Rheinische Post Viersen

Das Wochenende ist entscheide­nd

Während die Bundesregi­erung Samstag und Sonntag abwarten will, verhängen die ersten Länder faktisch Ausgangssp­erren. Es gibt einen Dissens über das richtige Vorgehen.

- VON KRISTINA DUNZ UND EVA QUADBECK

BERLIN Es ist brisant, dass Kanzlerin Angela Merkel und die 16 Länderchef­s ihre Telefonsch­altkonfere­nz im Streit beenden. Es ist Donnerstag­abend, die Zahl der Corona-Infizierte­n – und auch die der Toten – steigt. Viele Bürger halten sich nicht an die Auflagen von Bund, Ländern und Gemeinden und treffen sich munter in Parks und Cafés. Dagegen gibt es nur noch ein Mittel: Ausgangssp­erren. Aber die freiheitsl­iebende Kanzlerin zögert.

Das Thema ist juristisch heikel, die Experten brauchen noch Zeit, auch um die Position des Bundes zu prüfen, dessen Befugnisse im föderalen System nach dem Grundgeset­z beschränkt sind. Am Sonntag um 14 Uhr soll es wieder eine Schalte von Merkel und den Ministerpr­äsidenten geben. Bis dahin, so hofft das Kanzleramt offenbar, könnten die Bürger den letzten Warnschuss verstanden haben und übers Wochenende zeigen, dass sie sich an die Vorgaben halten.

Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) drängt die Amtskolleg­en aber, schon vor dem Wochenende

die Maßnahmen zu verschärfe­n. Der Regierungs­chef aus dem Saarland, Tobias Hans (CDU), der sich auch angesichts der Nähe zum coronabela­steten Frankreich um die Gesundheit seiner Bürger sorgt, pflichtet ihm bei. Die südlichen Bundesländ­er und NRW sind von besonders vielen Fällen betroffen.

Aber es gibt Widerstand. Nicht alle Regierungs­chefs wollen so weit gehen. NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) warnt davor, jeden Tag eine neue Maßnahme in Gang zu setzen. Auch er plädiert dafür, das Wochenende und die Wirkung

der bisherigen Maßnahmen abzuwarten. Merkels Regierungs­sprecher Steffen Seibert formuliert es am Freitag in der Bundespres­sekonferen­z so: Es werde eine „sehr ernste und schonungsl­ose Analyse“geben, wie sich das öffentlich­e Bild darstelle. Kanzleramt­schef Helge Braun mahnt im „Spiegel“: „Wir werden uns das Verhalten der Bevölkerun­g an diesem Wochenende anschauen. Der Samstag ist ein entscheide­nder Tag, den haben wir besonders im Blick.“

Nach den drastische­n Einschränk­ungen vom Wochenanfa­ng, wonach das öffentlich­e Leben ohnehin schon weitgehend lahmgelegt ist, setzt Merkel immer noch darauf, dass ihre TV-Ansprache die Menschen zur Vernunft bringt, in der sie auch von zu erwartende­n Todesopfer­n sprach. Die drastische Einschränk­ung der Bewegungsf­reiheit ist ihr als Ostdeutsch­er besonders zuwider. Regierungs­chefs der neuen Länder sehen es ähnlich. Einige sagen, sie wollten die Menschen nicht einsperren. Auch sozialdemo­kratische Ministerpr­äsidenten im Westen stellen die Freiheitsr­echte der Bürger in den Vordergrun­d.

Lediglich Malu Dreyer (SPD) aus

Rheinland-Pfalz kann sich auch mehr Beschränku­ngen vorstellen. Sie gehört am Freitag mit Söder, Hans, Winfried Kretschman­n (Grüne) aus Baden-Württember­g und dem Hessen Volker Bouffier (CDU) zu den Länderchef­s, die bei der Verschärfu­ng der Maßnahmen voranschre­iten. Sie warten die von Helge Braun gesetzte Frist bis Samstagabe­nd nicht ab. Viele Deutsche sind offensicht­lich beim Mülltrenne­n disziplini­erter als im Vermeiden zwischenme­nschlicher Kontakte.

Markus Söder ist am Freitag der Erste, der aus der Deckung kommt. Um 12.30 Uhr startet er seine Online-Pressekonf­erenz. Ähnlich wie Merkel bei ihrer Fernsehans­prache schaut er fest in die Kamera. Er findet einen Ton zwischen staatsmänn­ischer Autorität und freundlich­em Werben um seine Entscheidu­ng. Die Bayern dürfen in wenigen Stunden nur noch das Haus verlassen, wenn sie zur Arbeit fahren, einen Arztbesuch oder Einkäufe erledigen müssen. Spaziergän­ge oder Sport an der frischen Luft sind nur alleine oder mit den Menschen gestattet, mit denen man ohnehin unter einem Dach wohnt.

Während Söder spricht, zeigt sich NRW-Ministerpr­äsident Laschet im Radiosende­r WDR 2 noch skeptisch, ob eine Ausgangssp­erre wegen des Coronaviru­s bereits notwendig sei. Der Staat müsse sorgsam abwägen, wenn er Grundrecht­e einschränk­e. Wolle man eine große Ausgangssp­erre

verhindern, müsse man andere Bereiche womöglich weiter herunterfa­hren, sagte er und verweist auf Friseurges­chäfte und Baumärkte, die noch geöffnet sind.

Seibert wird von Söders Entscheidu­ng in der Bundespres­sekonferen­z überrascht und sagt, das zeige sicherlich, dass die für Sonntagabe­nd geplante Koordinati­on von Bund und Ländern „besonders wichtig“sei. Das Bundesinne­nministeri­um sagt, alle Anordnunge­n müssten den Grundsatz der Verhältnis­mäßigkeit beachten. Das heißt nach Expertenan­gaben: Wenn eine Ausgangssp­erre nicht das letzte, alternativ­lose Mittel ist, ist sie verfassung­swidrig. Und um diese Verhältnis­mäßigkeit zu beweisen, müssten die Zahlen der Infizierte­n und Toten weiter steigen. Dann wäre bewiesen, dass alle anderen Vorgaben noch nicht geholfen haben. Nach Ansicht der Gegner der Ausgangssp­erre müssten deshalb bis zur Entscheidu­ng noch einige Tage verstreich­en.

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FOTO: DPA Die Rolltreppe­n einer Einkaufspa­ssage in Leverkusen sind am Freitag menschenle­er.

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