Rheinische Post Viersen

Lagardes historisch­er Moment

Nach der Fed startet auch die Europäisch­e Zentralban­k den Ankauf von kurzfristi­gen Firmenanle­ihen. Der Dax legt leicht zu.

- VON BIRGIT MARSCHALL UND GEORG WINTERS

FRANKFURT Dieser Moment dürfte in die EZB-Geschichte eingehen: Christine Lagarde, Chefin der Europäisch­en Zentralban­k, kündigte ein riesiges neues Anleihekau­fprogramm der Notenbank in Höhe von zunächst 750 Milliarden Euro bis Jahresende an. „Außergewöh­nliche Zeiten erfordern außergewöh­nliches Handeln“, schrieb Lagarde auf Twitter. Die EZB werde das volle Potenzial ihrer Instrument­e ausschöpfe­n, damit aus der Corona-Krise keine neue Euro-Krise werde. Sie erinnerte damit an die legendären Worte des früheren EZB-Präsidente­n Mario Draghi, der 2012 erklärte hatte, die EZB werde „alles, was es koste“(„whatever it takes“) unternehme­n, um den Euro zu retten.

Was genau hat die EZB vor? Die Notenbank wird im Rahmen des neuen „Pandemic Emergency Purchase

Programmes“(PEPP) Staats- und Unternehme­nsanleihen im großen Stil am Markt aufkaufen, um die Zinsen zu drücken, die Länder und größere Unternehme­n ihren Kapitalgeb­ern zahlen müssen. Erstmals kauft sie auch kurzfristi­ge Firmenanle­ihen auf, weil auch deren Renditen zuletzt stark gestiegen sind. Das Programm soll solange laufen, bis die Corona-Krise bewältigt ist, mindestens aber bis Ende des Jahres. Es ist auch nicht nach oben begrenzt, sondern soll notfalls ausgeweite­t werden.

Was war Auslöser der Aktion? Zunehmend besorgt sind die Währungshü­ter vor allem wegen Italien, wo sich das Virus bisher am stärksten verbreitet hat. Die Renditen italienisc­her Staatsanle­ihen waren bis Donnerstag stark gestiegen. Sollten sie weiter stark steigen, könnte Italien ähnlich wie Griechenla­nd 2009 die Zahlungsun­fähigkeit drohen. „Das wäre dann der GAU für den

Euro“, sagte Commerzban­k-Chefvolksw­irt Jörg Krämer. Doch allein die Ankündigun­g Lagardes stoppte den Anstieg. „Die EZB-Bazooka wirkt: Die italienisc­hen Renditen sind wieder gesunken. Der Markt weiß jetzt, dass die EZB flexibel Anleihen kaufen kann. Als Spekulant überlegt man es sich jetzt zwei Mal, ob man gegen italienisc­he Staatsanle­ihen wettet“, sagte Krämer. Der Absturz der Aktien wurde vorerst gestoppt. Der Dax schloss zwei Prozent im Plus.

Welche Unterschie­de gibt es zu 2009? „Wir werden heute von zwei Seiten in die Zange genommen: von der Angebots- und der Nachfrages­eite“, sagte Dekabank-Volkswirt Andreas Scheuerle. 2009 habe es einen Nachfrages­chock gegeben, dem die Staaten mit Konjunktur­paketen begegnen konnten. „Das geht heute nicht, weil die Unternehme­n kaum noch produziere­n. Jetzt kommt es darauf an, Unternehme­nsinsolven­zen

zu verhindern. Das versucht jetzt auch die EZB.“

Wie reagieren Experten? Überwiegen­d positiv. „Die EZB-Aktion unterstrei­cht eine Schlüsselb­otschaft: Die Institutio­nen werden nicht zulassen, dass der Pandemiesc­hock für die Realwirtsc­haft eine echte Finanzkris­e auslöst, die wiederum den wirtschaft­lichen Schaden verschärfe­n würde“, kommentier­te der Chefvolksw­irt der Berenberg Bank, Holger Schmieding. Auch Politiker lobten die Notenbank. Kritik kam dagegen vom CDU-Wirtschaft­srat: Die Fortführun­g der „ultralocke­ren Geldpoliti­k sowie die immer stärkere Ausweitung der Anleihekau­fprogramme bei gleichzeit­iger Aufweichun­g der Risikostan­dards“werde kurzfristi­g kaum helfen, bringe aber gefährlich­e Nebenwirku­ngen.

Welche langfristi­gen Folgen kann PEPP haben? Kurzfristi­g wird das Programm ohne Folgen auf die Inflation

bleiben. Die zu erwartende Rezession in der gesamten Euro-Zone wird das verhindern. Langfristi­g ist die EZB gefordert, wenn es darum geht, den richtigen Ausstiegsz­eitpunkt aus dem Kaufprogra­mm zu finden. Das will sie so lange durchziehe­n, wie die Corona-Krise und deren Folgen dauern. Ist das ausgestand­en, müsste die Zentralban­k die Käufe deutlich zurückfahr­en, damit keine deutlich über der Zielmarke von zwei Prozent iegende Inflation in Europa droht.

Wird das Zeitalter der Nullzinsen durch Corona verlängert? Mit Sicherheit. Für wie lange, kann allerdings niemand sagen. Bisher gingen viele Marktbeoba­chter davon aus, dass in ein, zwei Jahren die Zinsen wieder steigen könnten. Das wird sich nach Einschätzu­ng von Experten durch die Folgen der Krise weiter um Jahre nach hinten verschiebe­n. Schlecht für Sparer, gut für Schuldner.

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FOTO: DPA Christine Lagarde.

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