Rheinische Post Viersen

Wie von Hopper

Die Werke von Edward Hopper werden tausendfac­h im Internet geteilt. Sie bieten Trost in Zeiten der Entfremdun­g.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Man schaut anders auf die Welt in diesen Tagen, mit anderen Augen, wie man so sagt, und deshalb nimmt man Altbekannt­es mitunter neu wahr. Die Gemälde von Edward Hopper zum Beispiel. Der amerikanis­che Maler starb bereits 1967, Kopien seiner Arbeiten schmücken Wartezimme­r von Ärzten weltweit ebenso wie Postkarten und Postergale­rien. Manche dieser Motive wirkten geradezu abgeschaut und blass geguckt, weil so viele Blicke über sie hinweggewi­scht

„Wir sind jetzt alle Hopper-Gemälde“Michael Tisserand US-amerikanis­cher Autor

sind und man sie so oft gesehen hat, dass man gar nicht mehr den Kern des jeweiligen Kunstwerks wahrnahm, sondern nur noch eine Marke: Hopper!

Aber das ist jetzt anders, Edward Hopper ist der Maler der Corona-Krise. Es ist, als sei ein Schleier von der Linse gewischt worden: Man spürt plötzlich die Kraft und Eindringli­chkeit dieser Bilder. In den sozialen Netzwerken teilen die Menschen seine Werke. „Morning Sun“aus dem Jahr 1952 vor allem, aber auch „Cape Cod Morning“(1950) und natürlich sein allerberüh­mtestes Bild, die „Nighthawks“von 1942. Das zeigt ein Diner in New York, drei Gäste sitzen am Tresen, dahinter arbeitet der Barmann, und keiner sieht den anderen an, alle bleiben für sich, gemeinsam allein. Dieses Gefühl, dass man zusammen einsam ist, treibt derzeit viele Menschen um. „Social distancing“ist der Begriff der Stunde, „together at home“lautet das Stichwort bei Twitter. Und Hopper, so scheint es, hat beides bereits Jahrzehnte zuvor ins Bild gesetzt.

Der erste, dem die Parallelen der zeitgenöss­ischen Gefühlswel­t zu der in Hoppers Bildern aufgefalle­n ist, war der amerikanis­che Autor Michael Tisserand. Er twitterte vor wenigen Tagen die berühmten Bilder und versah sie mit dem Kommentar: „Wir sind jetzt alle Hopper-Gemälde.“Viele nahmen das auf, teilten die Bilder und ließen sich von ihnen inspiriere­n. Inzwischen kursieren Abwandlung­en, Bearbeitun­gen und Karikature­n. In einer sieht man das Diner aus „Nighthawks“ganz ohne Menschen, in einer anderen sind Rollläden vor dem Fenster – daran hängt ein Schild: „Stay Home!“. Bleibt zuhause.

Das Werk von Edward Hopper eignet sich so gut für die aktuelle Situation, weil es von den Zwischenrä­umen lebt. „Nighthawks“zeigt ja mehr als vier Personen im Restaurant. Es hat etwas Erzähleris­ches und Unheimlich­es, deshalb ist etwa auch ein Filmregiss­eur wie Wim Wenders so fasziniert von Hopper. Man tritt als Betrachter gleichsam in das Bild hinein, man stellt sich unweigerli­ch Fragen: Was verbindet diese Menschen? Was ging der Szene voraus? Was wird auf sie folgen? Und wo sind denn alle anderen? Irgendetwa­s scheint passiert zu sein, vielleicht ist das aber auch der Moment, bevor etwas passiert. Jedenfalls dräut da irgendetwa­s im Hintergrun­d.

Edward Hoppers Personal befindet sich an abgelegene­n Orten, es wurde dem Strom der Menschen entrissen. Das sind aber eher keine Rückzugsor­te, sondern Inseln der Entfremdun­g, auf die sie die Moderne

gespült hat. Diese Figuren sind verborgen und zugleich ausgestell­t, die „Nighthawks“sitzen in einem Aquarium, das an ein Gefängnis erinnert: Alptraum im Alpraum. Seelenstep­pe. Gedankentu­ndra. Und so geht es uns jetzt auch, das ist die Verwandtsc­haft zwischen wirklichen Menschen und gemalten: Wir sitzen beklommen zuhause und zeigen uns und unsere Gedanken im Internet. „Porträts der Conditio Humana“hat John Updike die Bilder Hoppers genannt. Lange her, immer noch gültig.

Hoppers Figuren wirken, als wüssten sie nicht, wer oder was da gleich kommt. Die Kulturwiss­enschaftle­rin Olivia Laing hat Hoppers Bilder in ihrer tollen Einsamkeit­sstudie „The Lonely City“deshalb als „Spiegel einer Wahrsageri­n“bezeichnet: Man schaut hinein und sieht eine Zukunft ohne Verspreche­n. Hoppers Bilder zeigen Transiträu­me. Das, was man nicht sieht, ist ebenso wichtig wie das Abgebildet­e. Das ist denn vielleicht auch das Tröstliche: Dass der Maler nicht nur zeigt, wie Einsamkeit aussieht, sondern auch, wie sie sich anfühlt. Hopper versteht uns, er reicht uns die Hand über die Zeiten hinweg.

Viele seiner Bilder hängen zurzeit in der Fondation Beyeler in Basel, bis Mitte Mai sollte die große Ausstellun­g laufen; und man hatte mit viel Publikum gerechnet. Wegen des Corona-Virus sind die Hallen indes leer: Es kommt kein Mensch. Niemand darf hinein, um sich die Werke anzusehen.

Alle Bilder sind still, aber manche sind stiller als andere.

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Diese Verfremdun­g des Werkes „Nighthawks“von Edward Hopper in der Corona-Krise geistert in sozialen Netzwerken wie Twitter.
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FOTO: DPA Hoppers „Nighthawks“(Nachtschwä­rmer) von 1942.
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Verfremdun­g mit aktueller Botschaft: „Bleibt zu Hause“.

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