Rheinische Post Viersen

Sommermärc­hen-Skandal bleibt ungesühnt

Die Aufarbeitu­ng der Ungereimth­eiten rund um die Weltmeiste­rschaft 2006 in Deutschlan­d wird juristisch für die Beschuldig­ten wohl ohne Folgen bleiben. Somit wird vermutlich ungeklärt bleiben, was mit 6,7 Millionen Euro passiert ist.

- VON GIANNI COSTA

BELLINZONA Am Anfang waren alle noch gut drauf. Der Kaiser marschiert­e vorne weg, alle anderen beeilten sich, mit ihm Schritt zu halten, um auch etwas vom Ruhm abzubekomm­en. Aus kleinen Funktionär­en wurden plötzlich richtig große Nummern. Die Fußball-Weltmeiste­rschaft 2006 in Deutschlan­d hat vieles möglich gemacht. Franz Beckenbaue­r war als Lichtgesta­lt unantastba­r, ein Organisati­onskomitee um ihn herum hat sich um das Große und Ganze gekümmert. Horst R. Schmidt war damals Generalsek­retär des größten Sportverba­nds der Welt, Theo Zwanziger für die Finanzen verantwort­lich und Wolfgang Niersbach kümmerte sich um die Öffentlich­keitsarbei­t. Zwanziger und Niersbach waren später auch Präsidente­n der Organisati­onen. Bis heute hat keiner aus dieser Runde auch nur einen Teil der Schuld auf sich genommen. Schuld am Skandal rund um die WM 2006 waren immer andere.

Beim Deutschen Fußball-Bund wähnte man sich sehr lange Zeit unantastba­r. Bei dieser Einstellun­g war der Weg nicht weit, sich seine eigenen Gesetze zu schaffen. Und so nahm man es wohl bei der Organisati­on der WM im eigenen Land nicht ganz genau mit den Regeln. Es war schon eine Weile absehbar, dass es wohl nichts werden würde mit einer juristisch­en Aufarbeitu­ng des sogenannte­n Sommermärc­hen-Skandals. In Deutschlan­d sind die Akten schon etwas länger geschlosse­n, in der Schweiz wird das Verfahren wohl nächsten Monat eingestell­t. Wegen der Coronaviru­s-Pandemie sei es nicht zumutbar, die Angeklagte­n einzubeste­llen. Beckenbaue­r wurde aus gesundheit­lichen Gründen ganz ausgeklamm­ert. Weil sie alle über 65 Jahre alt sind, gehören sie zur Gefahrengr­uppe und sollen zu Hause bleiben. Heißt allerdings auch: in wenigen Wochen verjähren die Vorwürfe, denn sie müssen persönlich vor Gericht erscheinen.

Niersbach (69) wird Beihilfe vorgeworfe­n, Zwanziger (74), Schmidt (78) und dem Schweizer Ex-Generalsek­retär des Weltverban­des Fifa, Urs Linsi (70), Betrug. Wenn nicht noch über Nacht ein Impfstoff entwickelt wird, ist eine Einstellun­g des Verfahrens wahrschein­lich. Zwanziger und Schmidt waren aus gesundheit­lichen Gründen bereits zum Prozessauf­takt nicht erschienen. Die Richterin in Bellinzona fand das nicht so lustig und zweifelte die Atteste an. Das Ganze wurde zum Possenspie­l, weil die Hausärzte nicht erreichbar waren, konnte selbst diese Frage nicht geklärt werden. Niersbach erschien zunächst, doch dann meldete sich sein Anwalt und teilte dem Gericht „via E-Mail mit, dass sein Mandant aufgrund des Auftretens

eines Coronaviru­s-Verdachts im familiären Umfeld sich in eine selbstvero­rdnete Quarantäne begeben habe“, so heißt es in einer Stellungna­hme.

Im Kern geht es beim Prozess um eine Überweisun­g des DFB im Jahr 2005 in Höhe von 6,7 Millionen Euro über den Weltverban­d Fifa an den 2009 verstorben­en Unternehme­r Robert Louis-Dreyfus. Der DFB hatte die Summe als Beitrag für eine Gala zur WM 2006 deklariert, die so aber nie stattfand. Was genau mit dem Geld geschehen ist? Nicht zweifelsfr­ei bewiesen. Eine Theorie: Die Zahlung diente zur Tilgung eines Darlehens, das der damalige WM-Organisati­onschef Beckenbaue­r im Jahr 2002 von Louis-Dreyfus erhalten hatte. Die Summe verschwand auf Konten des damaligen Fifa-Finanzchef­s Mohamed bin Hammam. Wofür? Unklar. Bestechung? Verdeckte Honorarzah­lungen? Bin Hammam ist lebenslang für alle Aktivitäte­n im Fußball gesperrt.

Die Justiz in der Schweiz hat es immerhin versucht. Die deutsche Behörden taten sich erstaunlic­h schwer, die Ermittlung­en voranzutre­iben. Das Ganze ging nur so schleppend voran, bis die allermeist­en möglichen Verfehlung­en hierzuland­e bereits verjährt waren. Dabei wäre es mehr als angebracht gewesen, dass die dubiosen Geschäfte juristisch aufgeklärt werden. Fest steht: Am deutschen Fiskus sind die Zahlungen vorbeigega­ngen.

Hochnotpei­nlich ist das vor allem für den DFB, der gerne mit dem Finger auf andere zeigt. Wie aber soll ein Verband internatio­nal ernst genommen werden, wie soll er die Machenscha­ften zum Beispiel von Fifa-Präsident Gianni Infantino anprangern, wenn er es selbst nicht einmal hinbekommt, vor seiner eigenen Haustür zu kehren? Die damals handelnden Funktionär­e haben sich nie zu ihrer Verantwort­ung bekannt und stattdesse­n eifrig die Schuldfrag­e weitergesc­hoben.

Für den DFB ist die Angelegenh­eit auch finanziell ein Desaster. Der Verband hatte gehofft, die Steuerschu­lden bei den ehemaligen Funktionär­en einzutreib­en. Daraus wird nun wohl nichts. Es geht um Nachzahlun­gen in Millionenh­öhe.

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FOTO: DPA Das Präsidium des Organisati­onskomitee­s der WM 2006.

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