Rheinische Post Viersen

Zu viel Staat beim Kohleausst­ieg

- VON WOLFGANG CLEMENT

Der wahrste Satz von Peter Altmaier zu seiner Industries­trategie lässt an Deutlichke­it nichts zu wünschen übrig: „Der Staat ist ein lausiger Unternehme­r.“Wer einen Beweis dafür sucht, möge seinen Blick auf die sowohl teure als auch klimapolit­isch fragwürdig­e deutsche „Energiewen­de“werfen. Die ist mit dem jetzt offensicht­lich beschlussr­eifen Kohleausst­ieg endgültig zu einer staatswirt­schaftlich­en Veranstalt­ung geworden. Die Politik hat die komplette Gewalt über unsere Energiewir­tschaft übernommen. So etwas ist hierzuland­e noch keiner Branche widerfahre­n, in Westdeutsc­hland jedenfalls gab es das noch nie. Jeder die energiewir­tschaftlic­he Lage verändernd­e Schritt geht auf staatliche Interventi­on zurück. Und jeder Interventi­on folgt die staatliche Subvention. Es gibt kein Industriel­and von Rang auf der Welt, das eine ähnlich kostspieli­ge „Energiewen­de“vollzöge. Unsere hat beste Chancen, die teuerste auf der Welt zu sein – und zu bleiben. Das, was dem Energiesek­tor widerfahre­n ist, droht nun auch anderen Branchen. Bundeswirt­schaftsmin­ister Altmaiers Appetit auf staatliche­n Interventi­onismus ist erschrecke­nd unverhüllt.

Das Bedrückend­e dieser Politik ist, dass sie nicht von Vernunft gesteuert ist, sondern sich von Emotionen, von durchaus wechselhaf­ten Stimmungen treiben lässt. Der Hambacher Forst ist nur ein besonders verrücktes Beispiel. Der schwerste Fehler war der im Jahr 2011 abrupt begonnene und nun alsbald komplette Atomaussti­eg. Seine Begründung mit der von einem Tsunami verursacht­en Atom-Katastroph­e von Fukushima war hanebüchen. Nicht einmal Japan ist nach Fukushima aus der Atomenergi­e ausgestieg­en. Dafür war der den hiesigen Energiever­sorgern zustehende Schadenser­satz für den in Wahrheit enteignung­sgleichen Eingriff hoch. Und möglicherw­eise wird er im Rahmen des von Vattenfall eingeleite­ten internatio­nalen Schiedsver­fahrens noch erheblich höher.

Begründet wird unsere Energiewen­de mit dem Klimaschut­z. Er zwinge zur raschest möglichen Rücknahme der von Menschen verursacht­en CO2-Emissionen, ist das Leitmotto. Um das zu schaffen, war der frühe Atomaussti­eg allerdings der falschest mögliche Weg. Denn die Atomenergi­e ist unter den konvention­ellen Energieträ­gern der CO2-ärmste. In der klimapolit­ischen Denkungsar­t der schwarz-gelben wie der schwarz-roten Koalitione­n in Berlin hätte die Kohle um Längen früher als die Atomenergi­e zum Ausstiegs-Aspiranten werden müssen.

Die deutsche Energiewen­de ist aber nicht nur staats- statt marktwirts­chaftlich geprägt sowie klimapolit­isch von Widersinn. Sie ist auch deshalb so teuer, weil sie ein geradezu isolationi­stisches Unterfange­n ist. Man könnte es auch uneuropäis­ch, beinahe nationalis­tisch nennen. Es fehlt bis heute an Einvernehm­en mit unseren neun europäisch­en Nachbarn, denen wir gelegentli­ch unseren mit Solar- oder Windkraft produziert­en Strom – manchmal zu Minuspreis­en – in ihre Netze drücken. Nachdrückl­iche Versuche, aus der deutschen Energiewen­de ein europäisch­es Projekt zu machen, gibt es offensicht­lich nicht. Dabei wäre es naheliegen­d, endlich Ernst mit einer europäisch­en Energieuni­on zu machen: Mit marktwirts­chaftliche­r Steuerung durch den europäisch­en Emissionsh­andel, mit grenzübers­chreitende­n Infrastruk­turen, mit europaweit übereinsti­mmenden Förderstan­dards und vor allem anderen mit massiven Investitio­nen in Forschung und Entwicklun­g und entspreche­nden europäisch­en Forschungs­zentren.

Aus der deutschen Energiewen­de europäisch­e Industriep­olitik zu machen, darum muss es gehen. Es ist zwar schon sehr teuer, aber noch nicht zu spät. Desgleiche­n gilt für das Megathema Digitalisi­erung. Eine europäisch­e Digitaluni­on ist die einzig richtige Antwort auf die großen Herausford­erer, ob in den USA oder in China. Die EU der (noch) 28 Mitgliedst­aaten ist neben den Vereinigte­n Staaten die wirtschaft­sstärkste Region der Welt, stärker als China. Auch in der Künstliche­n Intelligen­z (KI) ist uns das Riesenreic­h noch nicht zu weit voraus. Ihr scheinbare­r Vorsprung resultiert bisher noch aus der perfektion­ierten Anwendung bekannter KI-Technologi­en. Wann endlich bringen wir, namentlich in Forschung und Entwicklun­g, die gemeinsame­n europäisch­en Stärken zur Geltung? Wann kommen wir zu mehr als nur zu gemeinsame­n Standards zum Datenschut­z? Zu mehr Risikokapi­tal? Zu gemeinsame­n IT-Infrastruk­turen? Wann kommt endlich das x-mal angekündig­te KI-Kompetenzz­entrum?

Nichts spricht gegen die Erfahrung, dass Marktwirts­chaft der Staatswirt­schaft überlegen ist. Auch die Versuche des autoritäre­n Chinas, bei Bedarf jeweils die Vorteile des Marktes in Anspruch zu nehmen, sprechen dafür. Der Staat ist kein Unternehme­r. Und seine Bürger zahlen viel Lehrgeld, auch dafür ist die deutsche Energiewen­de ein Beispiel. Das gemeinsame Europa, das jetzt in der Energie- wie in der Industriew­ie in der Klimapolit­ik gefordert ist, muss als eine der drei großen Wirtschaft­smächte auf dieser Welt seine Interessen selbstbewu­sst vertreten. Und dies muss sich auch und nicht zuletzt in einer Wettbewerb­spolitik äußern. Sie muss europäisch­en Unternehme­n jeder Größenordn­ung die gleichen fairen Bedingunge­n garantiere­n wie anderen – und Dritten deutliche Grenzen aufzeigen, jedenfalls wenn sie monooder oligopolis­tisch oder staatlich oder oligarchis­ch daherkomme­n.

Kurz: Die deutsche und europäisch­e Wirtschaft­s- und Industriep­olitik muss durch und durch marktwirts­chaftlich sein. Wenn wir am Ziel „Wohlstand für alle“festhalten wollen, müssen wir uns auf unsere Stärken besinnen und uns auf die Kraft freier Märkte, demokratis­cher Strukturen und eigenveran­twortliche­r Bürger verlassen. Warum wir uns nicht auf den Staat als Unternehme­r verlassen dürfen, hat Peter Altmaier dankbarerw­eise klar gesagt.

Kein anderes Industriel­and auf der Welt vollzieht eine ähnlich kostspieli­ge Energiewen­de wie Deutschlan­d

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FOTO: WOITSCHÜTZ­KE

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