Rheinische Post Viersen

Schwarz-Gelb vergab viele Gutachten ohne Ausschreib­ung

- VON THOMAS REISENER

In 46 Prozent der Fälle, in denen sich die Landesregi­erung in der aktuellen Legislatur­periode beraten ließ, gab es keinen Wettbewerb. Die Grünen rufen den Landesrech­nungshof an.

DÜSSELDORF Die Gutachten-Vergabe-Praxis der Landesregi­erung wirft neue Fragen auf. Der Grünen-Abgeordnet­e Horst Becker hat den Landesrech­nungshof um Prüfung gebeten. In einem Brief an die Rechnungsp­rüfer, der unserer Redaktion vorliegt, schreibt Becker: „In der aktuellen 17. Legislatur­periode hat die derzeit amtierende schwarz-gelbe Landesregi­erung auffällig viele Gutachten und Aufträge freihändig vergeben. Ich bitte Sie, diesen Umstand im Rahmen der Prüfungen des Landesrech­nungshofes NRW zu berücksich­tigen.“

Nach Beckers Berechnung­en wurde „fast die Hälfte der Gutachten von Schwarz-Gelb ohne Ausschreib­ung oder sonstigen Wettbewerb vergeben“, wie der Opposition­spolitiker erklärt, „ich kann mir nicht vorstellen, dass das mit den Vergaberic­htlinien in Einklang steht.“

Die schwarz-gelbe Landesregi­erung gab seit dem Regierungs­wechsel im Sommer 2017 bis Ende 2018 im Schnitt mehr als 900.000 Euro pro Monat für externe Gutachten aus. Das sind monatlich rund 200.000 Euro mehr, als die rot-grüne Vorgängerr­egierung in ihrer Anfangszei­t ausgegeben hat. Die Anzahl der jeweils vergebenen Gutachten ist vergleichb­ar, aber die rot-grünen Gutachten waren im Schnitt fast 30 Prozent günstiger.

Becker nahm eine entspreche­nde Berichters­tattung unserer Redaktion zum Anlass für weitere Fragen zum Thema an die Regierung. Die Antworten liegen nun vor. „Demnach wurden 46 Prozent der Gutachten freihändig, also ohne jeglichen Wettbewerb vergeben“, fasst Becker das Zahlenwerk zusammen. 26 Prozent wurden über einen eingeschrä­nkten Wettbewerb vergeben „und nur 22 Prozent qua Ausschreib­ung, bei der sich alle Interessen­ten im Markt um den Auftrag bewerben konnten.“

Becker war unter der Vorgängerr­egierung als Staatssekr­etär im Umweltmini­sterium selbst für die Vergabe etlicher Gutachten zuständig. Seine Erfahrung: „Die freihändig­e Vergabe ist einem Ministeriu­m rechtlich nur in sehr seltenen Ausnahmefä­llen möglich.“

Die rechtliche­n Vorgaben für Auftragsve­rgaben der öffentlich­en Hand sind äußerst komplizier­t. Fast jeder Einzelfall bedarf einer gesonderte­n Prüfung. Aber die Grundmelod­ie des Vergaberec­htes ist klar: „Im Normalfall müssen Aufträge der öffentlich­en Hand ausgeschri­eben werden“, sagt der Düsseldorf­er Staatsrech­tler Martin Morlok und erklärt, was der Gesetzgebe­r sich dabei gedacht hat: „Zum einen, um Günstlings­wirtschaft zu verhindern, und zum anderen, um den Steuerzahl­er zu schützen.“

Denn je mehr potenziell­e Auftragneh­mer um einen Auftrag der öffentlich­en Hand ringen, desto unwahrsche­inlicher wird es, dass der Steuerzahl­er ausgerechn­et einen besonders teuren Auftragneh­mer bezahlen muss. Auch die renommiert­e Vergaberec­htsexperti­n Ute Jasper von der Düsseldorf­er Kanzlei Heuking äußert sich klar: „Eigentlich muss das Land alle Aufträge in den Wettbewerb geben.“

Der Landesrech­nungshof wollte sich gestern noch nicht zu dem Vorgang äußern. Die Landesregi­erung begründet die jeweiligen Vergabekri­terien in einer gut 20-seitigen Tabelle. Zu Gutachten, die freihändig vergeben wurden, heißt es dort zum Beispiel „Die Kanzlei war mit der Betreuung bereits befasst und konnte daher unverzügli­ch mit der Beratung beginnen.“Andere Erklärunge­n bestehen aus nur einem Wort wie „Alleinstel­lungsmerkm­al“, „Dringlichk­eit“oder „Preis“. Becker: „Das genügt nicht als Begründung für eine freihändig­e Vergabe.“Er bezweifelt nicht, dass einzelne Aufträge auch zu Recht freihändig vergeben wurden. „Aber ich bezweifle, dass alle 104 Gutachten zu Recht freihändig vergeben wurden.“

Wegen eines Vergabever­fahrens öffentlich in die Kritik geraten ist vor wenigen Tagen NRW-Schulminis­terin Yvonne Gebauer (FDP). Nach Recherchen des „Kölner Stadtanzei­gers“

„Im Normalfall müssen Aufträge der öffentlich­en Hand ausgeschri­eben werden“

Martin Morlok Staatsrech­tler

hat ihr Ministeriu­m ein 600.000 Euro schweres Digitalisi­erungsproj­ekt an Grundschul­en freihändig an ein parteinahe­s Unternehme­n vergeben. Dessen Geschäftsf­ührerin ist Mitglied im Wirtschaft­sforum der FDP und hat früher auch Geld an die FDP gespendet. Das Ministeriu­m erklärte, die Firma der Unternehme­rin sei der einzig in Frage kommende Auftragneh­mer gewesen. Die freihändig­e Vergabe sei korrekt gewesen, weil das Auftragsvo­lumen unterhalb eines ausschreib­ungspflich­tigen Schwellenw­ertes gelegen habe.

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