War WG-Räumung unverhältnismäßig?
Angehörige der geräumten Beatmungs-WG kritisieren das Vorgehen des Kreises. Streit gibt es um den Status der Einrichtung.
WILLICH Ist die Wohngemeinschaft für Beatmungs-Patienten am Bonnenring in Wekeln, die der Kreis Viersen am Dienstagabend geschlossen hat, eine ambulante oder eine stationäre Einrichtung? Diese Frage scheint in diesem Fall eine große Rolle zu spielen – denn der Kreis hat die WG als stationär bzw. „Einrichtung mit umfasendem Leistungsangebot“eingestuft. Die Bewohner und deren Angehörige sehen in der „WG Sonnenschein“allerdings eine ambulante Einrichtung.
Und sie sind sich einig: Das Vorgehen des Kreises, mit 110 Einsatzkräften und zig Fahrzeugen anzurücken, um die WG am späten Abend zu räumen, war „unverhältnismäßig. Das hätte man auch mit ein paar gewöhnlichen Krankenwagen hinbekommen“, sagt Rechtsanwalt Michael Helbig aus Unna, der die WG bereits seit fünf Jahren vertritt. Eine akute Gefährdung der Bewohner habe nicht bestanden. Zudem hätte der Kreis seiner Ansicht nach auch als milderes Mittel zunächst auf Kosten der WG einen Reinigungstrupp schicken können, um Hygienemängel zu beseitigen, statt die für die Bewohner äußerst gefährliche Verlegung anzuordnen. Die Frage, ob es sich um eine ambulante oder stationäre Einrichtung handelt, sei noch nicht geklärt, dazu sei ein Verfahren beim Oberverwaltungsgericht Münster anhängig, so Helbig. Er vermutet deshalb: „Eine WG, die es nicht mehr gibt, kann auch nicht mehr klagen.“
Bis der Status der WG abschließend geklärt ist, müssen die Auflagen einer stationären Einrichtung erfüllt werden – was allerdings unrealistisch sei, so Helbig. Hintergrund: Die Patienten der 2011 gegründeten WG sind Mieter der Räume und haben einen ambulanten Pflegedienst mit der medizinischen Versorgung beauftragt. Um die Ausstattung und die Reinigung der Zimmer beispielsweise kümmern sich die Angehörigen oder die Patienten, soweit sie dies können, selbst. „Wir bezahlen die Miete, den Rest übernehmen Kranken- und Pflegekasse“, sagt Nicole Miklis, deren Mutter bis Dienstagabend als Wachkomapatientin in der WG lebte. Der Pflegedienst von Ayfer Kilinc ist auch in einer WG in Düsseldorf tätig – und diese wurde von der Stadt als ambulant eingestuft und sei daher nicht überwachungspflichtig, so Michael Bergmann von der Stadt Düsseldorf auf Nachfrage. In gewöhnlichen Pflegeeinrichtungen sei die Zuzahlung weit höher, erläutert Helbig, weshalb eine ambulante Einrichtung für den Kostenträger finanziell „suboptimal“sei. Er vermutet, dass der Kreis durch die plötzliche Räumung habe Fakten schaffen wollen.
Der Darstellung des Kreises, dieser habe vorher über die Räumung informiert, widersprechen die Geschäftsführerin des Pflegedienstes, Ayfer Kilinc, sowie die Angehörigen Nicole Miklis, Lydia Weger und Cemile Osbunar massiv: „Das war ein schreckliches Desaster, niemand wusste Bescheid. Weder die Angehörigen noch die Pflegekräfte. Plötzlich sind 50 Personen in die WG gestürmt, als meine Mutter schlief. Niemand durfte rein oder raus. Ich habe mich wie im Krieg gefühlt“, sagt Osbunar. „Die Patienten wurden wie Viecher abtransportiert“, sagt Lydia Weger, deren Schwiegermutter dort wohnte. Sie sind sich einig, dass die Pflege immer in Ordnung gewesen sei. Natürlich habe es auch kleine Mängel gegeben, diese hätten aber die Räumung gegen den ausdrücklichen Willen der Patienten und Angehörigen nicht gerechtfertigt. „Meine Schwiegermutter hätte vor Aufregung fast einen Herzinfarkt bekommen.“„Meine Mutter ist das Wichtigste in meinem Leben. Ich hätte sie doch nicht da liegen lassen, wenn es wirklich so dreckig gewesen wäre“, sagt Cemile Isbunar. Bei ihrer Mutter sei noch am Mittag desselben Tages der Hausarzt gewesen – „und der hätte doch etwas gesagt“, so Nicole Miklis.
Anwalt Helbig sei erst um kurz vor 16 Uhr mit einer kurzen E-Mail vom Kreis Viersen darüber informiert worden, dass die Absicht einer Nutzungsuntersagung bestehe – „aber nicht, dass diese noch am selben Tag erfolgen würde“. Zudem habe es auf Betreiben der WG am 30. Januar ein Gespräch mit dem Kreis gegeben, um über die vorgeworfenen Mängel und deren Möglichkeiten zur Beseitigung zu sprechen. Man habe zugesagt, die Mängel zu beseitigen, und sei auch tätig geworden. Eine Frist sei zunächst nicht vereinbart worden. Der Kreis habe dann plötzlich aber doch am 6. Februar einen Bescheid über eine Grundreinigung erlassen, der am 8. Februar zugegangen sei – mit der Frist bis zum 8. Februar. Am 11. Februar habe es dann eine erneute Begehung der Einrichtung gegeben. Viele Maßnahmen seien da auch schon umgesetzt gewesen, allerdings habe sich dann herausgestellt, dass der beauftragte Reinigungsdienst nicht zertifiziert sei.
Eine schriftliche Verfügung des Kreises über die Räumung habe es bis jetzt nicht gegeben, so Helbig. Er kritisiert zudem, dass die Situation in den WGs in Viersen, Krefeld und Gladbeck, in denen die Patienten vom Kreis untergebracht wurden, mitnichten besser sei. Drei Bewohner oder deren Angehörige hätten sofort erklärt, wieder zurück nach Wekeln zu wollen. Die anderen hätten sich noch nicht geäußert, was allerdings vor allem an den Strapazen eines erneuten Umzug liege – und an den Transportkosten, die sie in diesem Fall selbst tragen müssten. In der kommenden Woche soll es ein Treffen der Angehörigen der WG-Bewohner geben, und dann werde man mit dem Kreis das Gespräch suchen, um eine Aufhebung des Bescheides zu erwirken, so Helbig.