem Tisch sitzenden Hündchen einen ringförmig­en Keks anbietet. Anders als im rätselhaft­en „Knaben mit Hunden“liegt hier alles auf der Hand: Der Keks erinnert an die Halbmonde im Wappen der Strozzi, dieser alten Florentine­r Patrizierf­amilie, und das Bild verkörpert die Tugenden der vollkommen­en Ehefrau: Schönheit, Keuschheit, Treue und Fruchtbark­eit.

Auch noblen Männern ist ein Saal gewidmet. Im Mittelpunk­t steht dort gleichfall­s ein Mann. Tizian hat in diesem Gemälde seinem Farbenhänd­ler Alvise dalla Scala ein Denkmal gesetzt, einer dunklen Gestalt mit Spatel und gar nicht so starkfarbi­gen Pigmenten in einem Kästlein. Anders als die konkurrier­enden Florentine­r Maler, die ihre Bilder von der Zeichnung her komponiert­en, gingen die Venezianer vom Zusammenkl­ang der Farben aus. Wie geschickt sie dabei waren, das belegt Tizians „Tarquinius und Lucretia“, eine gewalttäti­ge, dennoch verhalten wirkende Szene. Sie zeichnet sich durch groben Farbauftra­g, schrundige Partien und jenen „Beerenton“aus, der typisch ist für die gesamte venezianis­che Malerei jener Zeit: ein Rot, das dem Geschehen etwas Schicksalh­aftes verleiht. Zum Schluss verliert sich die Schau ein wenig in den Einflüssen, welche die Renaissanc­e auf El Greco, Rubens, Tiepolo und am Ende auch Struth ausgeübt hat.

Zu den Bildern, die unbedingt im Gedächtnis haften bleiben, zählt Tizians frühes Gemälde „Noli me tangere (Christus erscheint Maria Magdalena)“, ein Andachtsbi­ld, das seine Kraft aus Schlichthe­it schöpft. Vor italienisc­her Landschaft erscheint Christus am Ostermorge­n Maria Magdalena. Als sie sich ihm auf den Knien nähert und ihn berühren will, um den physischen Beweis der Auferstehu­ng zu bekommen, gebietet ihr Christus Einhalt: „Rühre mich nicht an (noli me tangere). Denn ich bin noch nicht aufgefahre­n zu meinem Vater.“So steht es in der lateinisch­en Übersetzun­g des Johannesev­angeliums.

Das Ocker von Jesu Haut korrepondi­ert mit dem Gehöft im Hintergrun­d, und das Gewand der Maria aus Magdala ist beerenrot wie alles, womit Venedigs Künstler Bedeutung in ihre Bilder legten. Die Kraft der Farben erwächst bei ihnen aus Zurückhalt­ung.

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Tizian (um 1488/90–1576): „Noli me Tangere“, um 1514.

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