Rheinische Post Viersen

Das einsame Abendmahl

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Aachen holt die Corona raus. Allerdings erst wenn die Krise vorbei ist. Dann nämlich will das Bistum den Schrein mit den Überresten der Heiligen Corona in einer Ausstellun­g zeigen: 93 Zentimeter hoch ist das goldene Reliquiar und etwa 100 Kilogramm schwer, in dem die Gebeine der heiligen Frau aufbewahrt werden. Über 1000 Jahre soll es her sein, dass Kaiser Otto III. ihre sterbliche­n Überreste nach Aachen brachte.

Bis zur Ausstellun­g aber wird die Welt und mit ihr die Kirche noch länger im Krisenmodu­s sein. Und das ist sie mit großem Eifer. Wobei sich vieles jetzt um die Gottesdien­ste dreht, die als Gemeinscha­ftserleben derzeit ja unmöglich sind und darum in neue „Formate“gegossen werden müssen. Da werden „Homegottes­dienste“per Telefonkon­ferenz angeboten; da werden Gottesdien­ste ohne Gottesvolk gefeiert, dafür aber aufgezeich­net und im Internet übertragen – wie überhaupt Videogotte­sdienste im Livestream als seelsorger­ische Alternativ­e gefragt sind, die dann über Portale wie Facebook und Skype ausgestrah­lt werden. Und weil hierzuland­e auch in Krisenzeit­en (vielleicht gerade dann) alles seine Ordnung haben muss, hat die katholisch­e Kirche mit Verwertung­sgesellsch­aften wie der Gema dazu jetzt einen Pauschalve­rtrag abgeschlos­sen. Der Verkündigu­ng der frohen Botschaft übers Internet steht damit auch gebührenpf­lichtig nichts mehr im Wege.

Internet-Gottesdien­ste klingen zwar irgendwie modern, die Anmutung aber ist vergleichs­weise konvention­ell und unterschei­det sich in keiner Weise von jenen Gottesdien­sten, die sonntäglic­h immer schon die Vormittags­programme

von Fernsehen und Radio gefüllt haben. Einen ansatzweis­e haptischen Kontakt zu liturgisch­en Angeboten bieten dagegen sogenannte Gottesdien­ste zum Mitnehmen. Dazu werden in den Kirchen Wäschelein­en gespannt mit lauter kleinen Zetteln, die die Gläubigen zu den Öffnungsze­iten der Gotteshäus­er „pflücken“können. Zu lesen sind darauf kleine Impulse für die Andachten daheim, aber auch QR-Codes für entspreche­nde Kirchenlie­der. Manchmal werden sogar kleine Duftfläsch­chen mit nach Hause gegeben.

Der Einfallsre­ichtum dieser Tage ist überwältig­end – und erstaunlic­h zugleich. Denn fast gewinnt man den Eindruck, als sei der Gottesdien­st am Tag des Herrn kaum weniger beliebt als das frühere Sportprogr­amm am Wochenende. Dabei klagen beide christlich­en Kirchen seit Jahren über rückläufig­e Zahlen der Gottesdien­stbesucher. In vielen Bistümern besucht nicht einmal jeder zehnte Katholik die Heilige Messe. In Köln, Aachen, Münster und Essen liegt ihr Anteil sogar nur bei rund acht Prozent. In den 1950er Jahren waren es noch 50 Prozent.

Machen Krisenzeit­en doch wieder gläubiger? Und erleben wir gerade eine Renaissanc­e der Kirchenbin­dung? Das wäre nicht nur zu diesem frühen Zeitpunkt der Krise eine gewagte These. Dass die enorme Bedrohungs­lage die Glaubensve­rluste der vergangene­n Jahrzehnte wettmacht, ist nicht denkbar. Auch wenn aktuell die Gottesdien­st-Übertragun­gen erst einmal besser laufen als früher: Das Zweite Deutsche Fernsehen meldete zuletzt 960.000 Zuschauer beim TV-Gottesdien­st. Und das Domradio aus Köln verzeichne­t eine Verdreifac­hung seiner Nutzer auf Facebook für die Heiligen Messen aus dem Dom.

Der aktuelle Zuspruch zu spirituell­en Angeboten spiegelt etwas Anderes. Kirchliche Räume und kirchliche Kontexte sind geeignete Umgebungen für Bekenntnis­se, für Botschafte­n, Verkündigu­ngen und die Artikulati­on von Existenzän­gsten. Das allabendli­che Läuten der Glocken in vielen Gemeinden als Zeichen des Innehalten­s ist die imposante Hintergrun­dmusik für die kleine Kerze, die Menschen jetzt ebenfalls als Ausdruck von Solidaritä­t, Mitgefühl und

Sorge in ihre Fenster stellen. Die Faszinatio­n dieser stillen Demonstrat­ionen liegt darin, dass Empfindung­en und Gefühlslag­en öffentlich gemacht werden. In Zeiten verbotener „Sozialkont­akte“sind solche symbolisch­en und nach außen getragene Handlungen fast so etwas wie Prozession­en.

Bei aller guten Kreativitä­t, die jetzt an den Tag gelegt wird und Menschen Kraft zu spenden vermag, bleiben dezente Zweifel an der Nachhaltig­keit solcher spirituell­en Angebote angebracht. „Geistermes­sen“vor leeren Kirchenbän­ken kennt keine Gemeinscha­ft von Gläubigen, sondern bestenfall­s eine anonyme Gruppe von Followern.

Im Mittelpunk­t des katholisch­en Gottesdien­stes aber steht unmittelba­re Teilhabe in der Feier der Eucharisti­e, also im Abendmahl. In der Verwandlun­g des Brotes in den Leib Christi soll dieser dem Menschen ganz und gar gegenwärti­g werden. Eine tiefere Nähe zu Gott und ein größeres Bindeglied zur Gemeinscha­ft sind nicht vorstellba­r. Der Gottesdien­st lebt nur zu einem Teil von Andacht und innerer Einkehr. Vielmehr wird in ihm jedes Mal aufs Neue eine Abendmahlg­emeinschaf­t und damit eine Gemeinde von Gläubigen geboren. Und damit ist auch ein Auftrag verbunden: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“, sagte Jesus. In diesem Erinnerung­shinweis steckt das Gebot, den Glauben zu pflegen und weiterzuge­ben. Ein Abendmahl ohne Glaubensze­ugen ist ein Abendmahl ohne Auftrag.

Die Heilige Corona, deren Reliquien hoffentlic­h bald zu sehen sind, war so standhaft im Glauben, dass sie dafür in den Tod ging. Das Virus ist zwar nicht nach ihr benannt. Doch wünschen viele dem Erreger jenes Schicksal, dass die Heilige qualvoll erleiden musste: Sie wurde in Stücke gerissen.

Krisenzeit­en machen nicht gläubiger. Sie animieren aber zu Bekenntnis­sen

 ?? BILD: DPA/MONTAGE: ZÖRNER ?? Das berühmte letzte Abendmahl von Leonardo da Vinci abgewandel­t: Jesus ohne seine Jünger
BILD: DPA/MONTAGE: ZÖRNER Das berühmte letzte Abendmahl von Leonardo da Vinci abgewandel­t: Jesus ohne seine Jünger

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