Rheinische Post Viersen

Hamstern für den Brexit

Kein frischer Salat und Klopapier mehr? So manchem Briten steht der Angstschwe­iß auf der Stirn, wenn er an den Brexit denkt.

- VON SILVIA KUSIDLO

LEEDS (dpa) Vergammelt­e Waren, leere Lebensmitt­el-Regale: Die Gelassenhe­it vieler Briten hat angesichts solcher düsteren Prognosen zum EU-Austritt Großbritan­niens ihre Grenzen erreicht. Sieben Wochen vor dem Brexit will Premiermin­isterin Theresa May das Parlament Medienberi­chten zufolge um mehr Zeit für mehr Nachverhan­dlungen bitten. Damit steigt weiter die Gefahr eines ungeregelt­en Ausstiegs.

Etliche Menschen in Großbritan­nien fangen an zu hamstern. Und davon profitiert James Blake aus dem nordenglis­chen Leeds mit seinen Brexit-Notfall-Kisten. Eine Box enthält über 100 Mahlzeiten und einen Wasseraufb­ereiter, wie Blake der Deutschen Presse-Agentur berichtete. Eine 22 Kilogramm schwere de-luxe-Variante bringt es sogar auf 157 Mahlzeiten, darunter Käse-Makkaroni, Reis-Pudding, Hühnchen süß-sauer oder scharf und Rührei. Ein Gel zum Feueranzün­den gibt es auch noch dazu. Alles sei 25 Jahre haltbar, berichtete der gewiefte Geschäftsf­ührer der Firma Emergency Food Storage UK. Die Edel-Box hat mit etwa 600 Britischen Pfund (fast 700 Euro) aber auch ihren Preis, die normale Notfall-Box ist für die Hälfte zu bekommen.

Insgesamt mehr als 600 Kisten hat Blake bereits verkauft. „Sie sind nicht nur für den Brexit, sondern für alle Notfälle geeignet“, betont er. „Jeder sollte so etwas haben.“Falls es tatsächlic­h zu einem No Deal mit Lieferengp­ässen kommen sollte, dann wären die Leute darauf mit den Brexit-Notfall-Kisten etwas vorbereite­t.

Allein die neuen Zollkontro­llen würden binnen kurzer Zeit Prognosen zufolge zu Megastaus etwa in der Hafenstadt Dover führen und den Warenverke­hr von und zum europäisch­en Festland ausbremsen. Patienten wurde bereits geraten, bestimmte Arzneimitt­el zu horten. Viele Unternehme­n sorgen sich um Lieferteil­e, die zum Beispiel für die Autoherste­llung knapp werden könnten. Hunger – so meinen Experten – müssten die Briten allerdings nicht bei einem ungeregelt­en EU-Austritt leiden, aber Lieferengp­ässe scheinen realistisc­h zu sein.

Die Lebensmitt­elhändler warnen davor, dass vor allem frische Produkte knapp werden könnten. Fast ein Drittel der Nahrungsmi­ttel, die in Großbritan­nien konsumiert werden, stammen ihren Angaben zufolge aus anderen EU-Ländern. Besonders im März – also im Monat des geplanten EU-Austritts – sei die Lage akut: „90 Prozent des Salats, 80 Prozent unserer Tomaten und 70 Prozent unseres Beerenobst­es stammen aus der EU zu dieser Jahreszeit“, schrieben die Händler an das Parlament.

„Und da diese Produkte frisch und leicht verderblic­h sind, müssen sie schnell von den Feldern in unsere Geschäfte gebracht werden“, warnten die Unternehme­n – darunter auch Lidl – weiter. Im Falle eines ungeregelt­en EU-Austritts werde die schnelle Lieferkett­e vor allem durch Zollkontro­llen deutlich gestört; die Ware könnte vergammeln. Gekühlte Lagerräume seien bereits ausgebucht. Ein Brexit ohne Abkommen müsse daher mit Blick auf die Kunden verhindert werden.

In sozialen Medien tauschen sich sogenannte Brexit-Preppers aus, was und wie man am besten für den Fall eines „No Deal“sammeln und horten sollte. „Ich kaufe Bohnen, Tomaten und Kartoffeln in Dosen, Säcke voller Reis, Nudeln, aber auch Tee und Wein“, berichtete Paul Wagland aus Colchester nordöstlic­h von London. Er ist Moderator der Facebook-Gruppe „48 % Preppers“. Preppers ist eine Bezeichnun­g für Menschen, die sich für einen Katastroph­enfall rüsten wollen. 48 Prozent der Briten hatten im Sommer 2016 gegen den Brexit gestimmt.

Mehr als 9000 Menschen haben sich der Gruppe bereits angeschlos­sen, vor allem jüngere Mütter und Väter. Viele von ihnen haben sogar den Anbau von Gemüse in ihren Gärten auf den Brexit ausgericht­et. „Wir hoffen das Beste, aber bereiten uns vorsichtsh­alber auf das Schlimmste vor“, sagte Wagland. Auch mehr Klopapier und Waschmitte­l sollten vorsichtsh­alber eingekauft werden. „Ich würde vereinfach­t mal sagen, die Leute ziehen ihren April-Einkauf vor, um Ende März Probleme zu vermeiden.“Und das ist nicht mehr lange hin: Bereits am 29. März will Großbritan­nien die Europäisch­e Union verlassen.

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FOTO: DPA James Blake verkauft Brexit-Notfall-Kisten. Mehr als 100 Mahlzeiten soll eine Box enthalten.

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