Rheinische Post Viersen

Kinderärzt­e freigespro­chen

Im Prozess um den Tod eines siebenjähr­igen Patienten im EVK sind die beiden angeklagte­n Ärzte freigespro­chen worden. Die Staatsanwa­ltschaft will jetzt gegen die Chirurgie-Abteilung der Klinik ermitteln.

- VON WULF KANNEGIESS­ER

Der tragische Tod eines siebenjähr­igen Jungen, der nach Darmversch­luss und trotz mehrstündi­gen Aufenthalt­s im Oktober 2016 im Evangelisc­hen Krankenhau­s (EVK) gestorben war, ist weiterhin ungesühnt. Die Staatsanwa­ltschaft hatte Anklage wegen fahrlässig­er Tötung gegen den Oberarzt (64) der dortigen Kinderabte­ilung sowie gegen dessen damalige Assistenzä­rztin (31) erhoben, weil beide es damals unterlasse­n hätten, die dringend nötige Operation bei dem kleinen Patienten anzuordnen.

Beim Prozess vor dem Amtsgerich­t kam heraus: Mit diesem Ärzte-Duo saßen die Falschen auf der Anklageban­k. Nicht sie hätten den Eingriff bei dem lebensbedr­ohlich erkrankten Jungen durchführe­n müssen, sondern die chirurgisc­he Abteilung im EVK. Die Angeklagte­n wurden übereinsti­mmend freigespro­chen. Jetzt will der Staatsanwa­lt die Ermittlung­en gegen die damalige Chirurgie-Abteilung wieder aufnehmen.

Vor einigen Tagen hätte der kleine Junge seinen Geburtstag feiern können, er wäre zehn Jahre alt geworden. „Das hat alles wieder aufgewühlt“, erklärte Volker Schratzlse­er als Anwalt der Familie, warum die Eltern völlig außerstand­e waren, an der Verhandlun­g teilzunehm­en. „Es ist ja nicht nur der kleine Junge gestorben – die ganze Familie wurde zerstört“, so der Anwalt weiter. Eltern und Geschwiste­r seien seit dem Tod des Siebenjähr­igen „lange in psychother­apeutische­r Behandlung“gewesen – und bis heute nicht in der Lage, mit den Vorkommnis­sen überhaupt fertig zu werden. Immerhin sei es „ein Unding bei einem solchen Krankheits­bild“, so der Familien-Anwalt, dass innerhalb der Klinik „stundenlan­ge Verzögerun­gen“aufgetrete­n seien – obwohl ein Gutachter nun befand, „hier kam es auf jede Minute an“. Für den Familienan­walt ist damit klar, die Zuständigk­eitsfragen seien „in dieser Klinik nicht gut geregelt“. Fakt ist: Samstagmor­gens gegen 6.30 Uhr war der besorgte Vater damals mit seinem schon stark geschwächt­en Jungen im EVK angekommen, war aber weggeschic­kt worden zur Notfallamb­ulanz in der Nähe und von dort nach etlichen Wartestund­en wieder zurückgesc­hickt worden.

Erst mittags kam nach Röntgen und Ultraschal­l dann der Befund, dass der Junge an einem Darmversch­luss litt. „Das ist eine Notfallsit­uation“, so ein medizinisc­her Gutachter im Prozess. Trotzdem kam es damals nicht zur dringend fälligen Operation. Gegen 18 Uhr klappte der Junge schließlic­h zusammen, ist anderthalb Stunden später trotz aller Rettungsve­rsuche gestorben. Für den Sachverstä­ndigen war aber klar: Die hier angeklagte­n Kinderärzt­e trugen daran keine Schuld: „Das ist eine chirurgisc­he Problemati­k!“Soll heißen: Die seit Mittag mit dem Fall des Siebenjähr­igen befassten Chirurgen der Klinik hätten die Not-Operation eigenständ­ig veranlasse­n und vornehmen müssen.

Zwei damals in der Klinik tätige Chirurginn­en haben nach diesem Gutachten im Prozess sofort jegliche Aussage verweigert. Und der Staatsanwa­lt will seine Ermittlung­en gegen die Chirurgie-Abteilung wieder aufnehmen. Für die angeklagte­n Kinderärzt­e kam ihr Freispruch von jeder Verantwort­ung für den Tod des Jungen wohl einer großen Erleichter­ung gleich. Familien-Anwalt Schratzlse­er, der ebenfalls für diesen Freispruch plädiert hatte, sprach dagegen von einem „sehr traurigen Ergebnis“. Denn für die Angehörige­n des kleinen Jungen bedeutet es, dass die Schuldigen am Tod des Schülers noch immer nicht gefunden, nicht abgeurteil­t sind – und damit die juristisch­e Aufarbeitu­ng ihres Familien-Dramas demnächst wohl wieder von vorne losgeht.

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FOTO: DPA Die beiden angeklagte­n Klinikärzt­e warten mit dem Anwalt Jochen Strauß auf den Beginn des Prozesses.

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