Das einsame Abendmahl
Aachen holt die Corona raus. Allerdings erst wenn die Krise vorbei ist. Dann nämlich will das Bistum den Schrein mit den Überresten der Heiligen Corona in einer Ausstellung zeigen: 93 Zentimeter hoch ist das goldene Reliquiar und etwa 100 Kilogramm schwer, in dem die Gebeine der heiligen Frau aufbewahrt werden. Über 1000 Jahre soll es her sein, dass Kaiser Otto III. ihre sterblichen Überreste nach Aachen brachte.
Bis zur Ausstellung aber wird die Welt und mit ihr die Kirche noch länger im Krisenmodus sein. Und das ist sie mit großem Eifer. Wobei sich vieles jetzt um die Gottesdienste dreht, die als Gemeinschaftserleben derzeit ja unmöglich sind und darum in neue „Formate“gegossen werden müssen. Da werden „Homegottesdienste“per Telefonkonferenz angeboten; da werden Gottesdienste ohne Gottesvolk gefeiert, dafür aber aufgezeichnet und im Internet übertragen – wie überhaupt Videogottesdienste im Livestream als seelsorgerische Alternative gefragt sind, die dann über Portale wie Facebook und Skype ausgestrahlt werden. Und weil hierzulande auch in Krisenzeiten (vielleicht gerade dann) alles seine Ordnung haben muss, hat die katholische Kirche mit Verwertungsgesellschaften wie der Gema dazu jetzt einen Pauschalvertrag abgeschlossen. Der Verkündigung der frohen Botschaft übers Internet steht damit auch gebührenpflichtig nichts mehr im Wege.
Internet-Gottesdienste klingen zwar irgendwie modern, die Anmutung aber ist vergleichsweise konventionell und unterscheidet sich in keiner Weise von jenen Gottesdiensten, die sonntäglich immer schon die Vormittagsprogramme
von Fernsehen und Radio gefüllt haben. Einen ansatzweise haptischen Kontakt zu liturgischen Angeboten bieten dagegen sogenannte Gottesdienste zum Mitnehmen. Dazu werden in den Kirchen Wäscheleinen gespannt mit lauter kleinen Zetteln, die die Gläubigen zu den Öffnungszeiten der Gotteshäuser „pflücken“können. Zu lesen sind darauf kleine Impulse für die Andachten daheim, aber auch QR-Codes für entsprechende Kirchenlieder. Manchmal werden sogar kleine Duftfläschchen mit nach Hause gegeben.
Der Einfallsreichtum dieser Tage ist überwältigend – und erstaunlich zugleich. Denn fast gewinnt man den Eindruck, als sei der Gottesdienst am Tag des Herrn kaum weniger beliebt als das frühere Sportprogramm am Wochenende. Dabei klagen beide christlichen Kirchen seit Jahren über rückläufige Zahlen der Gottesdienstbesucher. In vielen Bistümern besucht nicht einmal jeder zehnte Katholik die Heilige Messe. In Köln, Aachen, Münster und Essen liegt ihr Anteil sogar nur bei rund acht Prozent. In den 1950er Jahren waren es noch 50 Prozent.
Machen Krisenzeiten doch wieder gläubiger? Und erleben wir gerade eine Renaissance der Kirchenbindung? Das wäre nicht nur zu diesem frühen Zeitpunkt der Krise eine gewagte These. Dass die enorme Bedrohungslage die Glaubensverluste der vergangenen Jahrzehnte wettmacht, ist nicht denkbar. Auch wenn aktuell die Gottesdienst-Übertragungen erst einmal besser laufen als früher: Das Zweite Deutsche Fernsehen meldete zuletzt 960.000 Zuschauer beim TV-Gottesdienst. Und das Domradio aus Köln verzeichnet eine Verdreifachung seiner Nutzer auf Facebook für die Heiligen Messen aus dem Dom.
Der aktuelle Zuspruch zu spirituellen Angeboten spiegelt etwas Anderes. Kirchliche Räume und kirchliche Kontexte sind geeignete Umgebungen für Bekenntnisse, für Botschaften, Verkündigungen und die Artikulation von Existenzängsten. Das allabendliche Läuten der Glocken in vielen Gemeinden als Zeichen des Innehaltens ist die imposante Hintergrundmusik für die kleine Kerze, die Menschen jetzt ebenfalls als Ausdruck von Solidarität, Mitgefühl und
Sorge in ihre Fenster stellen. Die Faszination dieser stillen Demonstrationen liegt darin, dass Empfindungen und Gefühlslagen öffentlich gemacht werden. In Zeiten verbotener „Sozialkontakte“sind solche symbolischen und nach außen getragene Handlungen fast so etwas wie Prozessionen.
Bei aller guten Kreativität, die jetzt an den Tag gelegt wird und Menschen Kraft zu spenden vermag, bleiben dezente Zweifel an der Nachhaltigkeit solcher spirituellen Angebote angebracht. „Geistermessen“vor leeren Kirchenbänken kennt keine Gemeinschaft von Gläubigen, sondern bestenfalls eine anonyme Gruppe von Followern.
Im Mittelpunkt des katholischen Gottesdienstes aber steht unmittelbare Teilhabe in der Feier der Eucharistie, also im Abendmahl. In der Verwandlung des Brotes in den Leib Christi soll dieser dem Menschen ganz und gar gegenwärtig werden. Eine tiefere Nähe zu Gott und ein größeres Bindeglied zur Gemeinschaft sind nicht vorstellbar. Der Gottesdienst lebt nur zu einem Teil von Andacht und innerer Einkehr. Vielmehr wird in ihm jedes Mal aufs Neue eine Abendmahlgemeinschaft und damit eine Gemeinde von Gläubigen geboren. Und damit ist auch ein Auftrag verbunden: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“, sagte Jesus. In diesem Erinnerungshinweis steckt das Gebot, den Glauben zu pflegen und weiterzugeben. Ein Abendmahl ohne Glaubenszeugen ist ein Abendmahl ohne Auftrag.
Die Heilige Corona, deren Reliquien hoffentlich bald zu sehen sind, war so standhaft im Glauben, dass sie dafür in den Tod ging. Das Virus ist zwar nicht nach ihr benannt. Doch wünschen viele dem Erreger jenes Schicksal, dass die Heilige qualvoll erleiden musste: Sie wurde in Stücke gerissen.
Krisenzeiten machen nicht gläubiger. Sie animieren aber zu Bekenntnissen