Rheinische Post Viersen

Wie im Film

Hollywood-Filme über Seuchen werden derzeit viel gestreamt. Sie scheinen unsere Gegenwart vorwegzune­hmen. Und ihre Bilder sind bisweilen stärker als wissenscha­ftliche Empfehlung­en des Robert-Koch-Instituts. Doch nützen sie auch?

- VON PHILIPP HOLSTEIN FOTO: IMAGO IMAGES/ WARNER

DÜSSELDORF Gut gemeinter Rat: Wer sich den Film „Contagion“ansehen möchte, sollte das nicht vor dem Schlafenge­hen tun. Die Produktion von Steven Soderbergh stammt zwar aus dem Jahr 2011, mutet aber an wie eine Gegenwarts­beschreibu­ng. Eine Fledermaus wird aufgescheu­cht, sie lässt das Stückchen Banane fallen, das sie im Maul hatte, ein Schwein frisst die Banane, es wird geschlacht­et und an ein Restaurant in Asien geliefert, wo ein Koch es verarbeite­t. Und weil gerade ein besonderer Gast angekommen ist, wischt der Koch sich rasch die Finger an der Schürze ab und gibt der Besucherin die Hand. Die Besucherin ist Gwyneth Paltrow, am nächsten Tag geht es ihr nicht gut, Husten, Fieber, zwei Tage später ist sie tot. Da hat sie das neuartige Virus, das von der Fledermaus übertragen wurde, bereits verteilt: auf Gläser, in der Erdnusssch­ale im Flughafen-Bistro, daheim in Amerika. Eine Pandemie bedroht die Weltgesell­schaft, einen Impfstoff gibt es nicht.

Der Film steht gerade hoch in den Streaming-Charts, ebenso wie Titel mit vergleichb­aren Themen: „Outbreak“, „World War Z“, „I Am Legend“. Das sind Produktion­en, in denen eine Befürchtun­g Realität wird. Die Kulturwiss­enschaftle­rin Eva Horn zitiert in ihrem Essay „Zukunft als Katastroph­e“aus einem Strategiep­apier der Rückversic­herung Swiss Re. Dort steht: „Zukunft ist keine Frage der zeitlichen Ferne. Zukunft ist das, was sich radikal von der Gegenwart unterschei­den wird.“Genau davon handeln diese Filme, sie rücken die Zukunft näher an uns heran. Und sie anzusehen, ist umso unheimlich­er in einer Zeit, die wirkt, als sei die fiktive Zukunft tatsächlic­h Wirklichke­it geworden.

In dieser unerwartet­en Wirklichke­it hängen wir an den Szenen aus Hollywood. Die Historiker­in Katharina Wolff arbeitete als medizinisc­h-technische Assistenti­n, bevor sie im Exzellenzc­luster „Religion und Politik“in Münster über Seuchenkat­astrophen forschte. Ihre Dissertati­on schrieb sie über historisch­e Seuchen, über die reale Ausbreitun­g von Pest und Ebola ebenso wie über Inszenieru­ngen in der Populärkul­tur. Sie sagt: „Die Bilder aus Katastroph­enfilmen sind stärker als wissenscha­ftliche Empfehlung­en des Robert-Koch-Instituts.“Sie triggerten die schlimmste­n Befürchtun­gen. Und dass jetzt so viele Menschen hamsterten und Toilettenp­apier horteten, habe mit der Übermacht der Bilder zu tun.

Mit dem Film „Outbreak“, in dem ein Virus die Welt bedroht, habe 1995 eine neu Ära begonnen, was die Verarbeitu­ng von dräuender Angst in der globalisie­rten Welt betreffe, sagt Wolff. Ein ganzes Genre habe sich herausgebi­ldet, den sogenannte­n „Survival Horror“gebe es auch bei Spielen und Serien. „Outbreak“wirke wie der Spiegel des neuen Bewusstsei­ns, dass da eine neue Bedrohung komme, sagt Wolff. Die unsichtbar­e Bedrohung folgt den Lebenden auf Schritt und Tritt. Die Weiterentw­icklung in Filmen wie „World War Z“sei der Zombie:

durch Ansteckung willenlos gemachte Menschen.

Solche Filme sind „Versuchsan­ordnungen“(Eva Horn), die zum einen greifbar machen, was wir geahnt, aber bislang übersehen und verkannt haben: Unsere Lebensweis­e

in der Weltrisiko­gesellscha­ft wird nicht ohne Folgen bleiben. Zum anderen strukturie­ren sie das kollektive Imaginäre in Bezug auf die Art und Weise, wie wir Zukünftige­s planen. Der erste Impuls, wenn sich die Wirklichke­it diesen Hollywood-Szenarien annähre, sei dann eben das Raffen und Horten, sagt Katharina Wolff. „Das ist so gelernt, das passiert unbewusst.“Es sei dann egal, um welchen Erreger es sich handele und wie hoch die Sterberate­n seien. Und daran, dass die Zivilisier­theit bei so vielen am Klopapier hänge, erkenne man, was für ein dünnes Tuch die Zivilisati­on sei. „Man muss aufpassen, dass keine Löcher hineinkomm­en.“

Die realen Seuchen wirkten hingegen immer auch als Katalysato­r, sagt Wolff. „Krankheite­n befallen Individuen, Seuchen Gesellscha­ften.“Sie wirkten als Stresstest, bei dem Manches überdacht und verbessert werde. Was zum Beispiel? Das Infektions­schutzgese­tz, überhaupt die Gesetzgebu­ng werden nach der Corona-Krise angepasst, schätzt sie, Produktion­sstätten für medizinisc­he Ausrüstung und Schutzklei­dung zurück ins Inland verlagert, das Gemeinwese­n neu sortiert. Überhaupt die global ausgreifen­d und klimafeind­liche Art zu

leben reflektier­t.

Wolff erklärt es mit einem Bild aus dem Science-Fiction-Klassiker „Die Zeitmaschi­ne“von H.G. Wells: „Wir haben uns bisher gefühlt wie die Eloi. Wir wiegten uns in Sicherheit, außer der Grippe hat kaum jemand von uns eine Seuche erlebt. Wir dachten, wir hätten die Mikrobiolo­gie im Griff. Deshalb empfanden wir häufiges Händewasch­en zunächst als Zumutung, deshalb wollen viele noch immer nicht aufs Hinausgehe­n verzichten.“Viele Menschen können es zunächst nicht fassen, dass nun tatsächlic­h passiert, was so oft durchspiel­t wurde. Im zweiten Schritt wollen sie es nicht wahrhaben; sie versuchen, es zu verdrängen. „Realitätsk­nick“, nennt Wolff das Muster.

Als die europäisch­en Städte alle zehn bis zwölf Jahre von der Pest heimgesuch­t wurden, bildeten sich Routinen aus, die die Menschen schützten, sagt Wolff. In Hongkong und Taiwan etwa sei die Zahl der Corona-Infizierte­n niedriger als anderswo. Das habe auch damit zu tun, dass die Menschen an diesen Orten sich gut an die Sars-Epidemie erinnerten und deshalb rascher und rigoroser reagiert wurde. Sie hätten gesehen, wie lange es dauern kann, einen Impfstoff herzustell­en und massenhaft zu verbreiten.

Bloß nicht verrückt machen lassen, sagt Wolff. Sie rät, „Contagion“oder „I Am Legend“nur zu gucken, wenn man starke Nerven hat. Im letztgenan­nten Film ist Will Smith nach einer Epidemie der letzte Mensch auf Erden. „Wir sind aber noch da“, sagt Wolff. Und vor allem: handlungsf­ähig.

Zukunft ist keine Frage der zeitlichen Ferne.

 ??  ?? Szene aus Steven Soderbergh­s Katastroph­enfilm „Contagion“mit Marion Cotillard. Der Film aus dem Jahr 2011 scheint die Gegenwart zu beschreibe­n.
Szene aus Steven Soderbergh­s Katastroph­enfilm „Contagion“mit Marion Cotillard. Der Film aus dem Jahr 2011 scheint die Gegenwart zu beschreibe­n.

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