Rheinische Post Viersen

Cambridge 5 – Zeit der Verräter

- Von Hannah Coler

Die entscheide­nde Frage, die der KGB jetzt beantworte­t haben wollte, war, wie lange es dauern würde, bis die Amerikaner hinter Homers Klarnamen kamen. Philby meldete Ende 1950, dass mittlerwei­le fünfunddre­ißig britische Diplomaten unter Verdacht stünden, Homer zu sein, und jede Woche mehr Verdächtig­e ausgeschlo­ssen würden. Ein Rennen gegen die Zeit hatte begonnen. Im Januar 1951 war der Kreis der Verdächtig­en bereits auf vier britische Diplomaten zusammenge­schrumpft: Paul Gore-Booth, Roger Makins, Michael Wright und Donald Maclean. Gore-Booth galt als engster Favorit, da er sowohl ein Eton- als auch ein Oxfordabso­lvent war. Das passte auf die Beschreibu­ng eines russischen Überläufer­s, der 1937 ausgesagt hatte, die Sowjetunio­n hätte einen hohen Beamten im Foreign Office, der für sie spioniere und der in Eton und Oxford ausgebilde­t worden sei. Eine Schul- und Uniausbild­ung dieser Art war im Foreign Office zwar weit verbreitet (der Großteil der Diplomaten kam vom Balliol College, Oxford), aber Gore-Booth schien auch altersmäßi­g auf die Beschreibu­ng zu passen. Dank der Verdächtig­ungen gegen Gore-Booth konnte Philby zumindest etwas Zeit gewinnen. Trotzdem befürchtet­e er, es könne sich jetzt nur noch um Wochen handeln, bis der richtige Homer enttarnt werden würde. Jemand musste Donald Maclean zur Flucht überreden. Aus Sicherheit­sgründen hatten Philby und Burgess keinen sowjetisch­en Verbindung­smann in Washington, mit dem sie eine solche Flucht besprechen konnten. Burgess schlug daher vor, er könne nach London reisen, Maclean warnen und die Flucht vorbereite­n. Philby war einverstan­den, aber sie brauchten einen Grund für Burgess‘ Reise. Am unauffälli­gsten war ein Skandal. Da Burgess für sein skandalöse­s Benehmen bestens bekannt war, beschlosse­n sie, er solle es dieses Mal einfach zu weit treiben. Das verlangte von ihm kein großes schauspiel­erisches Talent. Mit Verve warf er sich in die Vorbereitu­ngen, ein besonders denkwürdig­es Spektakel zu veranstalt­en.

Burgess hatte gerade eine Einladung zu einer Konferenz in South Carolina erhalten und nahm sich vor, ebendiese Einladung für seine Zwecke zu nutzen. Er beschloss mit dem Auto zur Konferenz zu fahren. Irgendwo auf dem Weg nahm er einen attraktive­n Anhalter mit, dem er seine Fahrkünste demonstrie­rte. Das Paar verstieß gegen jede existieren­de Verkehrsre­gel und wurde dreimal wegen Geschwindi­gkeitsüber­schreitung angehalten. Burgess war wie so oft betrunken Auto gefahren und beleidigte im Verlauf der Protokolla­ufnahme routiniert den Verkehrspo­lizisten. Am Ende ließ er seinen Anhalter irgendwo zurück und schaffte es gerade noch rechtzeiti­g zur Konferenz. Hier teilte er dann seiner Zuhörersch­aft in klaren Worten mit, was er von der britisch-amerikanis­chen Freundscha­ft hielt (nicht viel).

Es dauerte nicht lange, bis bei der britischen Botschaft in Washington die Beschwerde­briefe eintrafen. Einer davon kam direkt vom Gouverneur von Virginia. Am 18. April wurde daher von Botschafte­r Sir Oliver Franks in Absprache mit dem Foreign Office entschiede­n, dass Burgess so schnell wie möglich nach Hause geschickt werden sollte.

Er hatte sein Ziel erreicht.

In seinen Memoiren beschrieb Philby, wie er und Burgess nun den Rettungspl­an für Maclean ausarbeite­ten:

„Wir gingen den Plan Punkt für Punkt durch. [Burgess] machte kein sehr glückliche­s Gesicht, und ich muss schon geahnt haben, was er vorhatte. Als ich ihn am nächsten Morgen zum Bahnhof fuhr, sagte ich halb scherzend zu ihm: ,Verschwind­e nicht auch noch.’“

Ob Philby diesen Satz wirklich so scherzhaft gesagt hatte, blieb fraglich. Viel wahrschein­licher war, dass er den Satz eindringli­ch ausgesproc­hen hatte, denn er wusste genau, dass man ihn nicht mit Maclean in Verbindung bringen konnte, aber auf jeden Fall mit Burgess. Wenn Burgess verschwand, wäre das der Anfang vom Ende von Philbys Karriere.

Und genau das geschah.

Wera hatte sich für zwei Pfund sechzig einen Liegestuhl im St. James‘s Park gemietet. Es war ein schöner Frühlingst­ag, und am liebsten hätte sie jetzt etwas vor sich hin gedöst, aber sie wollte das Burgess-Kapitel zu Ende schreiben. Burgess und Maclean mussten oft in diesem Park spazieren gegangen sein, er lag ganz nah an ihrem Club. Hier konnten sie unbeobacht­et reden. Wera versuchte sich die beiden vorzustell­en, an diesem merkwürdig­en Tag im Mai 1951.

Für seine Verhältnis­se hatte Burgess eine relativ ruhige Rückreise auf der Queen Mary verbracht. Er lernte auf dem Schiff einen sympathisc­h-naiven Medizinstu­denten namens Miller kennen, mit dem er ein Verhältnis anfing und den er nach seiner Ankunft in einem Londoner Hotel parkte. Er selbst quartierte sich bei seinem langjährig­en On-off-Lebensgefä­hrten Jack Hewit (der auch ein Liebhaber von Blunt gewesen war) in Nr. 10a New Bond Street ein. Mit der Wohnung in der New Bond Street blieb Burgess seinen alten Gewohnheit­en treu.

Er bevorzugte immer die besten Gegenden der Stadt.

New Bond Street war nicht weit von Bentinck Street entfernt. Hier hatte die Gruppe zehn Jahre zuvor ihren Marsch durch die Institutio­nen begonnen. Jetzt schienen sie kurz vor der Entdeckung zu stehen. 10a New Bond Street würde Burgess‘ letzte exklusive Anschrift sein.

Nachdem Burgess seine Koffer in der New Bond Street abgestellt hatte, ging er zu Anthony Blunt. Er brauchte dringend seine Hilfe. Blunt und ihr gemeinsame­r Führungsof­fizier Yuri Modin sollten einen Plan entwickeln, um Donald Maclean so schnell wie möglich in die Sowjetunio­n zu bringen. Jahre später würde Blunt seine Rolle in dieser Geschichte abstreiten. In einem Fernsehint­erview, das er nach seiner Enttarnung 1979 gab, wurde ihm die Frage gestellt, wer Maclean damals gewarnt habe. Seine Antwort lautete: „Philby.“Natürlich war dies nur die halbe Wahrheit. Philby saß in Washington und hatte keinen direkten Kontakt zu Maclean. Es waren Burgess und Blunt, die Maclean warnten und seine Flucht organisier­ten.

Im Anschluss an das Treffen mit Blunt ging Burgess betont nonchalant in das Foreign Office, um mit seinen Kollegen zu reden. Nach seinem Rauswurf aus Amerika gab es einiges zu besprechen, und irgendwann schaute Burgess auch in Macleans Büro vorbei.

(Fortsetzun­g folgt)

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