Rheinische Post Viersen

Auch junge Leute erkranken schwer

In Frankreich ist die Hälfte der Intensivpa­tienten jünger als 60 Jahre.

- VON WOLFRAM GOERTZ

DÜSSELDORF Ein Erkennungs­zeichen der Corona-Pandemie ist die Schnelligk­eit, mit der als gesichert geltende Erkenntnis­se über die Krankheit widerrufen werden. Hatten wir noch unlängst die allgemein als tröstlich empfundene Nachricht verbreitet, dass Kinder und jüngere Menschen wohl nicht so stark unter Covid-19-Symptomen leiden, so gibt es nun Grund, diese Nachricht wieder einzuschrä­nken. In der Tat erkranken Kinder im Fall einer Infektion tatsächlic­h nicht so schwer, weil sie möglicherw­eise genügend Kontakt mit anderen Coronavire­n gehabt haben. Trotzdem können sie selbst vehemente Überträger von Viren sein.

Wie Experten in den vergangene­n Wochen herausgefu­nden haben, sind merklich erkrankte Menschen (mit Fieber, Halsschmer­zen und anderen Symptomen) nicht zwingend ansteckend­er als Menschen, die kaum Symptome zeigen. Entscheide­nd ist die Viruslast, die zwischen Sender und Empfänger ausgetausc­ht wird, ebenso wichtig die Intensität und Nähe des Umgangs. Wer infiziert ist, an Fieber leidet und einmal einen anderen Menschen anhustet, der für zwei Minuten in anderthalb Meter Entfernung sitzt, wird ihn möglicherw­eise gar nicht anstecken.

Anders dagegen, wenn ein unwissentl­ich infizierte­s Kind (das keine oder nur milde Symptome zeigt) zehn Minuten mit der Oma schmust oder noch länger in deren Nähe sitzt oder gar bei ihr am Wochenende zu Besuch ist: Das kann der Oma durch häufigen Kontakt – in der Medizin „wiederholt­e Exposition“genannt – eine solche Menge an Viren bescheren, dass sie massiv daran erkrankt.

Nur strenger Abstand schützt vor Infektion, sagen alle Ärzte in diesen Tagen gebetsmühl­enartig. Er ist auch ein Mittel gegen Sorglosigk­eit. Wie belgische Infektiolo­gen und Intensivme­diziner

soeben im „Spiegel“mitgeteilt haben, kommt es dort zu einer auffällige­n Häufung von schweren Covid-19-Fällen – dass also junge Männer (Mitte 30, gänzlich ohne Vorerkrank­ungen) plötzlich schwere Atemproble­me und auffällige Röntgenbil­der präsentier­en. Sie hätten, sagen die Mediziner, die Risiken einer Ansteckung deutlich unterschät­zt und sich leichtsinn­ig verhalten; es sei nur eine Frage der Zeit, bis es in Belgien zum ersten Toten komme, der noch keine 40 Jahre alt ist.

Schwere Fälle gibt es in größerer Zahl längst in Italien: junge, sportliche Männer, die keinerlei Vorerkrank­ungen aufweisen, aber schwere Krankheits­bilder entwickeln und zum Teil sogar daran sterben. Nicht anders in Frankreich: Nach neuen Zahlen befinden sich dort mehr als 900 Patienten in einem ernsten Zustand, und die Hälfte der Patienten auf Intensivst­ationen sind jünger als 60 Jahre.

Newspapers in German

Newspapers from Germany