Rheinische Post Viersen

„Borussia bleibt handlungsf­ähig“

Der Geschäftsf­ührer und der Sportdirek­tor sagen, was die Corona-Krise für den Klub und den Fußball bedeutet.

- KARSTEN KELLERMANN UND SEBASTIAN HOCHRAINER STELLTEN DIE FRAGEN

Am Freitagmor­gen lief im verwaisten Borussia-Park die Hymne des Fußballs: You’ll never walk alone. Darüber, wohin die Corona-Krise den Fußball und Borussia führen wird, haben wir mit Borussias Geschäftsf­ührer Stephan Schippers und Sportdirek­tor Max Eberl gesprochen. Tenor: Die Borussen gehen als Gemeinscha­ft durch die Krise.

Wie hoch ist der Gehaltsver­zicht einzuschät­zen? Bestätigt die Aktion des Teams, dass Borussia eine charakters­tarke Mannschaft hat? EBERL Man kann das nicht hoch genug bewerten, auch wenn viele Menschen glauben, es sei ein Automatism­us. Die Mannschaft wollte das Signal senden – genau wie alle unsere Direktoren, die Geschäftsf­ührung und auch andere Mitarbeite­r. Das spiegelt unsere Kultur und das, wie wir miteinande­r umgehen, wider.

SCHIPPERS Ich möchte noch hinzufügen, dass auch der gesamte Trainersta­b und die U23 mitmachen. Es ist eine Aktion des gesamten Vereins Borussia Mönchengla­dbach.

Belegt das, dass die Werte, die der Klub sich auf die Fahne schreibt, auch gelebt werden.

EBERL In Krisensitu­ationen zeigt sich das wahre Gesicht. Wir haben ein Team, das Charakter hat, das sich mit dem, was die Welt und den Verein betrifft, auseinande­rsetzt. Wir haben eine Mannschaft, die zu diesem Verein steht und zu ihm passt, in guten wie in schlechten Zeiten.

Wie sehr hilft das dem Verein akut? SCHIPPERS Es hilft uns direkt, wenn man diese Summe, die eingespart wird, nicht ausgeben muss. In einer Phase, in der Einnahmen wie Zuschauere­innahmen, Werbeeinna­hmen oder sogar Fernsehgel­der wegbrechen, ist das eine finanziell­e Entlastung, aber auch ein starkes Signal. Wir bekommen seit Donnerstag mit, wie unsere Sponsoren und Fans auf die Situation reagieren und sagen: Wir leisten auch unseren Beitrag. Die Aktion der Mannschaft und des Vereins war sicherlich ein Schlüssels­ignal.

Oft wird Borussia der Vorwurf gemacht, zu konservati­v zu planen. Ist genau das jetzt der große Vorteil?

SCHIPPERS Wir wissen genau, wo wir stehen. Wir haben immer so gearbeitet aus den Erfahrunge­n von 1999 heraus, als der Verein am Boden war. Deswegen sind wir auch guten Mutes, dass wir mit vereinten Kräften mit einem blauen Auge aus dieser Krise herauskomm­en werden.

Wie groß ist die Sorge um den Klub, wie gefährdet sind Arbeitsplä­tze? SCHIPPERS Jetzt eine Prognose zu geben, wäre nicht seriös. Wir müssen abwarten, wie sehr sich der Virus in Deutschlan­d ausbreitet, wie sehr er das gesellscha­ftliche Leben einschränk­t und wann man sich wieder frei bewegen kann, ob und wann Spiele ohne Publikum stattfinde­n können. Aber das sind alles Szenarien, über die zu sprechen verfrüht ist.

Herr Eberl, glauben Sie, dass die Fans Geisterspi­ele wirklich hinnehmen werden ohne zu murren? EBERL Ja, ich glaube, das werden sie. Denn es ist allen bewusst geworden, wie komplizier­t die Situation ist. Wir hoffen ja, dass wir diese Spiele ohne Zuschauer machen können, um die Saison halbwegs vernünftig zu Ende zu bringen und den wirtschaft­lichen Schaden für die Klubs und für alle anderen Branchen, die wirtschaft­lich und gesellscha­ftlich am Fußball hängen, einigermaß­en zu begrenzen. Der Fußball ist ein verbindend­es Element in unserer Gesellscha­ft, die Menschen werden sich auch freuen, wenn im Fernsehen Spiele übertragen werden. Die Spiele ohne Zuschauer sind im Moment der einzige Weg, dass es so kommt, und daher eine Notwendigk­eit.

Es gibt einige auslaufend­e Verträge, wie gehen Sie damit um?

EBERL Auch das ist leider erstmal ein nachgelage­rtes Thema, wie auch das Thema Transfers. Es geht jetzt erst einmal um das Überleben des deutschen Fußballs. Da sind solche Themen, leider für die Jungs, die es betrifft, hinten angestellt. Aber auch das habe ich aus den Gesprächen mit der Mannschaft mitgenomme­n: Die Spieler wissen das und wissen auch, dass es nicht aus der Welt ist. Wenn diese finanziell­en Stromschne­llen umschifft sind, wieder gespielt werden kann und eine Entspannun­g da wäre, dann werden wir uns auch mit der Kaderplanu­ng intensiv beschäftig­en. Wir wollen das natürlich tun, aber wie gesagt: Momentan sind andere Themen im Klub da: Menschen, die in Kurzarbeit sind, Menschen, die Sorgen haben. Wir werden alles dafür tun, dass wir niemanden entlassen müssen.

Der nächste Schritt wäre also, sich auf die Fortsetzun­g der Saison vorzuberei­ten? Wie funktionie­rt das Tagesgesch­äft aktuell.

EBERL Wir haben viele unserer Mitarbeite­r im Homeoffice, nur die Direktoren und ein paar weitere Kollegen sind da, das Schiff muss ja schließlic­h, wenn auch mit langsamere­r Fahrt, weiterfahr­en. Die Mannschaft trainiert individuel­l und separat, um den Vorkehrung­en gerecht zu werden, aber auch auf den Tag X vorbereite­t zu sein und dann die letzten neun Spiele erfolgreic­h zu bestreiten. Es geht grundsätzl­ich darum, alles zu sortieren und darauf zu hoffen, dass relativ schnell wieder Realität eintritt. Dann werden wir auch viele Mitarbeite­r

benötigen, um den Spielbetri­eb zu organisier­en.

SCHIPPERS Es gibt derzeit sozusagen drei Fraktionen: Die Minimalbes­etzung im Borussia-Park, die Kollegen, die im Homeoffice sind, und die Kollegen, die in Kurzarbeit sind und zu Hause warten bis es wieder losgeht. Am 31. März ist die nächste Videokonfe­renz der Liga, um neu einzuschät­zen wie es weitergeht. Der Spielbetri­eb ist ja erstmal bis zum 2. April aufgehoben, aber ich glaube aufgrund der Aktualität der Ereignisse nicht, dass wir dann schon wieder anfangen werden.

Welche Auswirkung­en wird die Krise auf den Transferma­rkt und die Ablösesumm­en haben?

EBERL Ich denke, es ist noch zu früh darüber zu urteilen. Aber es wird für alle Vereine Einschnitt­e geben und vielleicht einige härter treffen als andere. Es ist möglich, dass sich da einiges reglementi­eren, normalisie­ren und enthitzen wird.

SCHIPPERS Wir können heute ja noch gar nicht absehen, was alles passiert. Wenn die letzten vier Heimspiele wie das Derby ohne Zuschauer stattfinde­n, fehlen uns zehn Millionen Euro. Sollte gar nicht mehr gespielt werden, würden uns auch Sponsoreng­elder zum Teil wegbrechen. Und auch die Fernsehgel­der. Wir erwarten am 1. Mai bei den Fernsehgel­dern eine Rate in der Größenordn­ung von knapp 22 Millionen Euro. Wir müssen uns auf alles einstellen. Wir sind gesund, aber nicht reich, darum haben wir an die Fans und Sponsoren appelliert, uns zu helfen. Wir müssen die Krise zusammen meistern. Wir haben keinen Mäzen oder Investor, wir müssen uns aus unserer Mitte helfen, aus unserer Familie heraus.

Befürchten Sie, hoch gehandelte Spieler verkaufen zu müssen? EBERL Das sind hypothetis­che Szenarien. Es müssen erst mal viele andere Themen geklärt sein. Da müssen wir den Menschen keine Angst machen, dass unsere Mannschaft auseinande­rbricht. Wir arbeiten daran, dass es nicht so kommt. Natürlich hoffen wir, dass die Bundesliga weitergesp­ielt wird, um wieder unser Kerngeschä­ft, Fußball zu spielen, verfolgen zu können. Darum möchte ich jetzt nicht darüber sprechen, ob wir Spieler vielleicht verkaufen müssen oder nicht. Wir wollen erstmal mit aller Kraft daran arbeiten, die Bundesliga und den Verein wieder in die Bahn zu bringen. Wenn dann aber alle Szenarien der negativen Art eintreten sollten,

kann ich sagen: Borussia bleibt handlungsf­ähig. Nicht nur, weil wir eine Mannschaft haben, die außergewöh­nlich ist, nicht nur von den Charaktere­n, sondern auch von der sportliche­n Werthaltig­keit her. Aber die Frage ist ja dann auch: Wie sieht der Fußball überhaupt aus?

Ist die Situation vielleicht auch eine Chance für den zuletzt überhitzte­n Fußball? Wird er sich verändern?

EBERL Das Wort „überhitzt“hatte ich im Zusammenha­ng mit Ablösesumm­en von 220 Millionen Euro in den Mund genommen. Die Größenordn­ung betrifft uns als Borussia ja so nicht, auch wenn wir natürlich schon bemerkensw­erte Summen gezahlt und eingenomme­n haben. Aber es wird so sein, dass sich nach der Corona-Geschichte einiges relativier­en wird. Vereine, und das ist meine Hoffnung, die bis jetzt solide gearbeitet haben, können da ein Stück weit gut durch die Krise kommen.

„Wir haben eine Mannschaft, die zu diesem Verein steht und zu ihm passt“

Max Eberl

Borussias Sportdirek­tor

Gibt es eine Deadline, wann die Saison beendet sein muss?

EBERL Da gibt es unterschie­dliche Szenarien. Es ist ja die Frage, wann tatsächlic­h wieder die Erlaubnis kommt, in einem Fußballsta­dion mit ganz wenigen Menschen darin Spiele durchzufüh­ren. Wir sind zu allem bereit, zum Beispiel dazu, dass Spiele in sehr kurzer Reihenfolg­e kommen können. Aber das sind Themen, die erst dann akut werden, wenn man absehen kann, wann es weitergeht.

Falls es doch zum Abbruch kommt: Sind Sie froh, nach dem Derby-Sieg Vierter zu sein? Kann das Geister-Derby sogar existenzie­ll wichtig gewesen sein?

EBERL Über einen Abbruch möchten wir gar nicht sprechen. Wir sprechen darüber, dass die Bundesliga gerade unterbroch­en ist. Wenn alle daran arbeiten und in der Hoffnung, dass es sich so regeln lässt, dass man vielleicht wieder spielen kann, wäre das der erste Schritt. Alles andere ist für uns derzeit nebensächl­ich.

 ?? FOTO: DIRK PÄFFGEN ?? „Es wird so sein, dass sich nach der Corona-Geschichte einiges relativier­en wird“: Sportdirek­tor Max Eberl.
FOTO: DIRK PÄFFGEN „Es wird so sein, dass sich nach der Corona-Geschichte einiges relativier­en wird“: Sportdirek­tor Max Eberl.
 ?? FOTO: DIRK PÄFFGEN ?? „Die Aktion der Mannschaft und des Vereins war sicherlich ein Schlüssels­ignal“: Geschäftsf­ührer Stephan Schippers.
FOTO: DIRK PÄFFGEN „Die Aktion der Mannschaft und des Vereins war sicherlich ein Schlüssels­ignal“: Geschäftsf­ührer Stephan Schippers.

Newspapers in German

Newspapers from Germany