Die Grenzen der Freiheit
Wie sich Ausgangssperren anfühlen, konnten in Deutschland zuletzt Eltern und Großeltern aus Kriegszeiten berichten. Ein von Angst, Überwachung, Verboten und Strafen geprägtes Leben. Es ging nicht nur um Schutz vor Bomben und Plünderungen. Autoritäre Regime und Diktaturen verhindern so, dass sich Menschen versammeln und organisieren können. Widerstand in der Bevölkerung wird gebrochen.
Das wunderbare deutsche Grundgesetz macht das Gegenteil. Es sichert den Bürgern das Recht auf Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit, Bewegungsfreiheit, Reisefreiheit und vieles mehr zu. Die Demokratie, so verletzlich sie sich damit zugleich macht, lebt davon: Vielfalt, Lebendigkeit, Streitbarkeit, Öffentlichkeit, Offenheit. Freiheit. Das alles ist in Deutschland über die Jahrzehnte so selbstverständlich geworden, dass ein Eingriff in die Grundrechte kaum vorstellbar war. Erst recht nicht unter einer aus der DDR stammenden Kanzlerin Angela Merkel, die immer und überall eines verteidigt hat: die Freiheitsrechte.
Doch die Corona-Krise macht auch vor der Verfassung nicht halt. Seit dem Zweiten Weltkrieg wurden Grundrechte nicht mehr so eingeschränkt wie jetzt. Absagen von Veranstaltungen, Einschränkungen der Mobilität, Schulschließungen, Besuchsverbote in Altenheimen. Alle sozialen Kontakte sollen so weit wie möglich vermieden werden. Schilderungen, dass selbst Sterbende nicht von allen Familienmitgliedern begleitet werden dürfen, sind herzzerreißend. Und trotzdem bleibt es ruhig in diesem Land, wo sich die Menschen sonst über kleine Widrigkeiten so riesig aufregen können. Viele fügen sich. In der Not nehmen wir das diszipliniert zur Kenntnis.
Das liegt im Wesentlichen wohl daran, dass die Bürger in dieser Krise dem
Staat grundsätzlich vertrauen. Den Landesregierungen und der Bundesregierung. Und zwar nicht nur, weil diese Milliarden-Nothilfen beschlossen haben, sondern, weil man ihnen glaubt, dass nach der Krise wieder alle Rechte umgehend und umfassend gelten wie zuvor. Merkel hat es in ihrer ungewöhnlichen Fernsehansprache am Mittwochabend versichert: „Für jemanden wie mich, für die Reise- und Bewegungsfreiheit ein schwer erkämpftes Recht war, sind solche Einschränkungen nur in der absoluten Notwendigkeit zu rechtfertigen. Sie sollten in einer Demokratie nie leichtfertig und nur temporär beschlossen werden. Aber sie sind im Moment unverzichtbar, um Leben zu retten.“
Die Kanzlerin war in dieser Rede an die Nation so authentisch wie noch in keiner ihrer üblichen Neujahrsansprachen, in denen ihre Stimme und Körpersprache eher so wirkten, als lese sie ein Märchen vor. In ihrem dramatischen Appell an die Bürger, dass sie die Corona-Krise ernst nehmen müssen, verhielt sie sich wie in persönlichen Gesprächen. Beruhigend, ernst, direkt. Bis hin zu ihrer Kritik an Hamsterkäufen, „als werde es nie wieder etwas geben“. Vorratshaltung sei sinnvoll – „aber mit Maß“, sagte Merkel und runzelte die Stirn, als sollten sich alle einmal am Riemen reißen, die glauben, über Deutschland bräche nun eine Hungers- oder Toilettenpapiernot herein.
Womit wir bei Selbstdisziplin und Eigenverantwortung sind. Je weniger Menschen zusammenkommen und je mehr Menschen bei der nötigen Aufrechterhaltung des restlichen öffentlichen Lebens alle Vorsichtsmaßnahmen beherzigen, desto größer die Chance, dass sich das Virus langsamer ausbreitet und das Gesundheitssystem nicht überfordert wird. Doch genau hier gibt es Verstöße und unverantwortliche Sorglosigkeit. Körperkontakt beim Einkaufen. Enges Beisammensein im Park, unnötige Reisen. Eine Eskalationsstufe hat der Staat da noch: Ausgangssperren. In
Eine Eskalationsstufe hat der Staat in dieser Krise noch: Ausgangssperren. Wir könnten sie verhindern