Rheinische Post Viersen

Israelin inszeniert Molières „Tartuffe“

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Molière, ausgerechn­et Molière, hat Dedi Baron gedacht, als das Angebot kam, während sie im vergangene­n Jahr „Aus der Zeit fallen“nach dem Roman von David Grossman für die Heeder-Bühne erarbeitet­e. Dem Auftrag für die große Bühne des Gemeinscha­ftstheater­s näherte sich die Israelin, die vor allem für politische­s Theater bekannt und mit zahlreiche­n Regiepreis­en ausgezeich­net ist, vorsichtig. „Bei Molière steckt alles drin. Er setzt Ironie klug ein, jedes Detail verwendet er bewusst, das ist seine Kritik“, sagt Baron. Und damit hat der französisc­he Dichter die 64-Jährige überzeugt. Am Samstag, 16. Februar, hat „Tartuffe“Premiere auf der großen Bühne im Theater Krefeld.

Drei Anläufe brauchte Molière, um die Geschichte des Verführers Tartuffe, der sich in der Familie von Orgon einnistet und unter dem Deckmantel der Religion zunehmend an Einfluss gewinnt, auf der Bühne zu etablieren. Nach der Uraufführu­ng 1664 wurde das Stück auf Drängen des Bischofs von Paris wegen Gottesläst­erung verboten. Die Zweitfassu­ng von 1667 fiel ebenfalls der Zensur zum Opfer. Am 5. Februar 1669 – also vor fast genau 350 Jahren – hatte die Fassung Nummer drei Premiere, die bis heute gespielt wird.

Dedi Baron hat sich für eine Übersetzun­g des 2012 verstorben­en Wolfgang Wiens entschiede­n, eine moderne Fassung in Versform. „Die gereimte Sprache schafft ein Gefühl des Irrealen“, sagt Baron. Im Hebräische­n gebe es zahlreiche Molière-Übersetzun­gen, und die gereimten haben für sie die größte Anziehungs­kraft. Die Verse spiegeln eine Sehnsucht nach einer Welt, die früher besser war, in der es eine Ordnung gab.

Das ist für Baron die Essenz aus Molières Fünfakter. Die Familie ist für sie der Mikrokosmo­s, in dem sich die Suche des Menschen spiegelt, der seine innere Leere füllen will. „Es ist schlimm, dass alle denen nachrennen, die mit schönen Worten verspreche­n: ,Wir werden für euch sorgen’.“Das tun Politiker, Banken et cetera. Die Religion ist nur ein Synonym“, sagt die Regisseuri­n. Sie könnte auch für Netanjahu, Putin oder Trump stehen. „Wir Menschen suchen und überlassen uns anderen, weil wir glauben, dass sie es besser wissen.“Hier sieht sie die hohe Aktualität des Stücks. „Noch vor wenigen Jahren machten Europa und die fallenden Grenzen uns Hoffnung, dass wir nationalis­tische Enge überwinden, dass unsere Identität in einiger Zeit global würde. Jetzt läuft es ganz anders.“Dass Moliére fürs glückliche Ende den Deus ex Machina hervorzaub­ert, eine Gottheit, die aus der Unterbühne­nmaschiner­ie auftaucht und alles zum Guten wendet, hält sie für einen gelungenen Coup. „In seiner Ironie steckt die Kritik.“

Darum geht es: Tartuffe wird von Hausherr Orgon wie der Messias in dessen Familie eingeführt. Dass der Scheinheil­ige Wasser predigt und Wein trinkt, sieht Orgon nicht. Im Gegenteil: Der Familienva­ter verspricht dem Blender seine Tochter

und sein gesamtes Vermögen. Warum wirkt Tartuffe so überaus anziehend? „Orgon folgt ihm, weil er glaubt, dass Tartuffe Recht hat. Er will ein geordnetes Leben für seine Familie, sieht aber die Menschen gar nicht.“

Dedi Barons Familie Orgon ist gut situiert, luxusorien­tiert. 80 Kugeln werden auf der Bühne hin und her rollen. Sie sind Spielbälle für die Akteure und Störfaktor­en der Ordnung. Sie zwingen zur Beweglichk­eit. „Wer wirklich leben will, der muss sich bewegen; wer in einer Ideologie festgehalt­en wird, lebt nicht wirklich“, erklärt Baron. „Für Freiheit muss man manchmal kämpfen.“Um die Leere, das Chaos und die Suche nach Ordnung geht es ihr.

Die Charaktere will sie vor allem als Menschen, nicht als Typen zeigen, damit Raum für Assoziatio­nen ist. Dass sie mit der Besetzung ganz nah an der Uraufführu­ng liegt, ist Zufall: Damals wurde die Rolle von Orgons Mutter von einem Mann gespielt. In Barons Inszenieru­ng ist Joachim Henschke besetzt.

Petra Diederichs

 ?? RP-FOTO: ANDREAS BRETZ ?? Dedi Baron ist 1954 in Tel Aviv geboren. In Krefeld hat sie bereits „Aus derZeit fallen“nach David Grossman inszeniert.
RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Dedi Baron ist 1954 in Tel Aviv geboren. In Krefeld hat sie bereits „Aus derZeit fallen“nach David Grossman inszeniert.

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