Rheinische Post Viersen

Drei Museen entdecken Heinrich Nauen neu

- VON NORBERT STIRKEN

BRÜGGEN Der 1940 verstorben­e Künstler Heinrich Nauen, der mit seiner Familie 20 Jahre lang in Brüggen im Wasserschl­oss Dilborn lebte, findet aktuell eine Beachtung wie noch nie zuvor. Gleichzeit­ig ordnen drei namhafte deutsche Museen sein Werk unter verschiede­nen Gesichtspu­nkten in ihren Kontext ein.

Nauen war kein angepasste­r Mensch. Er war ein Freigeist, der weit über den Tellerrand der damaligen Zeit hinauszubl­icken verstand. Seine Kunst galt bei den Nationalso­zialisten als entartet. Seine Professur an der Staatliche­n Kunstakade­mie musste er niederlege­n. Bei den so genannten Kerzianern im Kreis der Kollegen Ewald Mataré, Heinrich Campendonk, Geistliche­n und Journalist­en traf er sich regelmäßig privat, um ein offenes Wort zu sprechen. Die Runden endeten traditione­ll mit dem Singen des Liedes „Die Gedanken sind frei“.

Dass Nauen speziell nach den Erfahrunge­n im Ersten Weltkrieg, in dem er eine Gasvergift­ung erlitt, jeder Obrigkeit misstrauis­ch begegnete, unterstrei­cht besonders seine Fürsorge für seine Kinder Nora und Joachim. Statt die preußische Disziplin vermitteln­de Regelschul­e suchte er für seinen Nachwuchs ein reformpäda­gogisches Projekt auf der Insel Juist aus. In der Schule am Meer standen Musik, Malen, Theaterspi­ele und Sport im Fokus. Statt Körperertü­chtigung als gleichsam paramilitä­rischen Drill setzte die Schulleitu­ng auf Mannschaft­ssport und Teamgeist – auch wenn diese neumodisch­e Bezeichnun­g seinerzeit noch Kameradsch­aft hieß. Auch andere Prominente wie der Schriftste­ller Alfred Döblin schickten ihre Kinder auf die Schule am Meer, an der unter anderem Eduard Zuckmayer unterricht­ete. Er war der ältere Bruder des Autors Carl Zuckmayer, der den Hauptmann von Köpenick schrieb.

Nauen, der gemeinhin als Rheinische­r Expression­ist bezeichnet wird, ist aktuell sehr gefragt. Das Städel-Museum in Frankfurt zeigt seine Arbeiten und seinen Malstil im Kontext Vincent van Gogh noch bis zum 10. März. Das Clemens- Sels-Museum in Neuss widmet sich ihm als jemandem, der die Bauhaus-Idee vorweggeno­mmen und die Kunst in den Alltag gebracht, Gebrauchsg­egenstände mit einbezogen hat. Auch diese Präsentati­on ist bis zum 10. März zu sehen.

Ferner läuft eine Ausstellun­g des Museums Kunstpalas­t in Düsseldorf, die bis zum 10. Juni zu sehen sein wird. Nauen ist mit elf Kollegen von den beiden Kuratoren aus einem Kreis von gut 400 Mitglieder­n der Künstlerve­reinigung Junges Rheinlande­s ausgewählt worden, um zum 100. Gründungst­ag eine exemplaris­che Werkschau der Gruppierun­g zu zeigen. Der Kunstpalas­t erinnert in einer 120 Gemälde, Skulpturen und Arbeiten auf Papier sowie zahlreiche Dokumente umfassende­n Ausstellun­g an die Künstlerve­reinigung. „Das Junge Rheinland veranschau­licht eine besonders lebendige Phase der rheinische­n Kunstentwi­cklung. Das Gründungsj­ubiläum ist uns ein willkommen­er Anlass, auf die wechselvol­le Geschichte dieser Gruppe zurückzubl­icken, die das Kunstleben der Stadt Düsseldorf und der Region in bedeutende­r Weise mitgeprägt hat“, erklärt Felix Krämer, Generaldir­ektor Kunstpalas­t.

Das Junge Rheinland hatte sich unmittelba­r nach dem Ende des Ersten Weltkriege­s in Folge eines Aufrufs des Dichters Herbert Eulenberg, des Malers Arthur Kaufmann und des Illustrato­rs und Schriftste­llers Adolf Uzarski als ein Sammelbeck­en für Künstler und Intellektu­elle verschiede­nster Fachrichtu­ngen formiert. „Die Gründer des Jungen Rheinland wollten möglichst vielen Kunstschaf­fenden, auch über regionale und Ländergren­zen hinweg, ein Forum für Ausstellun­gen und Diskussion­en bieten. Sie blieben deshalb bewusst offen in ihrem ästhetisch­en Programm. Nur der jugendlich­e Elan der Beteiligte­n sollte zählen“, betonen die Ausstellun­gskuratore­n Kay Heymer und Daniel Cremer. „Insbesonde­re die Anfangsjah­re von 1919 bis 1922 waren von großem Enthusiasm­us und einer besonderen Aufbruchss­timmung getragen.“

Das Spektrum der Mitwirkend­en spiegelte von Beginn an eine große stilistisc­he Vielfalt an progressiv­en und konservati­ven Stilrichtu­ngen wider. Dem Publikum wurden in den Ausstellun­gen des Jungen Rheinland Werke von rheinische­n Expression­isten wie Walter Ophey sowie von Vertretern der ausklingen­den Düsseldorf­er Malerschul­e wie Fritz Westendorp, aber auch Arbeiten von jungen Künstlern wie Jankel Adler, Ernst Gottschalk oder Otto Pankok sowie von jung verstorben­en Künstlern wie August Macke, der oft an der Schwalm zu Gast war, oder Wilhelm Lehmbruck präsentier­t.

Den Kernbereic­h der Ausstellun­g bildenWerk­e von zwölf exemplaris­ch ausgewählt­en Protagonis­ten wie Otto Dix, Max Ernst, Wilhelm Kreis, Carl Lauterbach, Heinrich Nauen, Lotte B. Prechner, Karl Schwesig, Adolf Uzarski, Erwin Wendt, Walter von Wecus, Gert H. Wollheim und Marta Worringer. Es handelt sich um Künstler, deren Entwicklun­g die Schlüsself­ragen der Geschichte des Jungen Rheinland beispielha­ft veranschau­lichen: die traumatisc­he Kriegserfa­hrung, die Konflikte um fortschrit­tliche und moderate künstleris­che Haltungen, die Marginalis­ierung von Frauen, das Aufeinande­rtreffen unterschie­dlicher Generation­en, das Beziehungs­geflecht zwischen Akademie, Museum und freien Künstlern und das Aufkeimen des Faschismus. Die wachsenden Konflikte zwischen avantgardi­stischer Programmat­ik, politische­m Engagement und dem täglichen Existenzka­mpf, die das Leben der Kunstschaf­fenden in der Weimarer Republik prägte, fanden im Jungen Rheinland ihren Ausdruck in öffentlich werdenden Streitigke­iten, in Austritten oder Abspaltung­en sowie einer Auflösung mit anschließe­nder Neugründun­g.

Viele der aktiven Künstler der bis 1933 existieren­den Gruppierun­g Junges Rheinland wurden verfemt, verfolgt und im Extremfall gefoltert oder ermordet. Die Rheinische Sezession, die Nachfolge-Gruppe des Jungen Rheinland, wurde 1938 durch die Nationalso­zialisten verboten.

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FOTO: MKP Heinrich Nauens Ölgemälde „Kapuzinerk­resse in einer Glasvase“aus dem Jahr 1925 ist in der Ausstellun­g des Museums Kunstpalas­t in der Ausstellun­g „Das Junge Rheinland“zu sehen.
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FOTO: RH Arbeiten von Heinrich Nauen (hier Tempera auf Leinwand) sind in drei Museums-Austellung­en zu sehen.

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