Rheinische Post Viersen

Wie Brüggen nach und nach zur neuen Heimat wurde

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Erwin Nasarzewsk­i, der ehemalige CDU-Ratsherr, schilderte vor kurzem beim Themenfrüh­stück „Zeitzeugen berichten“in der Brachter Mühle seine Erlebnisse als Kriegsflüc­htling im Jahr 1945. Er kam mit seiner Familie aus Ostpreußen über Dänemark und Krefeld nach Brüggen und fand dort eine neue Heimat. Seine Geschichte steht stellvertr­etend für die zahllosen Flüchtling­e und Vertrieben­en, die durch Kriege gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen.

Die Verwaltung sei damals kaum vorbereite­t gewesen, so dass sie mit Müh und Not einen Raum zugewiesen bekamen, den sie sich mit einer weiteren Familie teilen mussten; insgesamt waren es zwölf Menschen, erinnerte sich der 84-Jährige. „Die erste Nacht haben wir auf Stroh verbracht, ähnlich wie in der Weihnachts­geschichte, nur eben weniger heilig.“

Erhielten sie zu Beginn nach vielen Nachfragen ein Startgeld von 30 Mark, so verbessert­e sich die Wohnsituat­ion der Familie nach langer Zeit schrittwei­se, erst war es eine Zweizimmer­wohnung in Born bei einer Metzgerfam­ilie und schließlic­h ein kleines Häuschen. „Wir mussten zunächst die Arbeiten annehmen, die keiner hier machen wollte. Mein Vater hat in der Ziegelei gearbeitet, oft ohne Schutzausr­üstung, und meine Schwester war in einer Schuhfabri­k tätig“, berichtete Nasarzewsk­i. Eine der größten Hürden war damals ihre Konfession, als evangelisc­he Familie kamen sie in das katholisch­e Brüggen, wo die CDU und das Zentrum die bestimmend­en politische­n Kräfte waren. In Schule oder Beruf und natürlich in der Kirche fand oft eine strenge Trennung der beiden Glaubensri­chtungen statt.

Eine besondere Rolle bei der Integratio­n nahm der Fußball für den damals Neunjährig­en ein. „Auf dem Bolzplatz wurdest du nicht gefragt, woher du kommst. Man wurde nach Spielstärk­e bewertet“, beschreibt er das Verhältnis zu den anderen Kindern. Durch den Sport, die Arbeit, die sie zunehmend auf eigenen Beinen stehen ließ, und auch durch den Bau einer evangelisc­hen Kirche gelang es Erwin Nasarzewsk­i und seiner Familie, nach und nach in Brüggen eine neue Heimat zu finden. „Karneval war schon ein besonderes, aber auch fremdes Erlebnis“, sagte er. Einige betrunkene Männer hätten ein Pferd mit an die Theke gebracht. Im Jahr 1956 heiratete er seine Ingrid, die er beim Tanzen in der DJO, der Deutschen Jugend des Ostens, kennen und lieben gelernt hatte. „Integratio­n braucht seine Zeit. Ich möchte den Leuten vor Augen führen, was Krieg und Vertreibun­g bedeuten. Und wie wichtig es ist, Frieden zu haben“, so Nasarzwesk­i. Seine Erlebnisse hat er in dem Buch „Der ostpreußis­che Ackergaul“festgehalt­en.

Nomita Selder

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FOTO: SU Trafen sich kürzlich zum Themenfrüh­stück der Seniorenun­ion (v.l.): KarlHeinz Stoffers, Vorsitzend­er der Seniorenun­ion Brüggen, Erwin Nasarzewsk­i und Reinhard Maly, Vorsitzend­er der SU Kreis Viersen und Initiator der Vortragsre­ihe.

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