„Ich habe meine Familie heimgeholt“
Der Künstler spricht darüber, wie Corona seinen Alltag verändert.
Ich wollte als Erstes, dass die Familie zusammenkommt. Das war nicht so ganz leicht, weil einer unserer Söhne mit seiner Freundin in Kambodscha war. Wir mussten sie von dort zunächst nach Bangkok kriegen, und dann musste ein Flug gebucht werden. Aber nun sind sie zurück - buchstäblich last minute, wie man jetzt weiß. Bei meinen Eltern war es ähnlich: Sie sind gerade aus Marokko zurückgeholt worden. So eine angespannte Situation beim Reisen ist neu für uns, obwohl wir viel reisen und die Kinder schon seit ihrem dritten Lebensjahr mit uns nach Australien fliegen, nach Neuseeland und so. Na ja, ich habe die Herde jetzt wieder zusammen.
Die politisch angeordnete Einschränkung der sozialen Kontakte halte ich für extrem schwierig. Weil damit dem Egoismus Raum gegeben wird: Hauptsache, ich überlebe. Ich verstehe, dass man die Verbreitung des Virus verhindern will, schon klar. Aber mir gefällt es gar nicht, dass Leute Hamsterkäufe machen und dadurch Unterversorgung für andere provozieren. Das verstärkt den ohnehin vorhandenen Egoismus in der Gesellschaft. Und je länger das läuft, desto nachteiliger wird es sich auf das Sozialverhalten auswirken.
Mein Atelier-Team, das sind vier Leute, macht Home Office. Wir fragen einander morgens erstmal, wie es geht, also auch den Familien und Freunden. Künstlerisch ist es so, dass die Leute, die viel auf den sozialen Plattformen unterwegs sind, sich am schnellsten auf die Situation einstellen. Ich bereite mit Gertrud Peters vom KIT für #AlleinImMuseum einen virtuellen Rundgang durch die aktuelle Ausstellung dort vor. Damit man sie sehen kann, ohne hinkommen zu müssen.
Ich habe viel Lust zu lesen, auch weil ich jetzt mehr Zeit habe. Ich lese den Roman „Quichotte“von Salman Rushdie und „Superbusen“von Paula Irmschler über die Ereignisse vom August 2018 in Chemnitz. In Chemnitz arbeite ich auch gerade an einem Projekt mit dem Titel „Gegenwarten“, das soll eigentlich im Sommer stattfinden. Und für Graz habe ich vorgeschlagen, dass sie einen Wagen mit dem Schriftzug „Dystopia“durch die Stadt fahren lassen. Das passt ja jetzt gut, aber mal sehen, oben das auch umsetzbar sein wird in der Geisterstadt Graz. Außerdem spiele ich Schlagzeug. Mein Musikpartner kommt dafür fast jeden Tag rüber, das erlauben wir uns.
Ich bin optimistisch, was den Kampf gegen das Virus betrifft. Ich laufe jeden Morgen gegen das Virus an, weil ich glaube, dass es jetzt darum geht, seine Abwehrkräfte zu stabilisieren. Und ich glaube, dass besondere Herausforderungen immer auch besondere künstlerische Arbeiten hervorgebracht haben. Man denke nur an „Apokalipsis cum figuris“von Albrecht Dürer.
Ich denke aber auch, dass wir nun an einem Punkt stehen, an dem wir die konstruktiven Kräfte der Kunst gegen den Zerfall der Gesellschaft stellen müssen. Abschottung wird wieder wichtiger als Transparenz und Durchlässigkeit. Diese Abschottungsstrategien sind meine größte Sorge, weil sie die nationalistischen und populistischsten Kräfte unterstützen.