Für Klopp spielt Bayern nur Nebenrolle
Nach 30 langen Jahren des Wartens zählt für den FC Liverpool in dieser Saison vor allem der englische Meistertitel.
MANCHESTER/LIVERPOOL Es wird langsam ernst für den FC Liverpool, da kann es nicht schaden, ein bisschen mehr Kontrolle zu haben als sonst. Jürgen Klopp war mit seiner Mannschaft im Trainingslager in der vergangenen Woche. Vier Tage Marbella, das Wetter war mäßig, ansonsten lief alles zur Zufriedenheit des Trainers. Er schätzt an solchen Ausflügen in fremde Länder, dass der Fokus ein anderer sei als im heimatlichen Übungs-Alltag. Außerdem habe er seine Spieler ständig im Blick: „Wir müssen uns keine Gedanken darüber machen, wie sie die Zeit zwischen den Einheiten verbringen. Hier kontrollieren wir alles. Das ist nett”, sagt Klopp.
So eine Saison dauert lange. Von daher wäre es übertrieben, zu behaupten, dass sich das Schicksal des FC Liverpool in dieser Woche entscheidet. Ganz falsch ist es aber auch nicht. Der Klub hat zwei Spiele vor der roten Trikot-Brust, die von großer Bedeutung für die Aussichten in den beiden Wettbewerben sind, in denen Klopps Mannschaft noch Titelchancen hat. An diesem Dienstag ist der FC Bayern im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League zu Gast an der Anfield Road. Am Samstag geht es in der Premier League zu Manchester United. Mit einem Sieg (oder einem Remis) beim Erzrivalen wäre Liverpool wieder Tabellenführer. Bei einer Niederlage würde Manchester City wegen der besseren Tordifferenz an der Spitze bleiben.
Der Klub befindet sich in einer paradoxen Situation. Einerseits spielt er die beste Saison seit Gründung der Premier League, hofft darauf, das fast 30 Jahre lange Warten auf die Meisterschaft zu beenden, und ist auch in der Champions League noch dabei. Es ist durchaus realistisch, dass Klopp in seiner vierten Saison in Liverpool endlich die erste Trophäe einfährt. Anderseits hängt das alles auch an einem dünnen Faden. Liverpool hätte in der Liga schon außer Reichweite sein können, verpasste es seit Beginn des Jahres aber mehrfach, den Vorsprung auf Manchester City deutlich auszubauen. In der Champions League ist der Respekt vor dem FC Bayern enorm.
Für Klopp geht es darum, die richtige Balance zu finden. Seine Mannschaft muss in beiden Wettbewerben am Maximum spielen, ohne die Chancen im jeweils anderen zu gefährden. Eine weitere Saison ohne Trophäe wäre eine Enttäuschung. Der Trainer kennt die Prioritäten des Umfelds. Er weiß, dass das Publikum ein Achtelfinal-Aus im Europapokal verschmerzen könnte, wenn dafür am Ende der Saison der nationale Titel stehen würde. „Wenn wir uns entscheiden müssten, würden alle Liverpool-Fans die Meisterschaft bevorzugen”, sagte er: „Aber jetzt spielen wir Champions League.”
Im internationalen Geschäft erinnert bei Liverpool bislang wenig an den Rausch der Vorsaison. In der Gruppenphase gingen alle drei Auswärtsspiele verloren. In der abschließenden Vorrunden-Partie gegen den SSC Neapel rettete Torwart Alisson mit einem Blitzreflex in der Nachspielzeit den 1:0-Erfolg und damit das Weiterkommen. Liverpools Champions-League-Saison ist bislang ziemlich verkrampft.
Die Partie gegen den FC Bayern vor dem aufgeputschten Publikum an der Anfield Road bietet die Chance, sich zu befreien und die Europapokal-Kampagne so richtig ins Rollen zu bringen. Wie das aussehen kann, haben im vergangenen Jahr auf dem Weg ins Finale (1:3 gegen Real Madrid) unter anderem Manchester City und der AS Rom zu spüren bekommen. Sie wirkten im roten Offensiv-Wirbel so verloren wie Schiffchen aus Papier auf hoher See.
Der Angriff ist auch vor der Partie gegen den FC Bayern nicht Liverpools Problem. Das war zuletzt beim 3:0 in der Liga gegen Bournemouth vor zehn Tagen zu beobachten. Sorgen macht die Defensive. Abwehrchef Virgil Van Dijk, unbestritten der wichtigste Spieler in Klopps Team, fehlt wegen einer Gelbsperre. Sein etatmäßiger Nebenmann Joe Gomez fällt wegen eines Beinbruchs seit Anfang Dezember aus. Dejan Lovren, Innenverteidiger Nummer drei, befindet sich nach einer Oberschenkelverletzung im Trainingsrückstand.
Im Hinspiel gegen die Münchner muss Klopp in der Abwehrmitte eine Not-Besetzung aufbieten. Neben dem Ex-Schalker Joel Matip dürfte der Brasilianer Fabinho zum Einsatz kommen, eigentlich ein defensiver Mittelfeldspieler. Seine Erfahrung in der Verteidigung beschränkt sich auf zwei Spiele im Januar, die Niederlage im FA-Cup gegen die Wolverhampton Wanderers und das 1:0 bei Brighton und Hove Albion. Klopp will nicht zu viel über einzelne Namen sprechen. Für ihn ist wichtig, „wie wir grundsätzlich verteidigen”. Liverpools Chancen auf den Verbleib in der Champions League dürften davon abhängen, wie belastbar die Abwehr ist.