Lagardes historischer Moment
Nach der Fed startet auch die Europäische Zentralbank den Ankauf von kurzfristigen Firmenanleihen. Der Dax legt leicht zu.
FRANKFURT Dieser Moment dürfte in die EZB-Geschichte eingehen: Christine Lagarde, Chefin der Europäischen Zentralbank, kündigte ein riesiges neues Anleihekaufprogramm der Notenbank in Höhe von zunächst 750 Milliarden Euro bis Jahresende an. „Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliches Handeln“, schrieb Lagarde auf Twitter. Die EZB werde das volle Potenzial ihrer Instrumente ausschöpfen, damit aus der Corona-Krise keine neue Euro-Krise werde. Sie erinnerte damit an die legendären Worte des früheren EZB-Präsidenten Mario Draghi, der 2012 erklärte hatte, die EZB werde „alles, was es koste“(„whatever it takes“) unternehmen, um den Euro zu retten.
Was genau hat die EZB vor? Die Notenbank wird im Rahmen des neuen „Pandemic Emergency Purchase
Programmes“(PEPP) Staats- und Unternehmensanleihen im großen Stil am Markt aufkaufen, um die Zinsen zu drücken, die Länder und größere Unternehmen ihren Kapitalgebern zahlen müssen. Erstmals kauft sie auch kurzfristige Firmenanleihen auf, weil auch deren Renditen zuletzt stark gestiegen sind. Das Programm soll solange laufen, bis die Corona-Krise bewältigt ist, mindestens aber bis Ende des Jahres. Es ist auch nicht nach oben begrenzt, sondern soll notfalls ausgeweitet werden.
Was war Auslöser der Aktion? Zunehmend besorgt sind die Währungshüter vor allem wegen Italien, wo sich das Virus bisher am stärksten verbreitet hat. Die Renditen italienischer Staatsanleihen waren bis Donnerstag stark gestiegen. Sollten sie weiter stark steigen, könnte Italien ähnlich wie Griechenland 2009 die Zahlungsunfähigkeit drohen. „Das wäre dann der GAU für den
Euro“, sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Doch allein die Ankündigung Lagardes stoppte den Anstieg. „Die EZB-Bazooka wirkt: Die italienischen Renditen sind wieder gesunken. Der Markt weiß jetzt, dass die EZB flexibel Anleihen kaufen kann. Als Spekulant überlegt man es sich jetzt zwei Mal, ob man gegen italienische Staatsanleihen wettet“, sagte Krämer. Der Absturz der Aktien wurde vorerst gestoppt. Der Dax schloss zwei Prozent im Plus.
Welche Unterschiede gibt es zu 2009? „Wir werden heute von zwei Seiten in die Zange genommen: von der Angebots- und der Nachfrageseite“, sagte Dekabank-Volkswirt Andreas Scheuerle. 2009 habe es einen Nachfrageschock gegeben, dem die Staaten mit Konjunkturpaketen begegnen konnten. „Das geht heute nicht, weil die Unternehmen kaum noch produzieren. Jetzt kommt es darauf an, Unternehmensinsolvenzen
zu verhindern. Das versucht jetzt auch die EZB.“
Wie reagieren Experten? Überwiegend positiv. „Die EZB-Aktion unterstreicht eine Schlüsselbotschaft: Die Institutionen werden nicht zulassen, dass der Pandemieschock für die Realwirtschaft eine echte Finanzkrise auslöst, die wiederum den wirtschaftlichen Schaden verschärfen würde“, kommentierte der Chefvolkswirt der Berenberg Bank, Holger Schmieding. Auch Politiker lobten die Notenbank. Kritik kam dagegen vom CDU-Wirtschaftsrat: Die Fortführung der „ultralockeren Geldpolitik sowie die immer stärkere Ausweitung der Anleihekaufprogramme bei gleichzeitiger Aufweichung der Risikostandards“werde kurzfristig kaum helfen, bringe aber gefährliche Nebenwirkungen.
Welche langfristigen Folgen kann PEPP haben? Kurzfristig wird das Programm ohne Folgen auf die Inflation
bleiben. Die zu erwartende Rezession in der gesamten Euro-Zone wird das verhindern. Langfristig ist die EZB gefordert, wenn es darum geht, den richtigen Ausstiegszeitpunkt aus dem Kaufprogramm zu finden. Das will sie so lange durchziehen, wie die Corona-Krise und deren Folgen dauern. Ist das ausgestanden, müsste die Zentralbank die Käufe deutlich zurückfahren, damit keine deutlich über der Zielmarke von zwei Prozent iegende Inflation in Europa droht.
Wird das Zeitalter der Nullzinsen durch Corona verlängert? Mit Sicherheit. Für wie lange, kann allerdings niemand sagen. Bisher gingen viele Marktbeobachter davon aus, dass in ein, zwei Jahren die Zinsen wieder steigen könnten. Das wird sich nach Einschätzung von Experten durch die Folgen der Krise weiter um Jahre nach hinten verschieben. Schlecht für Sparer, gut für Schuldner.