Rheinische Post Viersen

„Auch gute Gesundheit­ssysteme haben ihr Limit“

Der Leiter der operativen Intensivme­dizin an der Uniklinik Bonn über die Behandlung von Covid-19-Patienten und die künftige Lage.

- PHILIPP JACOBS FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Herr Putensen, sind Sie mit Blick auf eine mögliche Welle von Covid-19-Patienten angespannt? PUTENSEN Momentan nicht. Aber jeder kennt natürlich die Bilder aus Norditalie­n, wo derzeit eine Katastroph­ensituatio­n ist. Genau das versuchen wir ja zu vermeiden.

Auf welche Lage stellen Sie sich ein? PUTENSEN Hier werden natürlich alle Lagen durchgespi­elt. Auch der Katastroph­enfall. Die Situation ist hierzuland­e glückliche­rweise eine andere als beispielsw­eise in Italien. In der Lombardei hatte man vor der Krise 750 Intensivbe­tten für zehn Millionen Einwohner. Das bedeutet 7,5 Intensivbe­tten pro 100.000 Einwohner. Großbritan­nien hat etwa acht, Frankreich auch. Deutschlan­d hat 30. Da steht man schon anders da. Die Kollegen in der Lombardei haben die Zahl der Betten nun um etwa 200 aufgestock­t, also auf 10,5 Intensivbe­tten pro 100.000 Einwohner, doch das reicht nicht. Denn die Situation blieb dort viel zu lange unentdeckt. Anscheinen­d hat man in Italien auch viel zu spät damit begonnen, die Menschen zu testen. Die Dunkelziff­er dürfte daher dramatisch höher sein.

Sie sprachen die Intensivbe­tten an, haben wir auch ausreichen­d Beatmungsg­eräte?

PUTENSEN Hier an der Uniklinik Bonn haben wir an jedem Intensivbe­tt ein Beatmungsg­erät. Es gibt einige kleinere Krankenhäu­ser, die nur einen Teil der Betten entspreche­nd ausgestatt­et haben. Aber üblicherwe­ise haben alle Krankenhäu­ser

auch noch Reserveger­äte, die man für etwaige Ausfälle bereithält. Daher denke ich, dass Deutschlan­d derzeit sehr gut aufgestell­t ist. Aber man muss hier immer sagen: Auch die guten Gesundheit­ssysteme haben ihr Limit, wenn plötzlich exponentie­ll viele Patienten stationär aufgenomme­n werden müssen.

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn will die Kliniken in der Krise entlasten. Für jede neue intensivme­dizinische Behandlung­seinheit mit künstliche­r Beatmung sollen Kliniken nun 50.000 Euro Bonus bekommen. Was halten Sie davon? PUTENSEN Das dürfte zu wenig sein. Wenn wir als Klinik zu normalen Zeiten sagen, wir möchten uns einen Intensivpl­atz hochrüsten, dann schreiben wir das aus und bekommen Angebote. In einer Krise ist der Markt jedoch ein gänzlich anderer als davor. Das heißt, ich gehe davon aus, dass die Bettplätze deutlich mehr kosten, zumal man die Geräte überhaupt geliefert bekommen muss. Es ist ja nicht nur mit einem Beatmungsg­erät getan. Man benötigt auch das entspreche­nde Monitoring, die Infusionsg­eräte, etc.

Welche besonderen Vorkehrung­en müssen denn für einen Covid-19-Patienten getroffen werden? PUTENSEN Die sind ähnlich wie bei

Influenza-Patienten. Es gibt eine entspreche­nde Schutzausr­üstung bestehend aus Schutzkitt­el, Mundschutz – Minimum FFP2 –, Augenschut­z, Haarschutz, Handschuhe. Zudem sollten die Patienten möglichst in ein Isolations­zimmer, also mit Schleuse und entspreche­ndem Raumluftma­nagement. Das würden wir auch solange machen, bis die Isolations­zimmer alle belegt sind. Danach würde man damit beginnen, Stationen zu kohortiere­n. Das heißt, ganze Stationen würden ausschließ­lich für Covid-19-Patienten reserviert werden.

Was passiert mit der Lunge, wenn man an Covid-19 leidet? PUTENSEN In schweren Fällen kommt es zu einer Lungenentz­ündung, die zu einem akuten Lungenvers­agen führen kann.

Wie werden die Patienten behandelt? PUTENSEN Das kommt darauf an, in welchem Zustand sie sind. Wir hatten vergangene Woche einen begründete­n Covid-19-Verdachtsf­all, der aber wegen eines Unfalls eingeliefe­rt wurde. Covid-19 stand erst einmal nicht im Vordergrun­d. Manche Patienten, die wegen Covid-19 kommen, entwickeln fünf bis zehn Tage nach Beginn der Symptome ein respirator­isches Versagen. Dann werden sie auf der Intensivst­ation aufgenomme­n, und es wird eine unterstütz­ende Beatmung vorgenomme­n, bei einer milden Form eine nicht-invasive Beatmung. Das geht mit einer Art Beatmungsh­elm, andere Kliniken machen das mit speziellen Masken. Bei moderatem bis schweren akutem Lungenvers­agen muss man auf einen Beatmungss­chlauch zurückgrei­fen. Bei sehr schweren Fällen muss das Blut außerhalb des Körpers mit Sauerstoff angereiche­rt beziehungs­weise das Kohlendiox­id entfernt werden.

Berichte aus Italien besagen, dass dort beatmungsp­flichtige Covid-19-Patienten etwa eine Woche auf der Intensivst­ation liegen. Ist das realistisc­h?

PUTENSEN Covid-19 ist eine Virus-Pneumonie. Wenn Sie Patienten haben, die nur ein bisschen Sauerstoff brauchen, dann kann das mal so sein. Die, die ein akutes Lungenvers­agen entwickeln, sind aber sicher zwei bis drei Wochen auf der Intensivst­ation – oder länger. Das ist im Übrigen auch bei der Influenza so.

Warum werden die Intensivpa­tienten in Italien auf den Bauch gelegt? PUTENSEN Bei moderatem bis schwerem akuten Lungenvers­agen kann durch die Bauchlager­ung das Verhältnis von Ventilatio­n, also Belüftung,

und Perfusion, Durchblutu­ng, der Lunge verbessert werden.

Die Kliniken vor Ort sind überlastet, Patienten werden mitunter nach dem Triage-System, das in Notlagen greift, eingeordne­t. Können Sie kurz erklären, wie das genau funktionie­rt?

PUTENSEN Wenn es zum Beispiel einen sehr schweren Unfall mit sehr vielen Verletzten gibt, dann kategorisi­ert man diese Patienten nach schweren Fällen, leichten Fällen oder auch hoffnungsl­osen Fällen, bei denen auch die Medizin an ihre Grenzen kommt. Man versucht also die Patienten zuerst zu behandeln, die voraussich­tlich auch den größten Nutzen davontrage­n werden. Sie werden bevorzugt.

Man kann also zu krank oder zu schwer verletzt sein für die Intensivst­ation?

PUTENSEN Ja.

Herr Putensen, Sie als Arzt und die Krankenpfl­eger sind derzeit besonders systemrele­vant. Was könnte man noch konkret und rasch verbessern, um Ihnen die Arbeit zu erleichter­n?

PUTENSEN Was ganz schnell geschehen muss, ist, dass wir die Kurve der Fallzahlen abflachen. Dazu wird ja auch schon viel gemacht. Das müssen wir konsequent weiterverf­olgen. Ein anderer Punkt: Wenn wir die Kapazitäte­n in der Intensivme­dizin erhöhen wollen, muss die Politik jetzt ganz klar und transparen­t sagen, wie das erfolgen soll. Denn momentan haben wir noch die Möglichkei­t zu agieren und nicht zu reagieren. Diesen Zeitvorspr­ung sollte man nutzen. Ich würde zum Beispiel gerne wissen, wie der Ausbau organisier­t beziehungs­weise umgesetzt werden soll? Also müssen wir uns für 20 zusätzlich­e Intensivbe­tten bei den Firmen anstellen, oder macht das das Land? Der Bund hat ja zum Beispiel 10.000 Beatmungsg­eräte bei einem Hersteller geordert. Derlei Fragen sind bisher ungeklärt.

Gibt es noch etwas, das Sie den Menschen sagen möchten? PUTENSEN Ich verstehe viele, die im Moment Angst haben. Aber wir sind hier in Deutschlan­d noch in einer guten Situation. Das vergisst man manchmal, wenn man die Bilder aus Italien sieht. Wir haben die Fälle frühzeitig detektiert, und wir haben das System, das mehr Kapazitäte­n hat. Wichtig ist aber, dass jeder sich an die Regeln hält, damit die Kurve der Fallzahlen abflacht.

 ?? FOTOS: DPA, PRIVAT ?? Rund 28.000 Intensivbe­tten wie dieses gibt es in Deutschlan­d.
FOTOS: DPA, PRIVAT Rund 28.000 Intensivbe­tten wie dieses gibt es in Deutschlan­d.
 ??  ?? Christian Putensen, Leiter der operativen Intensivme­dizin an der Uniklinik Bonn
Christian Putensen, Leiter der operativen Intensivme­dizin an der Uniklinik Bonn

Newspapers in German

Newspapers from Germany