Ein Leben für die Familie
Die Schwalmtalerin Britta Lange entschloss sich mit Mitte 30, noch mal etwas Neues zu machen. Die gelernte Bäckerin ist jetzt angehende Kinderdorfmutter in Waldniel und lebt dort mit Kindern unterschiedlichen Alters zusammen.
SCHWALMTAL Üblicherweise entschließen sich Mann und Frau eine Familie zu gründen, Kinder zu bekommen und bis die Kinder aus dem Haus gehen, mit ihnen zusammenzuwohnen. Im Bethanien Kinderdorf in Waldniel allerdings leben benachteiligte Kinder und Jugendliche mit ihren Kinderdorfmüttern und oft auch deren Partnern in einer Familie, die nicht genetisch ist. Die Kinder können aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr bei ihren leiblichen Familien leben. Das Waldnieler Bethanien Kinderdorf ist eines von drei Dörfern, wo diese Kinder und Jugendlichen, meist bis sie 18 Jahre alt sind, in einer Kinderdorffamilie bleiben können.
„Ich habe im Kinderdorf meine Erfüllung gefunden“, betont die 38-jährige Lange, die jetzt mit sechs Kindern im Haus Bucheneck arbeitet, lebt und wohnt. Wenn sie mit der Ausbildung fertig ist, wird sie ihre eigene Kinderdorffamilie bekommen. Um Kinderdorfmutter werden zu können, drückt sie nun noch einmal die Schulbank und macht eine Ausbildung zur Erzieherin. Denn einer der Kinderdorf-Eltern muss eine pädagogische Ausbildung haben.
Bis sie zu diesem Entschluss kam, war es ein langer Weg. 14 Jahre arbeitete die gelernte Bäckerin bei Stephan Joebges in der Bäckerei. Er trat 2010 seinen Dienst als Verwaltungsleiter des Kinderdorfs an. Lange wechselte in die Küche des Altenheims Breyell und lernte dort kochen. Dreieinhalb Jahre kochte sie zuletzt in der Jugendherberge in Brüggen. Im Team der Jugendherberge arbeiten auch sechs Menschen mit unterschiedlicher Behinderung. „Das hat mich glücklich gemacht, mit Menschen zu arbeiten“, stellte Lange dort fest.
„Als ich dann einen Beitrag über die ehemalige Tierärztin und jetzige Kinderdorfmutter Katharina Kalla gelesen habe, hat es mich beeindruckt, dass jemand in einem ähnlichen Alter sagt, ‚Ich bin mit dem, was ich mache, nicht so glücklich‘ und dann komplett den Arbeitsbereich wechselt und noch eine Ausbildung absolviert“, erzählt die Waldnielerin.
Lange sprach mit ihrer Familie, wollte wissen, was diese von ihrer Idee hält, als Kinderdorfmutter arbeiten und leben zu wollen. „Ich bekam viel positive Resonanz.“Es folgte ein Termin beim jetzigen Geschäftsführer Klaus Esser, der damals noch Kinderdorfleiter in Schwalmtal war. Sie hatte Glück, fand kurz darauf im Hephata Berufskolleg in Mönchengladbach auch noch einen Platz, um dort ihre pädagogische Ausbildung zu absolvieren. Im Oktober 2017 fing Lange dann im Birkenhaus auf dem Kinderdorfgelände in einer Schichtdienstgruppe an. Ihre Erzieherinnenausbildung läuft dual. „Es ist eine Lebensentscheidung“, ist sich die 38-Jährige bewusst. „Viele glauben, ich würde dabei sehr viel aufgeben. So sehe ich das gar nicht. Ich gewinne sehr viel dazu“, sagt sie und ergänzt: „Es ist ein sehr zufriedenstellendes Gefühl, etwa abends die Kinder ins Bett zu bringen und gefragt zu werden, ob man gedrückt werden darf.“
Das Dorf mit seiner Gemeinschaft sei sehr wichtig, man helfe sich, habe immer einen kompetenten Gesprächspartner. „Auch für die Kinder ist das schön, wenn es mal Stress gibt. Alle finden jemanden, der einen auffängt“, sagt sie und zitiert ein afrikanisches Sprichwort: „Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen.“Kinderdorfmütter fahren auch mit ihren Kindern in Urlaub. „Ich werde mit
den Kindern meine Eltern besuchen. Die sind dann einfach Oma und Opa. Beide stehen hinter dieser Entscheidung“, sagt sie.
Wegen ihrer Freizeit macht sie sich keine Sorgen. „Ich habe ganz normal 30 Tage Urlaub. Vom Kinderdorf wird großer Wert darauf gelegt. Ich brauche nichts aufzugeben“, so die werdende Kinderdorfmutter. Auch Kinobesuche oder Ähnliches seien also kein Problem.
Auch mit der Zeit danach hat sie sich bereits beschäftigt; wie es sein wird, wenn sie in Rente geht, ob der Kontakt zu den Kinder abreiße. Das Kinderdorf sei sehr daran interessiert, dass die sich bildenden Familien auch ein Leben lang begleiten. „Ich glaube nicht, dass man später in der Rente allein sein wird. Es bauen sich Beziehungen auf, die dann auch weitergeführt werden“, sagt Lange und lächelt.