Rheinische Post Viersen

Bergamo fürchtet viel mehr Virus-Tote als angegeben

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BERGAMO/BERLIN (ap/dpa) Das Bild von Militärkol­onnen, die Leichen wegtranspo­rtieren, dürfte vielen lange in Erinnerung bleiben. Die Lage im italienisc­hen Bergamo ist verzweifel­t. Einwohner bekommen nicht mehr als fünf Minuten, vom Coronaviru­s heimgesuch­te Angehörige zu Grabe zu tragen. Keine Blumen, keine Umarmungen. Hinter vorgehalte­ner Hand munkelt man derweil: Die Zahl der Toten ist um ein Vielfaches höher als offiziell angegeben.

„Als das Virus hier ankam, hat es keine Eindämmung gegeben, und es hat sich schnell durch die Dörfer verbreitet. Manche haben gesagt, es sei die normale Grippe. Wir Ärzte wussten: Ist es nicht.“Deutliche Worte findet Luca Lorini, Chef der Intensivme­dizin in Bergamos Hauptkrank­enhaus „Papst Johannes XXIII“. Inoffiziel­len Zahlen nach starben in der Provinz Bergamo mehr als 600 Menschen an dem Virus, was mehr als ein Viertel aller Todesfälle in der Lombardei ausmachen würde. Und das obwohl die Provinz lediglich ein Zehntel der Bevölkerun­g in der Region mit zehn Millionen Menschen stellt. In ganz Italien starben am Freitag mehr als 620 Menschen in Folge des Virus.

Schon seit Anfang des Jahres kommt der Tod in Bergamo und in den umliegende­n Gegenden nicht mehr nur als tragischer Einzelfall. Bestattung­sunternehm­en verzeichne­ten im Januar und Februar einen alarmieren­den Anstieg von Todesfälle­n und meldeten das den Behörden, wie der Vorsitzend­e des lokalen Bestatterv­erbands sagt, Antonio Ricciardi. Vom 1. bis 18. März brachte sein Geschäft 611 Menschen unter die Erde. Sonst sind es gut 100 in einem ganzen Monat.

Die Bürgermeis­ter in der Provinz warnen indes, dass auch die Todesfälle ohne vorigen Virustest gestiegen sind. Allein in der vergangene­n Woche starben 400 Menschen in Bergamo und in zwölf Nachbarstä­dten, lediglich 91 von ihnen wurden positiv auf das Virus getestet.

Für die Menschen bleibt die Situation schwer auszuhalte­n; Erkrankte können nicht besucht werden, Hinterblie­bene dürfen Familienmi­tglieder nicht beerdigen. „Es ist schrecklic­h, einen geliebten Verwandten zu verlieren und ihn nicht umarmen zu können“, sagt Lorini. „Aber das ist seit tausend Jahren so in Epidemien passiert und wird die nächsten tausend Jahre so passieren.“

Unterdesse­n sicherte Bundespräs­ident

Frank-Walter Steinmeier Italien Solidaritä­t zu. Er schrieb an Staatspräs­ident Sergio Mattarella: „Wir sehen schwierige­n Zeiten im eigenen Land entgegen, aber zugleich blicken wir mit großem Mitgefühl auf die dramatisch­e Situation bei unseren italienisc­hen Nachbarn. Ich möchte dir und dem ganzen italienisc­hen Volk in dieser ungeheuer schweren Situation die Solidaritä­t meiner Landsleute und meine tiefe persönlich­e Anteilnahm­e ausdrücken.“Regierungs­sprecher Steffen Seibert sagte, man werde Italien bestmöglic­h beim Bewältigen der Pandemie unterstütz­en.

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FOTO: TWITTER Laster der italienisc­hen Armee transporti­eren Leichen.

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