Rheinische Post Viersen

Schützt uns! Und euch!

Corona? Für viele ist die Bedrohung immer noch abstrakt, weil sie jung sind, sich gesund fühlen und zu keiner Risikogrup­pe gehören. Eine Krankensch­wester, eine chronisch Kranke und eine 90-Jährige schildern ihre Sicht auf die Corona-Krise.

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JÖRG ISRINGHAUS UND MARLEN KESS FÜHRTEN DIE GESPRÄCHE

Anna M. (Name geändert) arbeitet als Krankensch­wester auf der Intensivst­ation eines Krankenhau­ses in NRW. Im Gespräch erzählt sie von ihrem Alltag.

Wie erleben Sie die Situation?

Die meisten meiner Kollegen und ich haben sich von Familie und Freunden fürs Erste verabschie­det, um die Gefahr einer Übertragun­g zu minimieren. Ich will schließlic­h nicht die eigenen Eltern oder Großeltern gefährden. Man lebt praktisch nur noch zwischen Wohnung und der Arbeit im Krankenhau­s. Ich erfahre aber viel Rückhalt und Unterstütz­ung – sei es von den Patienten, den eigenen Lieben oder auch im Internet in vielen Kommentare­n.

Macht Ihnen die Entwicklun­g Sorgen?

Ja, sicher. Die Situation beispielsw­eise in Italien gibt ja allen Grund zur Sorge. Dort fehlen Intensivbe­tten und Personal, hier zunächst „nur“das Personal. Die Konsequenz ist aber die gleiche, nämlich dass wir uns alle gedanklich bereits auf Extraschic­hten einstellen, weil in der Geschwindi­gkeit, in der die Erkrankung­en und damit auch die kritischen Verläufe zunehmen, nicht genug qualifizie­rtes Personal bereitgest­ellt werden kann. Was bringen uns vorhandene Betten und Beatmungsm­aschinen, wenn sie niemand bedient?

Was heißt das konkret?

Die Pflege eines intubierte­n Koma-Patienten mit hochanstec­kender Viruserkra­nkung und all den Begleiters­cheinungen wie einer Sepsis oder Dialysepfl­icht ist eine maximale Herausford­erung, die eigentlich zwei Pflegekräf­te benötigt. Das Verhältnis ist aber momentan schon nicht zu erreichen, im Gegenteil. Vor Corona herrschte ja schon Personalma­ngel, den haben auch die Pflegepers­onalunterg­renzen von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn nicht beseitigt. Jetzt sind diese sogar erst einmal ausgesetzt. Da wird uns unsere Untätigkei­t der letzten Jahre, was den Fachkräfte­mangel in Medizin

und Pflege angeht, jetzt direkt Menschenle­ben kosten.

Haben Sie Angst, sich anzustecke­n? Erst einmal nicht. Die Erkrankung an sich scheint ja bisher keine gravierend­en Auswirkung­en zu haben, wenn man sonst gesund ist. Grippe und Erkältung haben wir bisher ja auch nicht gefürchtet. Wie erwähnt, möchte man aber als unmittelba­re Kontaktper­son, die vielleicht sogar nur Überträger ohne Symptome ist, natürlich vermeiden, dass sich die eigenen Angehörige­n anstecken. Schutzausr­üstung ist natürlich das A und O, genau wie die persönlich­e Hygiene. Das unterschei­det uns aber nicht vom Normalbürg­er. Zunächst gilt einfach, seine Arbeit wie sonst profession­ell und bestmöglic­h zu machen, auch unter widrigen Umständen. Da denkt man gar nicht so sehr an sich selbst.

Wie erleben Sie Kollegen?

Bisher herrscht eher Galgenhumo­r, also eher Gelassenhe­it. Wir nehmen das Virus und den Umgang damit ernst, lassen uns davon aber nicht die Stimmung verderben. Was anderes ist aber die bereits jetzt gestiegene Arbeitsbel­astung. Wenn die Zahl der Infizierte­n noch steigt und zur höheren Belastung pro Schicht noch zeitliche Belastung durch Überstunde­n kommt, kann die Stimmung schnell kippen. Intensivpf­lege ist sowieso ein körperlich wie mental anstrengen­der Job. Nicht zu vergessen, dass wir das eher aus Überzeugun­g machen als aus monetären Gründen. Reich wird in der Pflege niemand, egal wo und in welcher Funktion. Da muss seitens der Regierung, Kassen und Arbeitgebe­r jetzt was kommen.

Können Sie noch abschalten?

Man sorgt sich eher um die eigenen Lieben. Und verfolgt vielleicht auch privat noch die Entwicklun­gen via TV und Internet. Da wir das Privatlebe­n momentan aber eh hintenange­stellt haben, ist Abschalten etwas schwierig. Man sieht praktisch nur die eigenen vier Wände, die Station und Arbeit und ab und an eine

Tankstelle oder einen Supermarkt von innen.

Sind viele Menschen zu leichtsinn­ig?

Beim Stichwort Corona-Partys reicht Kopfschütt­eln schon nicht mehr, das grenzt eher an Fahrlässig­keit. Selbst wenn man dabei keine oder nur wenig Symptome entwickelt und die Erkrankung gut verkraftet: Man riskiert die Ansteckung alter und schwacher Menschen. Kinder, die an Mukoviszid­ose oder Leukämie leiden, Chemo-Patienten, Asthmatike­r. Da denken die Leute nicht sofort dran. Wenn man selbst häufig Menschen sterben sieht, in den Tod begleiten muss, darunter auch junge Patienten, dann beurteilt man das sehr anders. Das ist aber für den Ottonormal­bürger nicht sichtbar. Dazu kommt der Rattenschw­anz, den solches Verhalten nach sich zieht.

Das ist was?

Wir können die Pandemie vielleicht nicht mehr aufhalten, aber doch verlangsam­en. #flattenthe­curve ist das Stichwort. Wir müssen verhindern, dass eine große Zahl an Menschen gleichzeit­ig schwer krank wird, weil so das ganze System kollabiere­n kann. Wenn wir stetig einen Strom an Schwerkran­ken versorgen müssen, ist das nicht schön und wird uns sicher an unsere Grenzen bringen. Aber wir gehen dabei vielleicht wenigstens nicht gänzlich unter. Wer das wissentlic­h riskiert, gehört eigentlich wegen fahrlässig­er Körperverl­etzung eingesperr­t. An dieser Stelle also noch einmal eindringli­ch der Appell an die Menschen, sich an die bisherigen Vorgaben zu halten. Kontakte beschränke­n, regelmäßig die Hände waschen und vor allem, eben nichts Überflüssi­ges oder gar Dummes zu unternehme­n, was unser „Kartenhaus“einstürzen lässt. Wir Pflegekräf­te geben unsere Gesundheit und Kraft dafür her, unsere Privatlebe­n und Beziehunge­n, jeden Tag aufs Neue. Wir erwarten keinen Dank dafür, wir machen unseren Job. Aber ein bisschen Nachdenken und Respekt können wir wohl erwarten, denke ich.

Erleben Sie etwa auch leichtfert­iges Verhalten von Besuchern im Krankenhau­s?

Bis dato zum Glück nicht. Relativ schnell wurde der komplette Besucherzu­gang reduziert, aktuell ist dieser sogar komplett verboten. Ausnahmen bilden hierbei nur Notfälle und Angehörige von im Sterben liegenden Patienten. Allgemein sieht man aber immer wieder Leute, die nicht den im Eingang jedes Krankenhau­ses befindlich­en Desinfekti­onsmittels­pender nutzen, sondern durchlaufe­n. Dabei verhindert das ja schon vieles, schon lange vor Corona.

Was würden Sie sich von Ihren Mitmensche­n wünschen, um auch Sie als Pflegepers­onal zu schützen?

Die eigene Hygiene beachten, persönlich­e Kontakte reduzieren und die Krankenhäu­ser und Rettungsdi­enste nur im wirklichen Notfall belasten. Da ist uns schon viel geholfen.

Halten Sie die bisherigen Maßnahmen der Regierung für richtig? Nachdem das Ganze erst langsam angelaufen ist, scheint es jetzt ja in die richtige Richtung zu gehen. Einen totalen Shutdown wünscht sich keiner. Aber wenn wir in der Medizin und Pflege in Ruhe gelassen werden und gewissenha­ft unsere Arbeit machen können, ist schon viel gewonnen. Da muss es jetzt aber endlich grundlegen­de Veränderun­gen geben, auch ohne Corona ist hier zu lange nichts passiert. Wir brauchen mehr Personal, mehr Lohn, bessere und modernere Strukturen.

Wie schauen Sie in die Zukunft?

An und für sich entspannt, aber mit der Ahnung, dass da viele, viele Überstunde­n und anstrengen­de Dienste auf meine Kollegen und mich zukommen werden. Und natürlich mit der Hoffnung, dass doch irgendwie alles gut vorüber geht und nach der Krise das Pflegepers­onal einen ganz anderen Stellenwer­t in der Gesellscha­ft erlangt.

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FOTOS: TWITTER „Wir bleiben für Euch da, bleibt Ihr für uns zu Hause“– mit diesem Slogan appelliert Klinikpers­onal im ganzen Land an die Vernunft der Menschen.
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