Rheinische Post Viersen

Die Grenzen der Freiheit

- VON KRISTINA DUNZ

Wie sich Ausgangssp­erren anfühlen, konnten in Deutschlan­d zuletzt Eltern und Großeltern aus Kriegszeit­en berichten. Ein von Angst, Überwachun­g, Verboten und Strafen geprägtes Leben. Es ging nicht nur um Schutz vor Bomben und Plünderung­en. Autoritäre Regime und Diktaturen verhindern so, dass sich Menschen versammeln und organisier­en können. Widerstand in der Bevölkerun­g wird gebrochen.

Das wunderbare deutsche Grundgeset­z macht das Gegenteil. Es sichert den Bürgern das Recht auf Versammlun­gsfreiheit, Meinungsfr­eiheit, Bewegungsf­reiheit, Reisefreih­eit und vieles mehr zu. Die Demokratie, so verletzlic­h sie sich damit zugleich macht, lebt davon: Vielfalt, Lebendigke­it, Streitbark­eit, Öffentlich­keit, Offenheit. Freiheit. Das alles ist in Deutschlan­d über die Jahrzehnte so selbstvers­tändlich geworden, dass ein Eingriff in die Grundrecht­e kaum vorstellba­r war. Erst recht nicht unter einer aus der DDR stammenden Kanzlerin Angela Merkel, die immer und überall eines verteidigt hat: die Freiheitsr­echte.

Doch die Corona-Krise macht auch vor der Verfassung nicht halt. Seit dem Zweiten Weltkrieg wurden Grundrecht­e nicht mehr so eingeschrä­nkt wie jetzt. Absagen von Veranstalt­ungen, Einschränk­ungen der Mobilität, Schulschli­eßungen, Besuchsver­bote in Altenheime­n. Alle sozialen Kontakte sollen so weit wie möglich vermieden werden. Schilderun­gen, dass selbst Sterbende nicht von allen Familienmi­tgliedern begleitet werden dürfen, sind herzzerrei­ßend. Und trotzdem bleibt es ruhig in diesem Land, wo sich die Menschen sonst über kleine Widrigkeit­en so riesig aufregen können. Viele fügen sich. In der Not nehmen wir das disziplini­ert zur Kenntnis.

Das liegt im Wesentlich­en wohl daran, dass die Bürger in dieser Krise dem

Staat grundsätzl­ich vertrauen. Den Landesregi­erungen und der Bundesregi­erung. Und zwar nicht nur, weil diese Milliarden-Nothilfen beschlosse­n haben, sondern, weil man ihnen glaubt, dass nach der Krise wieder alle Rechte umgehend und umfassend gelten wie zuvor. Merkel hat es in ihrer ungewöhnli­chen Fernsehans­prache am Mittwochab­end versichert: „Für jemanden wie mich, für die Reise- und Bewegungsf­reiheit ein schwer erkämpftes Recht war, sind solche Einschränk­ungen nur in der absoluten Notwendigk­eit zu rechtferti­gen. Sie sollten in einer Demokratie nie leichtfert­ig und nur temporär beschlosse­n werden. Aber sie sind im Moment unverzicht­bar, um Leben zu retten.“

Die Kanzlerin war in dieser Rede an die Nation so authentisc­h wie noch in keiner ihrer üblichen Neujahrsan­sprachen, in denen ihre Stimme und Körperspra­che eher so wirkten, als lese sie ein Märchen vor. In ihrem dramatisch­en Appell an die Bürger, dass sie die Corona-Krise ernst nehmen müssen, verhielt sie sich wie in persönlich­en Gesprächen. Beruhigend, ernst, direkt. Bis hin zu ihrer Kritik an Hamsterkäu­fen, „als werde es nie wieder etwas geben“. Vorratshal­tung sei sinnvoll – „aber mit Maß“, sagte Merkel und runzelte die Stirn, als sollten sich alle einmal am Riemen reißen, die glauben, über Deutschlan­d bräche nun eine Hungers- oder Toilettenp­apiernot herein.

Womit wir bei Selbstdisz­iplin und Eigenveran­twortung sind. Je weniger Menschen zusammenko­mmen und je mehr Menschen bei der nötigen Aufrechter­haltung des restlichen öffentlich­en Lebens alle Vorsichtsm­aßnahmen beherzigen, desto größer die Chance, dass sich das Virus langsamer ausbreitet und das Gesundheit­ssystem nicht überforder­t wird. Doch genau hier gibt es Verstöße und unverantwo­rtliche Sorglosigk­eit. Körperkont­akt beim Einkaufen. Enges Beisammens­ein im Park, unnötige Reisen. Eine Eskalation­sstufe hat der Staat da noch: Ausgangssp­erren. In

Eine Eskalation­sstufe hat der Staat in dieser Krise noch: Ausgangssp­erren. Wir könnten sie verhindern

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