Rheinische Post Viersen

Beziehungs­status: Komplizier­t

Mit ihren Worten von der Grenzschli­eßung als „Ultima Ratio“setzt sich die neue CDU-Chefin Kramp-Karrenbaue­r von Merkel ab.

- VON KRISTINA DUNZ UND EVA QUADBECK FOTO: DPA

BERLIN Der Einstieg in den Ausstieg ist Angela Merkel besser geglückt, als sie es zu träumen gewagt hatte. Nicht bei der Wehrpflich­t, nicht bei der Atomkraft und auch nicht bei der Kohleenerg­ie – sondern in ihrem ganz persönlich­en Fall. Ihr Verzicht auf den CDU-Vorsitz und die Wahl ihrer Favoritin zur Nachfolger­in hat der Kanzlerin zum Ende ihrer langen Politkarri­ere Befreiung verschafft: Jetzt kann sie loslassen.

Sie hat den Übergang weitgehend selbstbest­immt eingeleite­t, spätestens 2021 ist für sie Schluss. Aber sie könnte auch schon morgen aufhören, wenn es sein muss, und verzichten auf das Kanzleramt, auf die Macht. Und vielleicht wird das ausgerechn­et jene Frau beschleuni­gen, mit der sie sich am 7. Dezember 2018 beim Bundespart­eitag in Hamburg nach der Vorstandsw­ahl in den Armen lag: Annegret Kramp-Karrenbaue­r.

Die Saarländer­in hat nach dem sogenannte­n Werkstattg­espräch der Union zur Migrations­politik am Montag in einem ARD-Interview einen folgenschw­eren Satz gesagt. Er ist ihr trotz des Jubels der CSU und Merkel-Kritiker zwar noch nicht um die Ohren geflogen, hat aber im liberalen Lager der CDU aufhorchen lassen. Auf die Frage, ob sie die deutsche Grenze dichtmache­n würde, falls sich eine solche Ausnahmesi­tuation wie die Flüchtling­skrise 2015 wiederhole­n sollte, antwortete die neue CDU-Chefin: „Wir haben gesagt, als Ultima Ratio wäre das durchaus auch denkbar.“Der Nachsatz schränkt das wieder ein – wenn auch ungenau formuliert: „Wir haben auch seit dem vergangene­n Sommer im Übrigen eine andere Situation. Die Kanzlerin hat ja in Europa verhandelt, dass man auch auf Grundlage von Vereinbaru­ngen mit Nachbarsta­aten darüber reden kann.“Aber dabei geht es nur um bilaterale Abkommen mit EU-Staaten, mit denen über eine Zurückweis­ung von bestimmten Flüchtling­en an der deutschen Grenze geredet werden würde – nicht darum, die Grenze dicht zu machen. Allen dürfte klar sein, dass es mit Merkel als Kanzlerin die Schließung der deutschen Grenze niemals geben wird. Auch nicht als Ultima Ratio. Dafür hat sie ihre Regierung riskiert. Ihren Ruf wird sie jetzt nicht mehr aufs Spiel setzen.

Merkel und Kramp-Karrenbaue­r sind Vertraute, schätzen einander persönlich. Sie war ihre Wunschkand­idatin in der Nachfolge für den CDU-Vorsitz, auch wenn Merkel das nie mit einer Silbe erwähnt hat. Die beiden haben viele Gemeinsamk­eiten: analytisch­en Verstand, machtpolit­ischen Instinkt, fachliche Beschlagen­heit, die Fähigkeit in Verhandlun­gen, das Gegenüber zu durchschau­en, und viel Geschick dabei, aus dem Unterschät­zwerden Kapital zu schlagen. Nun steht diese ganz besondere politische Beziehung auf der Probe.

Im Koalitions­ausschuss am Mittwochab­end habe sich Merkel nichts anmerken lassen, berichten Teilnehmer. Es habe auch keine Aussprache zwischen der Kanzlerin und der Parteichef­in gegeben, heißt es. Für Kramp-Karrenbaue­rs Ziel der Kanzlerkan­didatur sei es elementar wichtig, dass sie sich von Merkel unabhängig mache. Nun sei entscheide­nd, was die Union in ihr Europawahl­programm schreibe. Ein Passus zur Schließung der Grenzen würde eher zum vorzeitige­n Ende von Merkels Kanzlersch­aft führen als der Streit mit der SPD über die Grundrente, wird gemutmaßt. Und zwar vielleicht sogar am ehesten von Merkels Seite aus. Die hohen Hürden des Grundgeset­zes erlauben ihr allerdings keinen einfachen Rücktritt. Sie müsste die Vertrauens­frage stellen. Danach kann der Bundespräs­ident einen Vorschlag für die Wahl eines Nachfolger­s machen oder eine Neuwahl des Bundestags ansetzen. Letzteres wäre wohl der wahrschein­lichere Fall.

Kramp-Karrenbaue­r muss nun entweder das Kunststück vollbringe­n, eine für alle Beteiligte­n akzeptable Formulieru­ng zu finden – oder

sie muss den Bruch mit Merkel zumindest einkalkuli­eren. Für die 56-Jährige wird es nicht einfach, hinter ihre Worte von der „Ultima Ratio“zurückzuge­hen. Denn in der CSU und auch im merkelkrit­ischen CDU-Flügel stoßen die Resultate des Werkstattg­esprächs zur Flüchtling­spolitik und Kramp-Karrenbaue­rs Auslegunge­n dazu auf Überraschu­ng, Begeisteru­ng, Erleichter­ung. „Endlich“, sagen sie und meinen, dieser Kurs hätte der Union den Krisensomm­er 2018 ersparen können. Mit dieser Positionie­rung hatten sie bei der Frau, die sie noch vor kurzem als „Mini-Merkel“gebrandmar­kt haben, nicht gerechnet.

Die Kanzlerin hatte in ihrer Abschiedsr­ede als CDU-Chefin gesagt, sie sei bereit, bis 2021 Regierungs­chefin zu bleiben. Ihr Subtext: Sie muss es nicht. Womöglich würde sie einen Ruck der CDU ins Konservati­ve Kramp-Karrenbaue­r persönlich gar nicht übel nehmen. Es wäre nicht mehr ihre Verantwort­ung.

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Das Vertrauens­verhältnis zwischen Bundeskanz­lerin Angela Merkel und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r steht vor einer Bewährungs­probe.

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