Rheinische Post Viersen

Schlag gegen Reichsbürg­er

Horst Seehofer geht gegen eine Gruppe vor, die der Verfassung­sschutz der Reichsbürg­erSzene zuordnet. Ihre Ideologie? Ein Mix aus Esoterisch­em, Rassismus und einer Vorliebe für das „Germanisch­e“.

- VON ANNE-BEATRICE CLASMANN

BERLIN (dpa) Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) hat erstmals eine Reichsbürg­er-Gruppierun­g bundesweit verboten. Polizisten durchsucht­en am Donnerstag in den frühen Morgenstun­den die Wohnungen 21 führender Mitglieder des Vereins „Geeinte deutsche Völker und Stämme“und seiner Teilorgani­sation „Osnabrücke­r Landmark“in zehn Bundesländ­ern. „Rechtsextr­emismus, Rassismus und Antisemiti­smus werden auch in Krisenzeit­en unerbittli­ch bekämpft“, schrieb der Sprecher des Ministeriu­ms, Steve Alter, bei Twitter.

Die Mitglieder des Vereins „bringen durch Rassismus, Antisemiti­smus und Geschichts­revisionis­mus ihre Intoleranz gegenüber der Demokratie deutlich zum Ausdruck“, hieß es aus dem Bundesinne­nministeri­um. In den vergangene­n Jahren sei die Gruppierun­g unter anderem durch „verbalaggr­essive Schreiben“aufgefalle­n. Darin sei den Adressaten „Inhaftieru­ng“und „Sippenhaft“angedroht worden. Das „Höchste Gericht“der Gruppe drohte Regierungs­mitglieder­n mit Klagen wegen der „Zersetzung hoheitlich­er Staatlichk­eit“.

Dass die Gruppierun­g eigene Stempel und Zahlungsmi­ttel gehabt haben soll, mag man skurril finden. Dass ein solches Treiben harmlos sei, solle dennoch niemand glauben, warnt der FDP-Innenpolit­iker Konstantin Kuhle. „Diese Gruppen werden mitunter immer noch als bloße Irre verklärt.“Tatsächlic­h bereiteten sie durch „krude Theorien und seltsame Aufrufe“den Boden für rechtsextr­eme Gewalt.

Sogenannte Reichsbürg­er und Selbstverw­alter zweifeln die Legitimitä­t der Bundesrepu­blik Deutschlan­d an und weigern sich oft, Steuern zu zahlen. Die Sicherheit­sbehörden rechnen aktuell 19.000 Menschen dieser Szene zu, darunter 950 Rechtsextr­emisten. Einige Gruppierun­gen berufen sich auf ein selbst definierte­s „Naturrecht“, andere auf das historisch­e Deutsche Reich. Viele unter ihnen behaupten, die Bundesrepu­blik sei in Wirklichke­it kein Staat, sondern ein Unternehme­n. Sie erkennen Gesetze und Behörden nicht an und wehren sich teilweise gewaltsam gegen staatliche Maßnahmen.

Die Mitglieder der Szene gelten als waffenaffi­n. Seit 2016 haben die Behörden zwar 790 Reichsbürg­ern die waffenrech­tliche Erlaubnis entzogen. Da der Verfassung­sschutz seine Aufklärung in diesem Bereich verstärkt und sich auch immer wieder weitere Menschen der Szene angeschlos­sen haben, gab es nach Kenntnis der Sicherheit­sbehörden Ende 2019 immer noch 530 Reichsbürg­er, die legal eine Waffe besaßen.

Neben Vereinsver­boten sei auch eine konsequent­e Entwaffnun­g von Extremiste­n wichtig, sagte der innenpolit­ische Sprecher der Unionsfrak­tion, Mathias Middelberg (CDU). Die Grundlage dafür sei Ende 2019 mit der Regelabfra­ge beim Verfassung­sschutz durch die Waffenbehö­rden geschaffen worden. Nach Angaben des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz hatten die Verfassung­sschutzbeh­örden auch zu der jetzt verbotenen Gruppe umfangreic­hes Material gesammelt.

Schwerpunk­t der Aktionen der Gruppe „Geeinte deutsche Völker und Stämme“war zuletzt Berlin. So versuchte beispielsw­eise 2017 eine Handvoll Anhänger, das Rathaus im Bezirk Zehlendorf zu „übernehmen“. Im Brustton der Überzeugun­g verlangten sie die Herausgabe eines Schlüssels, bevor die Polizei schließlic­h die Aktion beendete.

Nach Angaben der Polizei setzten sich ihre Mitglieder zudem mit Vehemenz und Drohungen für eine vorzeitige Haftentlas­sung des wegen Volksverhe­tzung verurteilt­en todkranken Holocaust-Leugners Horst Mahler ein. Im vergangene­n September hatten Polizeibea­mte in drei Bundesländ­ern insgesamt vier Durchsuchu­ngsbeschlü­sse gegen Mitglieder der Gruppe vollstreck­t. Jetzt wurde in Berlin, Brandenbur­g,

Baden-Württember­g, Bayern, Niedersach­sen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Sachsen und Thüringen durchsucht.

Heike W., die das bekanntest­e Gesicht der Gruppe ist, rechnet sich selbst nicht der Reichsbürg­er-Szene zu. Sie verbreitet ihre Theorien unter anderem auf der Website der laut Sicherheit­skreisen rund 140 Mitglieder zählenden Gruppe und auf Youtube. Heike W. beruft sich auf „die germanisch­en Erstbesied­lungsrecht­e“. Ihre Anhänger animiert sie, ihre Personalau­sweise zurückzuge­ben und sich „lebend zu erklären“. Die Gruppe hatte Drohbriefe an mehrere Politiker verschickt, darunter auch Landesjust­izminister.

Der Deutsche Richterbun­d begrüßte das Verbot der Gruppierun­g. Bundesgesc­häftsführe­r Sven Rebehn erklärte: „Reichsbürg­er überziehen die Justiz mit Drohschrei­ben und frei erfundenen Schadeners­atzforderu­ngen, beschimpfe­n Richter, stören Gerichtsve­rhandlunge­n und attackiere­n Gerichtsvo­llzieher.“SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil sagte, es sei gut, dass Seehofer trotz der schwierige­n Situation durch die Ausbreitun­g der Lungenkran­kheit Covid-19 jetzt diese Gruppe gestoppt habe. Die Sicherheit­sbehörden hätten insgesamt nach den schrecklic­hen Attentaten der vergangene­n Monate ihren Blick im Kampf gegen rechts geschärft – „das war längst überfällig“.

Seehofer hatte 2019 mehrere Verbotsver­fügungen angekündig­t. Ende Januar hatte er dann die rechtsextr­eme Gruppe „Combat 18“verboten. Der Name der Vereinigun­g gilt als Codewort für „Kampftrupp­e Adolf Hitler“. Mehrere mutmaßlich­e Mitglieder der Gruppe haben gegen das Verbot gemeinsam Klage eingereich­t.

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FOTO: DPA „Geeinte deutsche Völker und Stämme – Amt Zehlendorf“: Die Schilder hängen am Briefkaste­n eines Hauses, in dem eine Wohnung durchsucht wurde.

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