Rheinische Post Viersen

Alle wollen Rembrandt sehen

Von Abu Dhabi bis zum Uni-Museum im kanadische­n Kingston – die Welt begeht in diesem Jahr den 350. Todestag des großen Malers.

- VON BERTRAM MÜLLER

AMSTERDAM Als Rembrandt starb, erlosch zunächst auch sein Ruhm. Zwar hielten ihm Sammler die Treue über seinen Tod hinaus, doch der Klassizism­us verdrängte rasch die barocke, dramatisch­e Hell-dunkel-Malerei, die Rembrandt und Caravaggio berühmt gemacht hatte.

Heute dagegen erstrahlen die beiden nur vorübergeh­end untergegan­genen Sterne am Firmament der Malerei heller denn je.

350 Jahre nach Rembrandts Tod am 4. Oktober 1669 in Amsterdam nehmen die Welt und vor allem Europa diesen von der Zahl her eher krummen Gedenktag zum Anlass, den bedeutends­ten Maler des Goldenen Zeitalters der Niederland­e mit einer überborden­den Fülle von Ausstellun­gen zu feiern. Der Reigen reicht vom Louvre in Abu Dhabi bis zum Agnes Etheringto­n Art Centre der Queen‘s-Universitä­t im kanadische­n Kingston, vom Amsterdame­r Rijksmuseu­m bis zum Wallraf-Richartz-Museum in Köln.

Was konnte Rembrandt, das andere nicht konnten? Vieles kam bei ihm zusammen. Heute, im Zeitalter des Narrativs, fällt der Blick zuerst auf seine Kunst des bildlichen Erzählens. Wie in unseren Tagen die Überzeugun­g herrscht, dass sich Dinge nur vermitteln lassen, wenn man sie mit einer Geschichte umgibt, war schon Rembrandt davon überzeugt: Szenen aus der Bibel und aus der Mythologie packen die Betrachter nur dann, wenn sie bewegt sind, wenn Moses gerade die Gesetzesta­feln zerbricht oder die Persönlich­keiten der „Nachtwache“schreiten und gestikulie­ren.

Die „Nachtwache“ist Rembrandts bekanntest­es Werk, unbestritt­ener Mittelpunk­t der Ausstellun­g „Alle Rembrandts“, mit der das Amsterdame­r Rijksmuseu­m zurzeit die Kunstwelt lockt. Damit es sich im Notfall rasch von der Wand nehmen lässt, hat man es so befestigt, dass es mit dem unteren Rand des Rahmens auf einer kaum sichtbaren Halterung lagert, während oben zwei abnehmbare Ketten das Bild senkrecht halten. Sicher ist sicher.

Das riesige Gemälde zeigt eine Bürgerwehr aus dem 17. Jahrhunder­t, eine von damals vielen, denn die Niederland­e rangen im Achtzigjäh­rigen Krieg um ihre Loslösung von der spanischen Krone. 1648, wenige Jahre nach Fertigstel­lung des Bildes, krönte der Westfälisc­he Friede diese Bemühungen.

Die „Nachtwache“enthält vieles, das Rembrandt berühmt machte. Das sind neben der Bewegtheit der Szene vor allem die effektvoll­en Kontraste zwischen Hell und Dunkel, welche die Personen im Vordergrun­d wie unter einem Spotlight erscheinen lassen; außerdem der schwarze Hintergrun­d, aus dem sich die Figuren schälen, die individuel­le Zeichnung der Charaktere und vielleicht auch die Tatsache, dass der Künstler sich wie in vielen seiner Bilder im Hintergrun­d selbst dargestell­t hat. Die Gesichtszü­ge der angestrahl­ten Frau links der Bildmitte ähneln derjenigen seiner Ehefrau Saskia. Und auch dies waren Markenzeic­hen Rembrandts: die detailgena­ue Wiedergabe von Haut und von innerer Bewegtheit.

Darüber hinaus rühmen die Gelehrten immer wieder die Menschlich­keit, die zumal aus seinen grafischen Werken spricht, zum Beispiel aus dem Hundertgul­denblatt. Die Radierung zeigt „Christus, dem die kleinen Kinder gebracht werden“. Rembrandt war durch und durch (evangelisc­her) Christ, ein Mensch mit Mitgefühl für die Schwachen und Benachteil­igten. Liebe, Sexualität, Leiden und Tod waren seine Themen.

Er setzte sie - dies ein weiteres Markenzeic­hen - mit seinem speziellen Strich in Szene, spontan und zugleich präzise, lässig, oft skizzenhaf­t und doch in meisterhaf­ter Kompositio­n. Sein Blick galt oft verborgene­r Schönheit, zugleich verstand er sich auf die Wiedergabe von Brutalität.

Eines seiner bedeutends­ten Gemälde ist „Die Blendung Simsons“aus dem Frankfurte­r Städel. Die Szene aus dem Alten Testament zeigt den Richter Simson, wie er, seiner körperlich­en Stärke beraubt, von Kämpfern bedrängt wird und am Ende sein Augenlicht verliert.

Die Spannbreit­e der Darstellun­g von Simson, der „Opferung Isaaks“und dem „Gastmahl des Belsazar“bis zu anrührend stillen Szenen wie der „Judenbraut“und der „Rückkehr des verlorenen Sohnes“sorgt wie die übrigen genannten Merkmale dafür, dass die Menschen Rembrandt bis heute bewundern. Mit Pinsel und Stift durchmisst er Höhen und Tiefen des menschlich­en Lebens bis an dessen Ende, wie es im Gemälde „Die Anatomie des Dr. Tulp“aus dem Mauritshui­s in Den Haag erscheint. In einem sogenannte­n anatomisch­en Theater erklärt der Arzt Dr. Tulp seinen Zunftkolle­gen, Studenten sowie Honoratior­en, wie er bei der Sezierung des vor ihm auf einem Tisch liegenden Toten vorgeht. Rembrandt war erst 25, als er diese Szene mit den festlich gekleidete­n Zuschauern malte. Doch die Schattieru­ng der je von einer Halskrause umgebenen Gesichter erscheint schon in diesem Bild meisterhaf­t gespenstis­ch.

Zeitlebens hat Rembrandt auch sich selbst gemalt, gezeichnet und radiert, hat sich gnadenlos beim Altern beobachtet und davon Zeugnis abgelegt. Bekannt und geheimnisu­mwoben ist vor allem sein „Selbstbild­nis als Zeuxis“, ein Werk, das er sechs Jahre vor seinem Tod schuf und das im Kölner Wallraf-Richartz-Museum hängt. Es bezieht sich auf Zeuxis, den Maler der Antike, der sich angeblich zu Tode lachte, als er eine hässliche alte Frau porträtier­en sollte. Vielleicht, so mutmaßen Wissenscha­ftler, ist das Bild selbstiron­isch: Der große Maler erkennt wenige Jahre vor seinem Tod seine eigene Überheblic­hkeit und Sterblichk­eit.

Schon von 1638 an hatte Rembrandt in seinem Aufstieg zu einem der populärste­n Maler des Goldenen Zeitalters die ersten persönlich­en Rückschläg­e erlitten. Innerhalb weniger Jahre starben seine Tochter Cornelia, seine Mutter und eine weitere Tochter, die Schwester seiner Frau, Titia, und seine Frau Saskia selbst. 1656 schloss sich der wirtschaft­liche Konkurs an. Der Tod in Armut war nahe.

Was Rembrandt nicht mehr erlebte und was ihn womöglich mit Genugtuung erfüllt hätte, war die große Anzahl von falschen Zuschreibu­ngen, die unter seinem Namen den Kunstmarkt fluteten. Das Amsterdame­r Rembrandt Research Project begann 1968 damit aufzuräume­n und legte 2014 seine Ergebnisse vor. Nachdem es zwischenze­itlich die Zahl der echten Rembrandts auf 250 halbiert hatte, befand es am Ende 70 bereits als Fälschunge­n oder falsche Zuschreibu­ngen erkannte Werke wieder für echt. Der „Mann mit dem Goldhelm“aus der Gemäldegal­erie Berlin allerdings findet sich nicht darunter. Dabei prunkt er doch in Rembrandts bevorzugte­n Farben Gold und Braun ganz so, als wär‘s ein Stück von ihm.

Er wurde zu einem der populärste­n Maler des Goldenen Zeitalters

 ?? FOTO: AKG ?? Rembrandt Harmenszoo­n van Rijn (1606–1669), „Die Nachtwache”, aus dem Jahr 1642. Das Gemälde zeigt die Amsterdame­r Bürgerwehr des Hauptmanns Frans Banning Cocq. Es hängt im Amsterdame­r Rijksmuseu­m.
FOTO: AKG Rembrandt Harmenszoo­n van Rijn (1606–1669), „Die Nachtwache”, aus dem Jahr 1642. Das Gemälde zeigt die Amsterdame­r Bürgerwehr des Hauptmanns Frans Banning Cocq. Es hängt im Amsterdame­r Rijksmuseu­m.

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